Dystopischer Debütroman: Generation Stecklinge
Eine Begegnung mit der Kieler Schriftstellerin Zara Zerbe, ihrem dystopischen, aber dabei wunderbar leichtfüßigen Debütroman – und ihrem Hund.
Zara Zerbe hat ihren Hund dabei. Ein schönes Tier, kurzes, glattes und dichtes Fell, ein Mix aus Beagle und Jack Russel. „Nicht springen!“, sagt sie, da ist er kurz hochgesprungen, legt sich nun aber sofort zu ihren Füßen und schaut, was passiert. Wir sind in Kiel, unten am Fuße der Förde. Draußen sieht es nach Nieselregen aus, drinnen zischt und röhrt es, gleich kommt der Kaffee in zwei Gläsern, und auf dem Tisch liegt ein Buch: „Phytopia Plus“.
Dahinter verbirgt sich Zara Zerbes angenehm leichtfüßiger Debütroman; unterhaltsam, klug, spannend auch und dramaturgisch geschickt ausgelegt – für den Fall, dass man kurz erschrickt angesichts des Textes auf dem Buchrücken: „Brütende Hitze, Artensterben, Dürreperioden, leere Supermärkte.“
Unaufhaltsam drückt da die Elbe ihr trübes Wasser hinein nach Hamburg, eine Stadt, die längst aufgeteilt ist in eine abgehängte, teilweise überschwemmte Süd- und eine Nordstadt, noch einigermaßen trocken und intakt. „Ich dachte, ich verpasse Hamburg mal ein bisschen New Orleans“, sagt Zerbe und nimmt den ersten Schluck Kaffee.
Ihre freundlich-chaotische Heldin ist Aylin, Aushilfsgärtnerin bei der Drosera AG, einem fiktiven Biotech-Konzern. Der experimentiert damit, menschliches Bewusstsein in Pflanzenzellen zu speichern, für später, wenn man selbst nicht mehr ist, und sich auch die Welt, wie wir sie kennen, insgesamt verabschiedet hat: „Länger bleiben mit Phytopia Plus“, lautet ein Werbespruch; einen ehemaligen Finanzminister, eine Anwältin, eine Philosophieprofessorin, auch einen Chefredakteur hat er überzeugt.
Überspannte Hypermoderne
Damit es den Pflanzen gut geht, wässert Aylin sie achtsam, schaut nach möglichen Schädlingen, scannt und kontrolliert die Wurzeldichte, und das für 13 Euro Mindestlohn. Weshalb sie manchmal ein paar Triebe abzwackt, mit nach Hause nimmt, dann einpflanzt und hochzieht, obwohl das eigentlich untersagt ist.
Aylin aber verkauft die Setzlinge unter der Hand weiter oder tauscht sie ein gegen kaum noch erhältliche frische Lebensmittel: Mit gut betuchten Hanseaten und deren Gattinnen handelt sie, die sich längst in streng abgeschottete Wohnquartiere zurückgezogen haben. Mal hat Aylin eine Calathea im Angebot, mal einen pflegeleichten Zierpfeffer. Und immer hofft sie, dass ihr kleines Nebengeschäft nicht auffliegt.
Zara Zerbe führt uns nicht in eine aufdringliche und überspannte Hypermoderne. Im Grunde ist die Welt bei ihr so wie heute, nur ein paar Jahrzehnte weiter. „Es ist einerseits ziemlich lange her, dass das Auto erfunden wurde“, sagt Zerbe und überlegt kurz. „Und doch haben wir immer noch keine Flugtaxis.“
So wie auch Aylin in der Zukunft ein sehr gegenwärtiges Problem hat und das heißt: „350.000 Euro“. Beziehungsweise genau die Hälfte, denn immer noch 175.000 Euro müsste sie aufbringen, um Bewusstsein und Erinnerungsschatz ihres Großvaters, den sie über alles mag und der so langsam an Fahrt verliert, ebenfalls zu überführen in die pflanzliche DNA: Drosera-Mitarbeitende bekommen für Familienangehörige 50 Prozent Rabatt. Nur – woher nehmen?
Alle Preise gewonnen
Zara Zerbe, Jahrgang 1989, ist eine der Köpfe hinter der Kieler Literaturzeitschrift Der Schnipsel, sie verantwortet den Podcast „Literarisch-solidarisch“ mit, und wenn im Veranstaltungszentrum „Hansa48“ in der dortigen Hansastraße die „Lesebühne Federkiel“ ausgetragen wird, ist sie mindestens im Hintergrund aktiv.
Für ihre 2018 veröffentlichte Erzählung „Limbus“ erhielt sie den ersten Preis des Wettbewerbs „Neue Prosa aus SH“, später kam der Kunstförderpreis des Bundeslandes hinzu; für die Arbeit an ihrem so gelungenen Debütroman konnte sie dann auf das Arbeitsstipendium der Kulturstiftung SH zurückgreifen.
Zara Zerbe: „Phytopia Plus“. Verbrecher-Verlag, Berlin 2024, 272 S., 25 Euro; E-Book 15,99 Euro.
Nächste Lesung: 18. 6., 19.30 Uhr, Nordkolleg, Rendsburg
„Kiel als Literaturort, das passt schon“, sagt sie. „Man muss zwar alles, das man erleben möchte, selbst veranstalten“, ergänzt sie – „aber das kann man hier eben auch.“ Habe man das erst ein paar Jahre lang gemacht, kenne man alle, die ähnlich gestimmt seien: „Die Leute, die meine Konkurrenten sein könnten, mit denen bin ich eh befreundet“, sagt sie mit entwaffnender Herzlichkeit. Und: „Wenn es mal eine Projektförderung gibt, dann schaue ich, dass ich meine Leute mit hineinnehmen kann.“
„Ich habe jetzt an Preisen und Förderungen alles erhalten, was man in Kiel und Schleswig-Holstein für Literatur bekommen kann und müsste eigentlich das Bundesland wechseln“, sagt Zerbe auch. Klingt aber kein bisschen besorgt. Denn deswegen nach Berlin gehen? Oder zurück nach Hamburg? Dort wurde sie geboren, war fünf Jahre alt, als die Familie umzog in den sogenannten Speckgürtel.
„Climate Fiction“
Auch Aylin muss im Buch nun lange Strecken mit der S-Bahn fahren, und die verlassenen „Elbpassagen“, in denen sich die Protagonistin und ihr Großvater wiederfinden: Dafür war das Harburger Phönix-Center schon eine Art Vorbild, sagt Zerbe – was habe sie da nicht an Taschengeld gelassen! So liegt auch ein Hamburg-Roman vor uns, spielerisch mit einem Genre arbeitend, das seit einigen Jahren durch die Literaturlandschaft geistert: „Climate Fiction“.
Mal schauen, was sie damit in Zukunft zu tun hat, sagt ihr Achselzucken. „Der Hund mag keinen Regen, das ist natürlich etwas ungünstig“, seufzt sie beim Blick nach draußen. „Wir nehmen heute mal den Bus“, sagt sie, und der Hund auf seiner mitgebrachten Decke nickt, sofern Hunde halt nicken können. Doch, vermutlich schon.
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