EMtaz: Fußball in den Benelux-Staaten: (Dabei)Sein und Nichtsein
Das Dorf Baarle liegt in Belgien und den Niederlanden. In Zeiten der EM bedeutet das eine ganz besondere Art der Gleichzeitigkeit.
Ein paar Schritte weiter sieht das alles ganz anders aus. Durch ein Schaufenster mit Pyjamas ziehen sich Plastikfähnchen in Schwarz, Gelb und Rot, und auch die Blumengirlanden auf den Torsos bei Beate Uhse tragen belgische Farben, wobei die Pyjamas in Belgien liegen und die Puppen in den Niederlanden stehen. Ach ja, Puzzle-Stückchen – die sieht man hier überall. An jeder Ecke finden sie sich auf Fahnen, auf denen steht: „Zusammen sind wir Baarle.“
Das seltsamste Dorf der Welt – so nennt sich Baarle selbst gern. „Ein Dorf, zwei Kommunen, 30 Enklaven, zwei Länder“ steht auf einer digitalen Werbetafel im Zentrum, wo an diesem Nachmittag ein paar ausgebüxte Hühner herumstolzieren.
Es liegt nicht an der Grenze, es ist die Grenze. Oder ist die Grenze Baarle? Kreuz und quer zieht sie sich durch den Ort, der in den Niederlanden Baarle-Nassau heißt und in Belgien Baarle-Hertog. Manchmal läuft man nur ein paar hundert Schritte, um über eine Markierung im Asphalt wieder die Seite zu wechseln.
Absenz und Favoritenrolle
Für die Fußball-EM bedeutet das die Gleichzeitigkeit von Absenz und Favoritenrolle. Am Abend steigen die roten Teufel gegen Italien ins Turnier ein. Die Vorfreude darauf ist freilich leiser, als es bei den orange Dorfgenossen der Fall wäre.
„Wir warten lieber erst einmal ab, wie die ersten Spiele sind. Wenn du in den Niederlanden eine Umfrage macht, wer Europameister wird, sagt sicher immer noch die Hälfte: ‚Wir‘“, lacht die Verkäuferin in einem Tabakgeschäft etwas abseits des Zentrums. Vom Schaufenster blicken Axel Witsel, Vincent Kompany und Toby Alderweireld hinein.
Verkäuferin
Von solchen Läden gibt es in dieser Straße übrigens jede Menge. Sie tragen Namen wie „World Tabak“ oder „Shag Center“, wobei Shag auf Niederländisch und Flämisch „Tabak“ bedeutet. Die zweite Boombranche, die im belgischen Baarle mehrfach vertreten ist: Feuerwerk. Werden die niederländischen Nachbarn es etwa am Ende für die rroten Teufel krachen lassen?
Im frisch eröffneten Café „Raef“ ist man immerhin mit den Vorbereitungen für das erste Spiel beschäftigt. Der junge Betreiber schließt Beamer und Laptop an, und sofort verrät der Akzent: dies ist der öffentlich- rechtliche niederländische Sender.
EM auf Großschirm
Das „Raef“ wiederum, sagt eine Tafel an der Wand neben dem Schreibschrift-Graffito ‚Je Moeder (Deine Mutter)‘, war einst das Stadthaus von Baarle-Nassau. Heute ist es eines der wenigen niederländischen Etablissements, das die EM auf Großschirm ankündigt. Was freilich daran liegt, dass die Gastronomie sich in Baarle-Hertog konzentriert.
Zwei große Fans der roten Teufel werden den Auftakt verpassen. Mieke Krijnen, Chefin von „Krijnen Rauchwaren“, baut wegen einer Renovierung mit ihren Angestellten ein provisorisches Geschäft auf dem großen Parkplatz auf. Eimer, aus denen sich „bis zu 610 Zigaretten“ drehen lassen, türmen sich vor dem Container.
Mieke Krijnen, Belgierin, tippt auf 2:1. Ihre Mitarbeiterin Anne-Claire Van Riel, Niederländerin, belgischer Mann, belgische Kinder, die bei dem niederländischen der beiden Dorfclubs kicken, schwärmt noch von der WM. „Damals war das Tourmalet halb orange und halb rot.“ Sie weist quer über den Parkplatz auf ein niedriges Lokal, das schwarz-gelb-rot verziert ist. Unübersehbar das Epizentrum eines Turniersommers in Baarle.
Im Interieur freilich multipliziert sich der teuflische Tinnef noch einmal. Die Wände der hölzernen Gaststube sind mit Teamfotos, Fahnen und rot-schwarzen Dreizacken bedeckt.
Spott der Nachbarn
Wouter Godschalk und Jens Verheijen, Freunde seit dem Kindergarten und heute Anfang zwanzig, freuen sich vor allem, dass Belgien nun einmal Baarle vertritt, nach all den Jahren, in denen sie sich den Spott der niederländischen Nachbarn anhören mussten.
Zugleich sind sie kritisch: „Das Team ist nicht mehr so gut wie 2014. Vor allem Kompany fehlt in der Abwehr.“ Wenig später schlägt es zum 0:1 ein. Natürlich wird es auch im Tourmalet immer stiller. Bas Van Gorp, ein Niederländer, wird die Teufel selbstverständlich weiter anfeuern. „Das Viertelfinale“, meint er, „das sollte doch schon drin sein.“
Draußen fährt ein kleines Auto mit einer belgischen Fahne am Dach am Tourmalet vorbei. Ein kurzes, zaghaftes Hupen, dann verschwindet es auf der Straße, die tiefer nach Belgien hineinführt. Der Korso muss warten.
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