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EU-GipfelEmpörung über Kaczynski-Äußerung

Warschau lässt im Streit um Stimmgewicht in der EU nicht locker: Polnische Tote im Zweiten Weltkrieg müssten berücksichtigt werden, so Premier Kaczynski.

"Verlangen, was uns genommen wurde": Regierungschef Kaczynski Bild: dpa

BERLIN taz/dpa/rtr/afp In der Auseinandersetzung über ein höheres Stimmengewicht für Polen in der EU hat Polens Regierungschef Jaroslaw Kaczynski die Berücksichtigung der Opfer des Zweiten Weltkriegs ins Spiel gebracht. Die polnischen Vorschläge für mehr Einfluss orientierten sich an der Bevölkerungszahl, die das Land ohne den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen heute hätte, sagte Kaczynski dem polnischen staatlichen Rundfunk. Der Sender bestätigte am Donnerstag entsprechende Äußerungen des Regierungschefs vom Dienstag.

"Wir verlangen nur das, was uns genommen wurde", sagte Kaczynski danach in einem Interview. "Hätte Polen nicht die Jahre 1939 bis 1945 durchgemacht, wäre es heute ein Staat mit einer Bevölkerung von 66 Millionen, wenn man sich auf demographische Kriterien beruft."

Während des Zweiten Weltkriegs, der mit einem deutschen Überfall auf Polen begann, waren etwa 6,5 Millionen Menschen getötet worden, darunter drei Millionen polnischer Juden. Das entspricht einem Anteil von einem Viertel der Vorkriegsbevölkerung. Polen hat derzeit knapp 38 Millionen Einwohner.

Die Äußerungen Kaczynskis stießen auf deutliche Kritik. Der dänische Ministerpräsident Anders Fogh Rasmussen sagte am Rande eines Treffens der europäischen Liberalen in Brüssel, es sei "absurd", wie Kaczynski die polnische Forderung nach einem höheren Stimmgewicht in der EU begründe.

Rasmussen wies das nachträgliche Aufrechnen von Kriegstoten zurück: "Die Idee, heutige Entscheidungen zu Abstimmungsrechten mit den Folgen des Zweiten Weltkriegs zu begründen, ist absurd."

Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker sagte dem "Handelsblatt": "Die bitterbösen Argumente, die in dieser Debatte von polnischer Seite aus geführt werden, sind nicht akzeptabel." Seit Helmut Kohl hätten alle deutschen Kanzler viel für Polen getan. Gegen Bedenken anderer EU-Staaten hatte sich Deutschland für die schnelle Aufnahme Polens in die EU eingesetzt.

Der Chef der Partei der Europäischen Sozialisten rief Polen auf, nach vorne zu schauen. "An alle polnischen Bürger, bitte denkt in die Zukunft und nicht in der Vergangenheit. Wir haben jetzt mehr gemeinsam denn je", sagte der frühere dänische Regierungschef Poul Nyrup Rasmussen. "Ich könnte auch anfangen, in der dänischen Geschichte zurückzublättern und über den Krieg mit den Deutschen 1864 zu reden. Aber ich mache das nicht."

Auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Stoiber wies die Forderung Kaczynski zurück. "Ich halte diese Äußerung für unmöglich", sagte Stoiber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". "Wenn man die Debatte so führt wie Jaroslaw Kaczynski es tut, kann man die europäische Integration vergessen."

Unmittelbar vor dem europäischen Gipfeltreffen signalisierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) Kritikern wie Polen Gesprächsbereitschaft. Merkel sicherte am Donnerstag in Brüssel zu, dass "jedes Land mit seinem Anliegen sehr ernst genommen wird und kein Unterschied gemacht wird".

Auch die Bedenken Großbritanniens gegenüber dem vorgeschlagenen neuen EU-Vertrag sind zahlreich. Premierminister Tony Blair sieht die Verbindlichkeit der Grundrechtecharta und mögliche Beschränkung der außenpolitischen Kompetenzen seines Landes skeptisch. Er will weniger EU-Kompetenz in der Justiz- und Innenpolitik. Seine Bedenken müssten "voll ausgeräumt werden", sagte Blair.

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10 Kommentare

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  • SK
    Stephan Krubert epunion

    Die Deutschen reagieren ähnlich empfindlich, wenn es um die Vergangenheit geht wie die Türken bezüglich Armenien.

    Wahrlich, eine unglaubliche "Unverschämtheit", wenn sich ein 42 Million Volk selbstbewusst artikuliert.

    Vergessen wir nicht, Deutschland hat POlEN überfallen (das waren unsere Großeltern). Vergessen wir auch nicht, dass in Deutschen Schulen kein Polnisch unterrichtet wird, obwohl Polen unser Nachbarland ist wie Frankreich. Vergessen wir nicht die "Schröder/Putin" - Pipeline, die auch ein Schlag ins Gesicht der polnischen Seele war.

    PS. : Mein Vater musste 1944 aus "Namslau" heute "Namylow" flüchten. Schuld daran waren nicht die Polen, sondern die NAZIS und deren Erfüllungsgehilfen.

    Ich entschuldige mich bei allen Polen - als Deutscher - für die unsägliche Presse in letzter Zeit - bezüglich polnischer Belange. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass ich die "Kazynskis" in vielen anderen Bereichen für kritiwürdig halte und eine andere Regierung in Polen wünschenswert wäre.

     

    Stephan Krubert epunion

    www.epunion.de

  • S
    seehundstation

    die nationalisten kaczynskis beweisen zunehmend ihre politische untauglichkeit.deutlich erkennt man,daß

    sie ausschließlich ihre ca.30 %

     

    -

    anhänger/mitläufer bedienen wollen.armes polen! liebe polen,hoffendlich seid ihr die merkwürdigen,eineiigen zwillinge bald los.noch ist polen nicht verloren.

  • MW
    Martina Watson

    Und wenn der 1. Weltkrieg anders ausgefallen waere, gaebe es praktisch kein Polen... Die Frage ist: wo faengt man an und wo hoert man auf damalige Geschichten - so traurig sie auch sind - in die Zukunft zu zerren?

  • TF
    Thomas Freiberg

    @Federico Santini: Als deutscher Staatsbürger der weit nach Ende des 2. Weltkrieges geboren wurde brauche ich diese Debatte nicht. Was würden Sie denn dazu sagen wenn der italienische Ministerpräsident das Stimmrecht Italiens auf das römische Reich anno 300 n.Chr. beziehen würde?

  • TC
    Tom Clark

    Ein reichlich zynisches Argument, wenn man bedenkt, dass ein nicht ganz geringer Anteil von Herrn Kaczynskis Wählern die Vernichtung der polnischen Juden wohl alles andere als bedauert. Aber vielleicht sind die Deutschen ja auch am polnischen Antisemitismus schuld.

    Als Kartoffel wäre ich beleidigt mit diesem rechtspopulistischen Agitator gleichgesetzt zu werden.

  • FS
    Federico Santini

    @Klaus Böttcher: Ist schon eine dumme Sache, das mit dem 2. Weltkrieg. Irgendwie blöd, was da passiert ist. Und noch blöder, daß irgendwelche polnischen Kamele da ständig dran erinnern. Dabei dachte man, da sei nun endlich, endlich Gras über die Toten gewachsen. Wurde ja auch mal Zeit, das mit dem Vergessen. Und spätestens mit dem Kosovo-Krieg haben die Deutschen ja gezeigt, daß sie das ernst nehmen, mit dem Erinnern, der Verantwortung und so...

    Ernsthaft: Herr Kaczynski hat letztlich nur daran erinnert, daß dieses "Europa" - auch - auf den Schlachtfeldern und Leichenbergen des Zweiten Weltkriegs gewachsen ist. Und da hat er - ausnahmsweise mal - recht.

  • ML
    Manfred Leickel

    Frage an Heinz Simon:

     

    Wieso? Die Polen haben diese Zwillinge doch gewählt. Also haben sie sie doch verdient, oder?

  • CE
    Cornelia Ewald

    Wie kann man denn heute noch Kriegstote einrechnen wollen? Und was ist dann mit denen auf deutscher Seite? Mal die Soldaten außen vor - es sind sehr viele Deutsche in Konzentrationslagern umgekommen oder ausgewandert, weil sie politisch Verfolgte oder Juden waren.

  • HS
    heinz simon

    dieser irreale politiker hat noch reichlich untertrieben. warum nicht auch von den russen ermordete polen, jährl. abtreibungen, selbstbefriedigung statt zeugung usw. hinzuzählen? arme polen, solche typen habt ihr nicht verdient.

  • KB
    Klaus Böttcher

    Von meiner Mutter habe ich ein Sprichwort gelernt:

     

    Wenn über eine dumme Sache mal endlich Gras gewachsen ist, kommt sicher ein Kamel gegangen, das alles wieder runterfrisst.