EMtaz: Höwedes als DFB-Linksverteidiger: Noch wichtiger als Podolski
Ein Mann für alle Fälle: Es spricht einiges dafür, dass Höwedes auch gegen Polen startet. Seine Stärken sind die Defensive und seine Willenskraft.
Seit Dienstag gilt Lukas Podolski als der beste Verteidiger der deutschen Nationalmannschaft. Doch er spielte nicht in einer neu formierten Dreierkette neben den Defensivspezialisten Jérôme Boateng und Shkodran Mustafi, sondern sprang auf einer Pressekonferenz Joachim Löw zur Seite. Heiß diskutierte TV-Aufnahmen hatten den Bundestrainer in einem Moment gezeigt, als er sich unbeobachtet fühlte, genauer gesagt beim „Eierkraulen“, wie Podolski erfrischend offen formulierte.
Im zweiten Gruppenspiel gegen Polen (Donnerstag, 21 Uhr, ZDF) ist Podolski aber keine ernsthafte Option für die am schwersten zu besetzende rechte Außenverteidigerposition. Aller Voraussicht nach wird Benedikt Höwedes diesen Part wie beim EM-Auftakt gegen die Ukraine übernehmen.
Mit ihm verbindet Löw eine ähnlich große Loyalität wie mit Podolski. Zur Überraschung aller vertraute der Bundestrainer dem gelernten Innenverteidiger bei der WM 2014 die vakante linke Abwehrseite an, obwohl er gerade erst eine längere Verletzung auskuriert hatte. Höwedes dankte es mit soliden Leistungen.
Auch vor diesem Turnier hatte keiner so recht mit dem 28-Jährigen gerechnet. Links hatte sich mittlerweile Jonas Hector etabliert. Zudem setzte Höwedes ein Muskelfaserriss monatelang außer Gefecht. Erst am letzten Bundesligaspieltag bestritt der Schalker wieder eine Partie über 90 Minuten. Doch weil Löw nach dem Abschied von Philipp Lahm zwei Jahre auf dieser Position vergeblich nach einem Nachfolger fahndete – Ginter, Rudy oder Can konnten sich nicht wirklich empfehlen –, setzt er nun wieder auf den vielseitig verwendbaren Höwedes.
Defensiv hui, offensiv pfui
Eine wenig erprobte Variante, wie man gegen die Ukraine sehen konnte. Es mangelte sowohl an der Abstimmung mit den Abwehrkollegen als auch mit den Vorderleuten im Mittelfeld. Aber all das lässt sich wie bei der WM 2014 mit der Zeit verfeinern.
Löws kurzfristige Rückbesinnung auf Höwedes hat ein wenig den Charakter einer Notlösung. Lieber hätte er wohl einen Spieler mit einer längerfristigen Perspektive auf dieser Position aufgebaut. Für Höwedes mag nun gesprochen haben, dass er sich von derlei nicht so schnell beirren lässt: „Ich bin ein Typ, der Sachen annimmt, ohne groß zu hinterfragen, ob ich es kann, oder nicht.“
Jogis Jungs für Frankreich
Wobei er durchaus seine Grenzen kennt. Er werde niemals ein Dani Alves werden, hat er in Anspielung auf seine begrenzten Offensivqualitäten bemerkt. Und in Brasilien sagte er einst: „Es ist nicht meine Aufgabe, mit meinem starken linken Huf sensationelle Flanken zu schlagen.“ Höwedes beschränkt sich darauf, die einfachen Dinge mit großer Entschiedenheit zu tun. Zweikampf- und kopfballstark sei er, hob Torhüter Manuel Neuer jüngst hervor.
Höwedes Stärke: Willenskraft
Sie kennen sich schon lange aus gemeinsamen Schalker und Juniorenauswahlzeiten. Höwedes war eigentlich schon immer dabei. Wenn vom Titelgewinn der U21-EM 2009 die Rede ist, der als Geburtsstunde der goldenen deutschen Fußballgeneration gilt, fallen stets die Namen Neuer, Boateng, Hummels, Özil und Khedira. Dass damals auch Höwedes mitwirkte, erinnern die wenigsten.
Mit seiner Willenskraft hat er es nun erneut nicht nur in den EM-Kader, sondern gleich auch in die Stammelf geschafft. Gegen die offensiv mit Robert Lewandowski und Arkadiusz Milik stark besetzten Polen wird die deutsche Abwehrreihe noch einmal mehr gefordert sein.
Empfohlener externer Inhalt
Und Höwedes wird wohl wieder beginnen. Schließlich spiegelt seine Nominierung auch Löws Sicherheitsdenken zu Beginn des Turniers. Joshua Kimmich und Can, die auch rechts spielen könnten, zeichnet eher ihr Vorwärtsdrang aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren