piwik no script img

EM-Finale und TurnierbilanzEuropameisterschaft der Zerstörerinnen

Die Engländerinnen haben spielstärkere Spanierinnen bezwungen, es ist das logische Ende dieser EM. Eine Spielidee mit Ball hatten nur wenige Teams.

Wirklich geglänzt hat das englische Team erst, als das Finale vorüber war Foto: Michael Probst/ap

Wie sonst hätte dieses Turnier enden können? Natürlich musste es eine Verlängerung geben im Finale zwischen England und Spanien, so wie fast immer in diesem Turnier. Beinahe folgerichtig war es auch, dass es wieder ein kurioses Festival des Scheiterns im Elfmeterschießen geben würde: Spanien versagten bei drei von vier Schüssen die Nerven.

Und wie hätte dieses Turnier sonst enden sollen als wieder mal mit einem späten Sieg der Engländerinnen und einem entscheidenden Tor von Chloe Kelly? Es war Kelly, die das Team in den Partien gegen Italien und gegen Schweden gerettet hatte, und Kelly, die im Finale die entscheidende Flanke zum 1:1-Ausgleich durch Alessia Russo schlug. Und natürlich war es Kelly, die den letzten Elfer zur Titelverteidigung verwandelte.

Über weite Strecken wirkte dieses Finale wie eine Zusammenfassung, eine Art seltsam erwartbarer Best-of-Schnipsel des Turniers. Als seien dem Fußballgott auf dem letzten Meter die Ideen ausgegangen.

Heilsbringerin von der Bank

Und am Ende jubelt Chloe Kelly. In einem Turnier ohne überragende Stars hat die unglaubliche Einwechselspielerin Kelly das Märchen des Turniers geschrieben. Jedes Mal, wenn sie den Platz betritt, impft die 27-jährige Stürmerin dem englischen Team neue Energie ein. Verlässlich wie ein Uhrwerk erfüllt sie ihre uneigennützige Rolle von der Bank. Ihr Ruf als Heilsbringerin hat sich derart zur selbsterfüllenden Prophezeiung verwandelt, dass torjubelartige Lärm im Stadion aufbrandet, sobald sie nur eingewechselt wird. Mit Kelly, so glaubt dieses Team, wird alles gut. Und dann wird auch alles gut.

„Chloe Kelly hat einfach diese Haltung und dieses Selbstvertrauen, das man nicht kaufen kann“, schwärmt Teamkameradin Lucy Bronze. „Sie ist eine der Spielerinnen, die man im eigenen Team haben will, nicht im gegnerischen.“ Kelly selbst erklärte über den Elfmeter ruhig: „Ich war cool, ich war gelassen und ich wusste: Den mach ich rein.“ Es sagt aber auch viel über diese EM, dass zur markantesten Spielerin des Turniers die Kämpferin Kelly wurde, eine Straßenfußballerin aus London, deren Klubkarriere zuletzt wenig Glanz bot. Es ist eher ein Turnier des Ringens gewesen als des schönen Fußballs. Drei von vier Halbfinalisten – Italien, Deutschland und England – spielten pragmatischen Defensivfußball. Letztlich hat dieser Pragmatismus in einem eher zähen Finale gegen die Künstlerinnen aus Spanien gesiegt.

Das wirkte auch im Nachgang bizarr. Denn wie gegen Schweden und Italien schien das Team von Sarina Wiegman nach dem 0:1-Rückstand schon halb geschlagen. Spanien war offensiv deutlich überlegen, kombinierte hinreißend, dominierte phasenweise nach Belieben. Doch wie so oft hatte England die größere Resilienz und Flexibilität, wechselte klug, spielte eklig – und siegte.

Wiegmans Elf praktiziert jenen Zerstörerfußball, den Bundestrainer Wück vielleicht gern gespielt hätte. Die englische Strategie funktionierte auch, weil sie viel intelligenter war als die deutsche. Die Engländerinnen pressten in ihren besseren Phasen hoch, standen den Spanierinnen auf den Füßen, hielten sie oft weit vom Strafraum fern und lauerten auf Chancen, die ihnen die schludrige spanische Defensive bot. Ein schönes Spiel freilich ergab das nicht. Spanien konnte sein gefürchtetes Kurzpassspiel zu selten in echte Torchancen ummünzen, England war mit der Blockade ganz zufrieden.

Spanische Glaubenssache

Wer wollte Aitana Bonmatí da den Zorn über die Betonmischerinnen verdenken? „Für mich ist England ein Team, das in der Lage ist, nicht gut zu spielen und trotzdem zu gewinnen“, schimpfte sie. „Manche Teams brauchen nicht viel, um zu gewinnen.“ Tatsächlich war die englische Leistung eigentlich nicht genug für einen EM-Titel.

Kräftig mitgeholfen haben allerdings die Spanierinnen selbst. Der spanische Fußball ist eine Glaubenssache. Geduldig in Passdreiecken durchkombinieren, schön muss es sein. Ein Plan B fehlte dem Team oft. Mal einen Ball von der Strafraumkante draufzimmern, mal nicht durch die zugestellte Mitte kombinieren oder es nicht unbedingt mit einem Hackentrick versuchen – ein Schuss Pragmatismus. Das spanische Spiel ist bisweilen sehr ideologisch. England steht für das Gegenteil. Ein Team, das fußballerisch an rein gar nichts glaubt. Außer an den Sieg.

Vielleicht sind die Engländerinnen die folgerichtigen Gewinnerinnen dieser EM. Eine Spielidee mit Ball hatten wenige Teams, neben Spanien am ehesten die Französinnen und die Schwedinnen. Beide scheiterten früh, jeweils gegen Teams, die sich weigerten, am Spiel teilzunehmen. Es war ein Turnier der Zerstörerinnen. Das ist keine gute Nachricht für den Fußball. Ein wenig kann man sich da erinnert fühlen an die letzte Männer-EM. Auch dort hielten die Spanier einsam die Fahne des schönen Spiels hoch. Auch dort waren die Engländer besonders unbeliebt, die sich mit Minimalaufwand durchs Turnier schleppten. Und auch da lautete das Finale England gegen Spanien. Wie zudem zur Frauen-WM 2023.

Das Spiel der Männer und Frauen gleicht sich in den Nationalteams zunehmend an. Einen geschlechterübergreifend ähnlichen Spielstil praktiziert man nunmehr vielerorts. Da erstaunt es nicht, dass auch taktische Entwicklungen rüberschwappen. Diesmal ging der Titel an die Minimalistinnen aus England. Es dürfte nicht das letzte Finale zwischen den beiden Denkschulen sein. „Das können wir hier so nicht stehen lassen“, hat Bonmatí angekündigt. Die Weltfußballerin wirkte nach dem Finale geschockt. „Das ist einfach grausam.“

Durchgespielt mit gebrochenem Schienbein

Obwohl sie keine Partie aus dem Spiel heraus verloren und in sechs Partien 18 Tore erzielten, blieb den Spanierinnen nach dem vom Rubiales-Übergriff überschatteten WM-Titelgewinn ein weiterer Triumph versagt. Vielleicht auch, weil sie gegen große Gegnerinnen zu wenig machten aus ihrem Vorteil.

Gute und besondere Geschichten schrieb das Finale dennoch. Neben jener um Chloe Kelly etwa die unglaubliche Geschichte von Lucy Bronze, die nach dem Finale bekannte, sie hätte das ganze Turnier mit einem gebrochenen Schienbein durchgespielt. Oder die Geschichte vom unglaublichen dritten EM-Titel in Serie für Sarina Wiegman.

Solche Bilanzen waren zuletzt in den Neunzigern für die Deutsche Tina Theune möglich, in einer anderen Zeit mit kaum konkurrenzfähigen Teams. Was die brillante Taktikerin Wiegman erst mit dem niederländischen, dann mit dem englischen Team schafft, kann man kaum hoch genug einschätzen. Nicht zuletzt haben diese Engländerinnen für den politisch stabilsten Moment des Turniers gesorgt, als sie ihrer rassistisch angefeindeten Mitspielerin Jess Carter Rückendeckung gaben. Es gibt schlechtere Titelgewinnerinnen.

Fairplay fürs freie Netz

Auf taz.de finden Sie unabhängigen Journalismus – für Politik, Kultur, Gesellschaft und eben auch für den Sport. Frei zugänglich, ermöglicht von unserer Community. Alle Inhalte auf unserer Webseite sind kostenlos verfügbar. Wer es sich leisten kann, darf gerne einen kleinen Beitrag leisten. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare