E-Book Bibliotheksverbund "Onleihe": "Es wird andere Verleihmodelle geben"
Hunderte Bibliotheken beteiligen sich an einem Internet-Verleihmodell. Jörg Meyer, Chef des Onleihe-Unternehmens DiViBib, erklärt, wie "Onleihe" funktioniert.
taz.de: Herr Meyer, mit "Onleihe" versuchen die deutschen Bibliotheken, ihr Angebot auch auf das Internet auszudehnen. Ist das angesichts des Trends zu günstigen E-Books eine Art von Überlebensstrategie?
JÖRG MEYER: E-Books sind in Deutschland derzeit preisgebunden, deswegen sind sie nicht günstig oder teuer. Ich würde sie eher als praktisch bezeichnen, da der Nutzer eines E-Mediums dieses zu jeder Zeit und ortsunabhängig herunterladen und nutzen kann. Öffentliche Bibliotheken möchten diese neue Medienart - neben Büchern, Audio, Video oder Musik - ihren Nutzern ebenfalls anbieten, wenn diese danach fragen.
Wie funktioniert das Modell? Bei einer physischen Bibliothek gibt es eine gewisse Anzahl Bücher, die verliehen werden - danach ist Schluss. Die digitale Kopie lässt sich, jedenfalls dann, wenn der Kopierschutz mitspielt, beliebig oft anfertigen.
Wir haben das Modell der physischen Ausleihe in die digitale Welt übertragen. Eine erworbene Kopie eines E-Mediums berechtigt zu einer zeitlich befristeten Ausleihe. Nach Ablauf steht das Medium einen neuen Nutzer zur Verfügung. Dies ist die Regel, die eine gerechte Vergütung der Lizenzgeber berücksichtigt. Wir respektieren zu 100 Prozent die mit den Verlagen geschlossenen Verträge.
Ist es schwierig, die notwendigen Rechte einzuwerben?
Als es 2007 los ging, war viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Inzwischen ist diese Medienart auch für die Verlage wichtig geworden. Allerdings wird kein Verlag mit uns einen Vertrag schließen, wenn wir eine kostenfrei Distribution seiner Lizenz im Netz zulassen würden. Heute zählen so große Verlagshäuser wie Random House, Campus, Hanser, Langenscheidt, Süddeutscher Verlag, etc. zu unseren Lieferanten.
Wie viele Bibliotheken machen bei Onleihe mit? Kostet der Dienst die Häuser so viel wie das Anschaffen "echter" Bücher?
Derzeit sind es 350 Bibliotheken. Bis Ende 2012 hoffen wir 550 bis 600 Bibliotheken am Netz zu haben. Der Preis für E-Books richtet sich nach dem vom Verlag festgelegten Preis.
Und was zahlt der Nutzer?
Die Kosten für die Nutzer legt jede Bibliothek im Rahmen ihrer gültigen Gebührenordnung fest. Unser Kunde ist ausschließlich die Bibliothek.
Wie gehen Sie mit Kompatibilitätsproblemen um? Wird für jede Plattform ein eigenes Leseprogramm benötigt?
Es existiert ein Kompatibilitätsproblem auf den Endgeräten, aber nicht auf unserer Plattform. Glücklicherweise arbeiten die meisten Systeme mit dem E-Book-Format des Softwareherstellers Adobe, mit Microsofts Media-Player oder eben den Apps für die Apple- und Android-Welt. Wir versuchen, mögliche Änderungen zu antizipieren und rechtzeitig anzubieten. Die Überallnutzbarkeit ist wichtig für den Erfolg des Modells.
Der E-Commerce-Riese Amazon hat in den USA bereits einen Leihdienst für seinen E-Book-Dienst Kindle im Angebot. Man kann sowohl Bücher, die man besitzt, an andere Nutzer verleihen, als auch auf eine Bibliothek zugreifen. Macht das die Bibliotheken kaputt?
Das Amazon-Angebot ist sicher eine große Herausforderung. Allerdings will Amazon mit dem Verleihmodell immer Geld verdienen. Das Angebot der Bibliotheken ist im Rahmen der normalen Gebührenordnung für den Nutzer attraktiver im Preis. So wie es heute Bibliotheken und Buchhandlungen gibt, so wird es auch morgen Bibliotheken und Amazon und andere Verleihmodelle geben. Amazon ist im Übrigen auch nur ein Buchhändler.
Selbst Amazon hat in den USA Probleme, genügend Rechte zu erwerben. Geht der Trend dazu, dass die Verlage das Leihgeschäft selbst abwickeln?
Wir verhandeln derzeit ausschließlich Rechte für den Verleih über Bibliotheken nach dem oben beschriebenen Modell. Neue Lizenzmodelle werden sicher in den nächsten Jahren entwickelt werden. Entscheidend ist, was die Verlage zulassen wollen und wie ökonomisch attraktiv das Lizenzmodell für die Rechteinhaber sein wird.
Onleihe ist ein zentralisierter Dienst. Ist das Angebot jeder teilnehmenden Bibliothek gleich?
Nein, jede Bibliothek entscheidet selbst, welches E-Medien-Profil sie ihren Nutzern zur Verfügung stellen möchte und welche Medien sie dann erwirbt. Nur die von ihr erworbenen Medien stehen den Nutzern dieser Bibliothek zur Verfügung.
Sie verleihen auch Zeitschriften und Zeitungen. Wie funktioniert das?
Natürlich arbeiten die Verleger auch hier mit uns zusammen. Mit allen gibt es gültige Verträge. Im Prinzip funktioniert es wie bei einem E-Book - lediglich die Ausleihdauer ist wesentlich verkürzt. Dies ist verständlich wegen der Wichtigkeit der Aktualität.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren