EU-Datenschutzverordnung: Stalker mit Namen outen oder nicht?
Abgeordnete von CDU und Grünen plädieren für die geplante EU-Datenschutzverordnung. Ein Richter und Bürgerrechtler warnt vor Risken.
BERLIN taz | Als die Hochspringerin Ariane Friedrich im April 2012 einen Stalker outete, war die Aufregung groß. Der Mann hatte ihr per E-Mail ein Foto seines nackten Geschlechtsteils geschickt. Die erboste Sportlerin veröffentlichte daraufhin Namen und Wohnort des Mannes auf ihrer Facebook-Seite.
Unter Datenschützern gilt der Fall als Paradebeispiel für Grundrechtskonflikte im Internet. Früher hätte Friedrich den Namen vielleicht auf dem Trainingsplatz herumerzählt, aber Medien hätten den Namen des Mannes nicht genannt oder zumindest gekürzt. Heute dagegen kann jeder per Facebook, auf YouTube oder im eigenen Blog die ganze Welt informieren.
Müssen sich Datenschützer heute also auch um Blogger und Facebook-Selbstdarsteller kümmern, wenn diese zu freigiebig mit den Daten anderer Menschen umgehen? Das ist eine der noch offenen Fragen, über die derzeit auf EU-Ebene bei der Vereinheitlichung des Datenschutzes diskutiert wird. Das deutsche Datenschutzgesetz und die bisherige 31995L0046:DE:NOT:EU-Datenschutzrichtlinie von 1995 geben darauf keine Antwort.
Nach Darstellung der Bundesregierung prüfen die deutschen Datenschützer derzeit nur Facebook-Seiten, die mehr als 10.000 „Freunde“ aufweisen. „Für viele Fragen der digitalen Welt fehlen gesetzliche Regelungen. Deshalb ist es gut, wenn das Datenschutzrecht jetzt europäisch modernisiert wird“, sagte Innen-Staatssekretär Ole Schröder (CDU) bei einer Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer.
Von Lobbyisten bedrängt
Auch Jan Philipp Albrecht (Grüne) hält eine europaweite Vereinheitlichung für dringend notwendig. „Die meisten Unternehmen, denen wir unsere Daten anvertrauen, verarbeiten diese nicht mehr in Deutschland, sondern in anderen Staaten. Da ist es sehr sinnvoll, wenn überall die gleichen Regeln angewandt werden.“ Albrecht bereitet als Berichterstatter die Position des Europäischen Parlaments vor.
Das Thema wühlt die Abgeordneten auf, die auch von Lobbyisten bedrängt werden. Zum Kommissionsvorschlag für eine Datenschutz-Grundverordnung liegen 4.000 Änderungsvorschläge vor, über die in Straßburg etwa im Mai abgestimmt wird. Bis zum Sommer wollen die Regierungen im EU-Ministerrat eine gemeinsame Position gefunden haben. Anschließend werden Parlament, Rat und Kommission die endgültige Verordnung aushandeln, die nächstes Jahr beschlossen werden soll.
Richter und Bürgerrechtler Ulf Buermeyer von der Digitalen Gesellschaft bezeichnete das neue Datenschutzrecht als „große Chance“. Er warnte aber vor Risiken für die Grundrechte, wenn statt des Bundesverfassungsgerichts künftig der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zuständig ist.
Buermeyer schlug deshalb vor, dass künftig Karlsruhe auch für die Durchsetzung europäischer Grundrechte zuständig sein soll. Der EuGH könnte sich dabei auf die Lösung von Zweifelsfragen beschränken. Allerdings müsse die geplante Verordnung klare Vorgaben zur Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrechten machen, so Buermeyer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin