EU-Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenz: Tödliche Keime, dünne Papiere
Die EU schlägt Alarm: Der Anteil der Bakterien mit Antibiotikaresistenz steigt. Jetzt werden schärfere Regeln für die Medikamentengabe an Tiere diskutiert.
BERLIN taz | In Europa sind immer mehr Krankheitserreger widerstandsfähig gegen Antibiotika, die als letztes Mittel bei Infektionen dienen. Das zeigen Daten, die das Europäische Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) am Donnerstag veröffentlicht hat. Die EU-Kommission erklärte, Antibiotika-Resistenzen seien "zu einem ernstzunehmenden Gesundheitsproblem" geworden.
Jährlich sterben in Europa 25.000 Patienten der Weltgesundheitsorganisation zufolge deswegen, weil die Medikamente nicht gegen die Bakterien wirken.
Ein Beispiel für solche Keime sind die Klebsiella pneumoniae: Der Anteil ihrer Varianten, die gegen Antibiotika vom Typ Carbapeneme resistent sind, an allen Keimen dieser Gruppe stieg laut Behörde ECDC von 2009 zu 2010 in vier EU-Ländern.
In mehreren Staaten waren demnach 15 bis fast 50 Prozent der Klebsiella-pneumoniae-Proben von Patienten mit Blutinfektionen widerstandsfähig gegen die Medikamente. Am höchsten waren die Zahlen in Griechenland und Italien. Die Bakterien verursachen oft Lungenentzündungen und Harnwegsinfektionen. Wenn die Ärzte dagegen Carbapeneme eingesetzt haben, verfügen sie in der Regel über kein weiteres Mittel.
Die Resistenzen des Darmkeims Escherichia coli nehmen der Behörde zufolge europaweit zu. Der Anteil des besonders in Krankenhäusern vorkommenden Staphylococcus aureus mit Antibiotikaresistenz (MRSA) an allen Keimen seiner Gruppe sei in Deutschland, Italien, Ungarn und Slowenien gestiegen. In mehr als einem Viertel der EU-Staaten habe die Quote bei über 25 Prozent gelegen.
Eine Ursache der steigenden Resistenzen ist laut ECDC, dass 50 Prozent der Antibiotikagaben in Krankenhäusern "unangebracht" sein können. Auch der Einsatz von Antibiotika bei Tieren erhöht die Gefahr von Resistenzen, wie die Europäische Lebensmittelbehörde bereits seit Langem warnt.
Eine kürzlich veröffentlichte Studie aus Nordrhein-Westfalen ergab, dass die meisten Masthähnchen während ihres kurzen Lebens die Medikamente bekommen - offenbar auch, damit sie schneller wachsen. Weil die Agrarindustrie zusehends mehr Tiere auf engem Raum hält, werden dort Mutationen der Erreger und damit Antibiotika-Resistenzen wahrscheinlicher.
Die EU-Kommission stellte nun einen Aktionsplan vor, das Problem zu lösen. Darin schlägt sie den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament zum Beispiel vor, den Kampf gegen Infektionen im Gesundheitswesen zu verstärken.
Die Regeln für Tierarzneimittel sollen überprüft werden. Neue Vorschriften könnten verhindern, dass Tiere überhaupt erkranken. Zu den konkretesten Vorschlägen gehört jener für eine Rechtsgrundlage dafür, die Antibiotikaresistenz von Erregern bei Tieren zu überwachen.
Besonders diesen Punkt begrüßte der europäische Bauernverband Copa-Cogeca. Der Koordinator der Grünen im Agrarausschuss des EU-Parlaments, Martin Häusling, dagegen kritisierte, dass die Kommission zu unkonkret bleibe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus