EMtaz: Flüchtlinge und die EM: Hoffen auf Deutschland
Die Bewohner einer Berliner Unterkunft unterstützen die Elf von Joachim Löw. An ihre Zeit in Italien haben viele sehr schlechte Erinnerungen.
Das war im November 2014. Es war kalt. „Wir mussten auf der Straße schlafen, durften nicht arbeiten und hatten nichts zu essen“, erinnert sich Seleban an die widrigen Umstände. Wie viele Flüchtlinge wollte er nur eins: raus aus Italien. Weiter. Nach Deutschland.
Hier musste er fast ein Jahr lang eine Dublin-Rückführung nach Italien fürchten. Mit viel Geschick hat seine Anwältin das für den behinderten Somali abgewendet. Als sie ihm die freudige Nachricht übermittelt hatte, legte er ein italienisches Fußballtrikot vor seine Zimmertür.
Das hatte er in Italien in einer Kleiderkammer abgestaubt und getragen, als er in Deutschland ankam. Nun diente es als Fußabtreter. Mit seiner ganzen Leidenschaft trat der junge Somali immer wieder darauf herum. Über Wochen. Bis es verschlissen war.
Fußball verbindet
Seleban wohnt in einem AWO-Wohnheim in Berlin-Treptow. Hier sind ausschließlich Männer untergebracht, und Fußball ist für die Flüchtlinge aus verschiedenen Staaten ein wichtiges und verbindendes Thema.
Das Heim hat ein eigenes Fußballteam, das am offiziellen Liga-Geschehen teilnimmt. Die Männer aus Syrien, Afghanistan, Somalia, Pakistan und Eritrea kicken als dritte Männermannschaft des FC Treptow in der Kreisliga C.
Während der Fußball-EM geht es an den Abenden heiß her. „Natürlich sind wir für Deutschland“, sagt Mobarak, ein junger Afghane, der im Heimteam mitspielt. „Wir wohnen doch hier.“
Reza, ein anderer Afghane, hat bisher als einziger Heimbewohner die spanische Mannschaft angefeuert, „weil die den besten Fußball spielen“. Dass ausgerechnet Italien, das auch er mit Hunger und Obdachlosigkeit in Verbindung bringt, sein Lieblingsteam rausgeworfen hat, ärgert ihn. Und somit wird auch er heute das deutsche Team anfeuern.
Fastenbrechen in der ersten Halbzeit
Spiele, die um 21 Uhr angesetzt sind, bergen im Flüchtlingsheim eine Tücke. Mitten in die erste Halbzeit fällt für gläubige Muslime das Fastenbrechen. Da darf man das erste Mal seit der vergangenen Nacht essen und trinken.
Vor dem Beginn des Spiels muss man eine Kochplatte in der Gemeinschaftsküche ergattern und kochen. Nicht alle, aber viele nehmen das mit dem Fasten genau. Da werden die pakistanischen Mehlspeisen und irakischen Reisgerichte dann vor dem Fernseher verzehrt. Schließlich will doch niemand verpassen, wie es die deutsche Mannschaft den Italienern zeigt. Wie man Fußball spielt, aber auch, wie man Flüchtlingen eine Chance gibt.
Die Autorin hat von Juni 2014 bis Juni 2016 in einem AWO-Flüchtlingsheim gearbeitet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich