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EU-LieferkettenKonzerne kämpfen für „Bürokratie“

Große Unternehmen verlangen von der EU, ihre Lieferketten-Regeln nicht aufzuweichen. Diese würden Europas Wettbewerbsfähigkeit stärken.

Kaffee für Nestlé: Konzerne fordern die EU-Kommission auf, Regeln zu Sorgfaltspflichten und Nachhaltigkeitsprüfung nicht aufzuweichen Foto: Edgard Garrido/reuters

Berlin taz | In einem offenen Brief fordern Unternehmen die EU-Kommission auf, Regeln zu Sorgfaltspflichten und Nachhaltigkeitsprüfung nicht aufzuweichen. Darunter sind etwa die Lebensmittelkonzerne Nestlé, Unilever und Ferrero, der Kleidungsdiscounter Primark sowie der Branchenverband Ethical Trading Initiative.

Hintergrund ist die anhaltende Kritik von Wirtschaftsverbänden, die Regeln seien zu bürokratisch. Auch die Bundesregierung hatte die EU aufgefordert, die Vorschriften zu überarbeiten und zu verschieben. Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen hatte vergangenes Jahr einen „Omnibus“ angekündigt: Die Berichtspflichten nach den Richtlinien zu Sorgfaltspflichten, entwaldungsfreien Lieferketten, der Nachhaltigkeitsberichterstattung und der Taxonomie nachhaltiger Investitionen sollen demnach gebündelt werden. Die Initiative soll in den nächsten Wochen vorgestellt werden. „Der Inhalt der Gesetze ist gut“, sagte von der Leyen, „Wir wollen sie beibehalten und werden sie beibehalten“.

Die Unternehmen betonen in dem Brief jedoch ihre Sorge, „dass andere diesen Prozess nutzen könnten, um zu fordern, dass die Gesetzgebung für politische Neuverhandlungen wieder geöffnet wird. Teile der Gesetzgebung sind bereits in Kraft, und die Unternehmen haben bereits erhebliche Ressourcen in die Vorbereitung auf die neuen Anforderungen und deren Erfüllung investiert“. Sie fordern die EU-Kommission auf, klarzustellen, dass der Omnibus-Ansatz, „nicht zulässt, dass bereits vereinbarte und angenommene Rechtstexte für Neuverhandlungen wieder geöffnet werden“. Dies gelte insbesondere für die Lieferkettenrichtlinie, die bereits eine Dopplung von Berichtspflichten im ausgehandelten Text ausschließt. Stattdessen solle sich die Kommission auf die „praktische Umsetzung“ der Vorschriften konzentrieren. „Diese Initiativen haben das Potenzial, die langfristige Widerstandsfähigkeit und den Wert der europäischen Unternehmen zu steigern und ihnen einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Um diese Ziele zu erreichen, brauchen wir Konsistenz, Klarheit und Vertrauen in ihrer Anwendung“, heißt es in dem Brief.

Anfang Januar hatten auch französische Unternehmen die Kommission gebeten, die Pflichten nicht aufzuweichen oder deren Umsetzung zu verzögern, wie die Finanznachrichtenagentur Bloomberg berichtete. Sie böten „wesentliche Instrumente“, um sicherzustellen, dass europäische Unternehmen auf Risiken vorbereitet sind, schrieben die Unternehmen. Die öffentliche Kritik sei „übertrieben“ und es werde oft übersehen, dass Unternehmen nur berichten müssen, was sie als „wesentlich“ für ihre Geschäftstätigkeit erachten.

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8 Kommentare

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  • Es ist doch in der Tat ein internationaler Wettbewerbsvorteil. Der globale Süden wird selbstbewusster und stärker und wird mit einem Europa lieber handeln, das die Ausbeutung zurückfährt als mit einem, das so weitermachen will wie früher / bisher.

    Und mit der negativen Auslegung von "Bürokratie" werden Menschenrechte und Umweltschutz diffamiert. Auch Sicherheit ist der Bürokratie zu verdanken (bis hin zu Vorschriften, wie hoch Treppenstufen sein dürfen).

    • @Ciro:

      Das ist aber sehr naiv.

      Der sogenannte Globale Süden verkauft sich gerade im Eiltempo an China - und das schert sich einen Dreck um Umweltschutz und Menschenrechte.

      Die Ausbeutung der Menschen in den Entwicklungsstaaten erfolgt in der Regel keineswegs direkt durch Europäer, sondern durch Einheimische.

  • Großkonzerne finden jede Barriere gut, die ihnen Wettbewerber vom Hals hält und ihre Oligopole schützt. So auch das Lieferkettengesetz.

  • Großkonzerne haben auch kein Problem damit, einfach ein paar Leute einzustellen, die sich dann in Vollzeit um die Lieferketten kümmern.

    Mittlere und kleine Unternehmen dagegen können das oft nicht.

  • Ich verstehe nicht, dass in Zusammenhang mit dem Lieferkettengesetz immer nur wolkig über "Bürokratie" diskutiert wird.



    Kann man nicht mal über Zahlen, Daten, Fakten reden?



    1. Der eigentliche Zweck des Lieferkettengesetzes ist doch die enorme Umweltzerstörung sowie Arbeit in prekären Verhältnissen bzw Kinderarbeit zumindest einzudämmen. In Deutschland läuft doch ein solches Gesetz bereits einige Zeit. Gibt es da schon erste Erkenntnisse über die Wirkung? Gibt es funktionierende Kontrollen?



    Beispiele: Bisher werden ja so gut wie alle Kakaobohnen mittels Kinderarbeit angebaut bzw geerntet, in Bangla Desh ist die Kleidungsherstellung unter extrem unwürdigen Bedingungen geradezu berühmt. Gab es da schon Veränderungen?

    2. Wenn man schon über Bürokratie redet, dann wären Daten schon auch gut. Wie groß ist denn der zusätzliche Aufwand, und warum haben zum Beispiel Schokoladenhersteller nicht schon freiwillig Kontrollsysteme aufgebaut, um der allseits bekannten Kinderarbeit im Kakaoanbau zu begegnen?

    • @Heinz Kuntze:

      Ich kenne die Aufwendungen beim Lieferkettengestz nicht, aber den Nachweis der Abfallverbringung - und das ist ein ziemlicher Aufwand. Selbst wenn man die Prozesse gut implementiert hat, gibt es immer noch reichlich Klärungsbedarf.



      Und frustrierend ist es, dass man das gleiche Ergebnis erzielt mit dem Fälschen oder Manipulieren von Wiegebelegen und das Risiko gering ist und die Strafen lächerlich.

  • Muss die taz immer mehr "Schlagwortjournalismus" im Springer-Stil machen?



    Bürokratie (auch mit Gänsefüßchen) hat nichts mit vergleichbaren Regeln für alle für einen halbwegs fairen Wettbewerb zu tun. Dass man das eine tun und das andere lassen kann, hat schließlich Tradition hierzulande. Schon vor 30 Jahren musste jeder Herkunfts- und Verbleibserklärungen abgeben, bei dem Spuren von DDT gefunden wurden - aber nicht die Verkäufer von österreichischem Käse oder Bioläden mit DDT-behandelten Bananen...

  • Klar, die großen haben sich darauf eingestellt und wollen etwas von ihrer Investition haben - mindestens, um sich kleinere Unternehmen und Newcomer vom Hals zu halten, also den Markt zu ihren Gunsten zu beschränken.

    Es ist lange bekannt: Bürokratie zementiert Oligopole.