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ESC-Kolumne #Queerjungfrauen IDie allerletzte Ecke

„Industrial Chic“: Für den ESC wurde in Kopenhagen eine alte Werfthalle TV-tauglich renoviert. Auch das umliegende Ödland wird tüchtig aufgemöbelt.

Die Meerjungfrau nimmt den Rummel um den anstehenden ESC gelassen hin. Bild: dpa

L ocations sind für einen Eurovision Song Contest nicht leicht zu finden. Früher reichte ein TV-Studio (in London 1963) oder ein Revuetheater (in Dublin 1971). Aber seit der ESC nicht allein ein Fernsehereignis ist, sondern in seiner Inszenierung durch Fans an Ort und Stelle zum Event wurde (das war 1998 in Birmingham), braucht es für eine TV-Produktion diesen Kalibers größere Hallen.

Allein: Kopenhagen hat in der nötigen Größe zwischen Fußballstadion und Konzertsaal nichts zu bieten – die Multifunktionshalle, wie sie der ESC mit durchschnittlich 13.000 Zuschauern braucht, ist in der dänischen Hauptstadt gerade erst in Planung. So kam man bei Danmarks Radio, dem dänischen TV-Sender der Öffentlich-Rechtlichen, mit Hilfe der Stadt Kopenhagen auf eine vielleicht zunächst bizarre Idee: Am allerletzten Ende jenes Stadtgebiets, das es zur Ostsee mit einem wallartigen Inselchen abschließt und Amager heißt, liegt ein altes Werftgelände.

Die B&W-Halle auf dem inzwischen „Eurovision Island“ genannten Flecken ist ein ziemlich Erinnerungsort der dänischen Schiffsindustrie und zugleich der dänischen Arbeiterbewegung. Hier, in Sichtweite der Meerjungfrau auf der anderen Seite des Kanals, ist das erste Dieselschiff mit Supertonnage gebaut worden. Hier erstritten die gewerkschaftlich vorzüglich organisierten Arbeiter der Werft in den frühen Achtzigern die 35-Stunden-Woche. Das Unternehmen ist längst bankrott, Dinge des Werftwesens werden inzwischen in Asien profitabler erledigt.

Wie es ein Stadtplaner gestern erwähnte: Kopenhagen war nach dem Niedergang der klassischen Industrie in Dänemark ein verwahrlostes Stück Stadt. Die Wiedergeburt zum Schönen begann schließlich Ende der Neunziger. Nicht allein, dass die Brücke nach Schweden die dänische Hauptstadt von einer gewissen Randlage befreite, auch der Umstand, dass die Stadt Terrains aufkaufte für Wohnungsbau und moderne Unternehmen und alle Projekte unter strikten Schönheitszwang stellte, machte aus Kopenhagen eine der feinsten Adressen in Europa.

ESC auf taz.de

Für taz.de berichtet ESC-Experte und taz-Redakteur Jan Feddersen, seit dem 1. Mai aus Kopenhagen. Er beobachtet und analysiert für die politischen – europäischen, dänischen, queeren – Umstände dieses Festivals.

Am 10. Mai werden wir den ESC bei taz.de mit einem Liveticker begleiten.

Nur Refshaleöe, dieses kleine Gebiet, auf dem die hohe, betoneingefasste Werfthalle steht – wörtlich: Fuchsschwanzinsel – , blieb ein Schmuddelfleck. Man sieht es während dieser Eurovisionstage noch eindrücklich: Die Halle wurde binnen einiger Monate TV-tauglich renoviert. Nun sieht das Gebäude immer noch hässlich aus, wenn auch im Stile des „Industrial Chic“, aber man erkennt, wie gut das Alte mit dem Neuen harmonieren kann.

Der ölige Geruch von schwerer Arbeit

Kommt man allerdings aus der TV-Produktionsstätte, ist alles wie immer: Kaum gepflasterte Straßen, sandige Wege, der ölige Geruch von schwerer Arbeit liegt in der Luft. Dieser ESC ist wirklich eine Brücke zwischen alter und neuer Arbeitswelt. Aber auch dieses Terrain wird modernisiert, und wahrscheinlich wird die Halle der einstigen Werft ein pittoreskes Überbleibsel verrosteter Zeiten werden: Am Horizont vor der Halle sieht man schon die schicken Betriebs- und Wohnbauten des neuen Kopenhagen.

Allerdings muss man sich Mühe geben, in diesen Neubauten nicht die Ästhetik des Rumänien unter Nicolai Ceausescu zu sehen. Einer aus der österreichischen Delegation kommentierte gestern: Hier sieht es ja arg modern aus – wie in Osteuropa unter Hammer & Sichel, gar nicht a bissel wie in Wien.

Wie in dessen erstem Bezirk, möchte man anfügen – auch die Nachfahren der Habsburger kennen prekäre Gebiete in ihren Gebieten. Es ist eine tatsächlich ungewöhnliche ESC-Produktion, die sich acht Tage vor dem Finale am 10. Mai abzeichnet: Auf den TV-Schirmen wird man nicht sehen, dass die Hülle für die Performances mitten im Ödland angesiedelt ist – das durch den ESC tüchtig aufgemöbelt wird.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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