EU-Haftbefehl: Deutsche werden kaum ausgeliefert
Polen stellt fast die Hälfte aller Auslieferungsanträge. Die Grünen wollen Auslieferung per EU-Haftbefehl bei kleineren Delikten verhinden.
"Der Europäische Haftbefehl darf nicht für Bagatelldelikte missbraucht werden", das fordert nun Jerzy Montag, der rechtspolitische Sprecher der Grünen. Auch Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) prüft eine Nachbesserung des EU-Rahmenbeschlusses von 2002, teilte die Bundesregierung jetzt auf eine kleine Anfrage der Grünen mit.
Ein EU-Haftbefehl ermöglicht, dass eine Auslieferung ins EU-Ausland binnen weniger Wochen durchgeführt werden kann. Bei 32 Deliktgruppen (von Terrorismus bis Korruption) muss nicht mehr aufwändig geprüft werden, ob die Tat in beiden Staaten strafbar ist. Außerdem können nach einer Grundgesetzänderung erstmals auch Deutsche ins EU-Ausland ausgeliefert werden. 2005 forderte das Bundesverfassungsgericht zwar einen verbesserten Auslieferungsschutz für Deutsche, doch seit etwas mehr als zwei Jahren wird der EU-Haftbefehl auch in Deutschland routinemäßig praktiziert.
Im Jahr 2008 wurden 742 Menschen, die in Deutschland leben, ins EU-Ausland ausgeliefert. Darunter waren allerdings nur 30 Deutsche. Überwiegend fordern die benachbarten EU-Staaten eine Auslieferung eigener Staatsbürger, damit diese im Heimatland vor Gericht gestellt oder ins Gefängnis gesteckt werden können. Fast die Hälfte aller Anträge kommt aus Polen (44,6 Prozent), mit großem Abstand folgt Rumänien (7,7 Prozent), listet die Mitteilung der Bundesregierung auf.
Anfang des Jahres hatte Justizministerin Zypries kritisiert, dass gerade aus Polen und Rumänien auch EU-Haftbefehle kommen, die sich auf kleinere Taten mit einem Schaden von wenigen hundert Euro beziehen. Deshalb wollten die Grünen wissen, wie häufig die beschleunigte Auslieferung für solche Bagatellfälle missbraucht wird. Das konnte die Regierung nun aber nicht sagen, weil es keine entsprechende Statistik gibt. Allerdings erklärte sich Zypries zur Prüfung bereit, ob der EU-Rahmenbeschluss zum europäischen Haftbefehl ergänzt werden müsse. So könnten sowohl der ersuchende als auch der ausliefernde Staat zur Prüfung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gezwungen werden. Jerzy Montag von den Grünen freut sich: "Das haben wir schon 2006 gefordert."
Theoretisch können die deutschen Gerichte heute schon eine Auslieferung für ein Bagatelldelikt verweigern, weil dies gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Laut Bundesregierung haben die Gerichte davon 2008 aber nur dreimal Gebrauch gemacht.
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