EMtaz: Die Gesellschaftskritik: Coach-Cam abschalten?
Die Coach-Cam liefert voyeuristische Bilder für voyeuristische Medien, die mit voyeuristischen Zuschauern Quote machen wollen.
Sich am Sack kraulen ist wie onanieren: Die einen machen es, und die anderen geben es nicht zu. Dank der sogenannten Coach-Cam wissen wir jetzt, dass sich auch der Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft der Herren an die Genitalien gefasst hat. Dank dieser Kamera, die während eines Spiels permanent auf den Coach gerichtet ist, wissen wir sogar, dass Joachim Löw anschließend an seinen Fingern gerochen hat. So weit, so belanglos.
Wenige Tage später erfahren wir noch mehr aus dem Innenleben des 56-jährigen Mannes, der Werbung für Kosmetikprodukte macht. Er scheint ein inniges Verhältnis zu seinen Körpergerüchen zu haben; schließlich hat er – in der Aufregung des Spiels gegen die Slowakei – in seine Achsel gefasst und anschließend an den Fingern geschnuppert. Auch das ist belanglos. Wer aufgeregt ist, transpiriert stärker, und dieses naturwissenschaftliche Phänomen hat Löw vermutlich festgestellt.
Der Witz ist: Es geht uns einen feuchten Kehrricht an, ob und wie oft Löw sich selber riechen will. Er ist Trainer und soll sein Team richtig auf den Gegner einstellen. Dass er bei jedem Spiel mitfiebert, ist das Normalste der Welt. Wie er in Stresssituationen reagiert, ist so lange seine Privatsache, solange er niemanden dabei schädigt. Löw ist zwar eine öffentliche Figur, aber er ist kein Schauspieler auf der Bühne, der sich immer im Griff haben muss.
Die Coach-Cam klärt nicht auf; sie liefert nur voyeuristische Bilder für voyeuristische (Online)-Medien, die mit voyeuristischen Zuschauern Quote machen wollen, um mehr Werbung zu verkaufen. Das ist widerlich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour