piwik no script img

Ausstellung „Muddy Measures“ in BerlinDurchs Watt und in die Sümpfe

Eine Ausstellung im Tieranatomischen Theater widmet sich den Feuchtgebieten der Welt. Sie zeigt auf, was diese gefährdet und wer sie zu bewahren versucht.

Von Ockergelb bis Tiefbraun: Teresa Pereda sammelte von 2006 bis 2025 Wasser- und Bodenproben im Feuchtgebiet Patagoniens Foto: Michael Pfisterer

Wer hier auf der Seite der Schwarzstirnlöffler steht, ist sofort erkennbar. Lachend halten die Menschen Protestschilder in die Höhe oder recken ihre Fäuste der Kamera entgegen – darunter ältere und jüngere, in Businessdress oder Freizeitkleidung, Nonnen und Priester. Viele von ihnen tragen Masken wie Hüte auf den Köpfen, für die das markige Aussehen des gefährdeten Vogels mit schneeweißem Gefieder und löffelartigem Schnabel als Vorbild diente.

Recht chaotisch mutet die bunte Schar an, die sich 2023 in der Planstadt Sejong für ein Gruppenfoto zusammenstellte. Doch formierte sich die zivile „Saemangeum Citizen Ecological Investigation Group“ als eine Phalanx gegen den Kapitalismus. Ihre Koalition wehrt sich gegen Pläne des südkoreanischen Infrastrukturministeriums, das Sura-Watt in der Provinz Nord-Jeolla zum Ausbau des Saemangeum International Airports zu nutzen.

David gegen Goliath, ein eigentlich aussichtsloses Unterfangen – ein anderes Vogelhabitat und einzigartiges Biotop fiel dem Flughafenprojekt bereits zum Opfer: das Küstengebiet Saemangeum, das unter Einfluss der Gezeiten stand, bis Südkoreas Regierung den Rastplatz entlang zentraler Zugvogelrouten mit einem gigantischen Deich trockenlegte.

Veränderungen der Wattenmeere

Mit welcher Hingabe und Akribie die Bürgertruppe um den aus Gunsan stammenden Dong-Pil Oh seit 20 Jahren Woche für Woche die Veränderungen der Wattenmeere dokumentiert, kann aktuell in der Ausstellung „Muddy Measures“ im Tieranatomischen Theater in Berlin bestaunt werden.

Gemeinsam sammeln sie Daten zum Populationsbestand von Gamurak-Muscheln, Winkerkrabben, Löfflern und Strandläufern. Ihre Aufzeichnungen – Fotos, Feldnotizen, Wasserqualitätstests – kontrastieren Regierungsberichte, die Standortvorteile für den Flughafen betonen und selbst Zusammenstöße mit Zugvögeln ignorieren (2024 kam es etwa in Muan zu einem Absturz mit 179 Toten).

Die Ausstellung

„Muddy Measures“: Tieranatomisches Theater, Berlin bis 19. Juli

Ihre Arbeit versteht die Gruppe als Akt des Widerstandes und der Solidarisierung. Dort, wo Arten verschwanden, fanden sich an den erhöhten Salzgehalt angepasste Spezies in den künstlich gestauten Saemangeum-Seen ein. Nur eine dauerhafte Öffnung der Schleusentore kann eine Ausbreitung sauerstoffarmer Todeszonen verhindern, in denen kein Leben möglich ist. „Das Sura-Watt ist der Löffler“, schreiben sie, „das Sura-Watt bist du, sind wir.“ Identitätsstiftend und ökologisch wertvoll, daran bemisst sich kaum Baukapital.

Stundenlang könnte man sich in Südkoreas Wattenmeer-Welt vertiefen, „Muddy Measures“ hat allerdings noch viel mehr zu bieten. Während einen Raum weiter das Paradoxon „Moorkartierung“ am Beispiel Berlin-Brandenburg unter die Lupe genommen wird – von 1953 bis 1972 durchgeführte Messungen dienten erst dazu, Moore zu entwässern, heute helfen sie bei der Renaturierung – führt der Kosmos nebenan ins weit entfernte Patagonien.

Drucke aus der argentinischen Provinz Neuquén

Als habe jemand den Mars bereist und Maß genommen, wirkt die von rostroten Maserungen durchdrungene Serie „Land Prints“. Tatsächlich aber handelt es sich um Abdrucke eines Feuchtgebiets in der Provinz Neuquén im Westen Argentiniens. Teresa Pereda fertigte diese zwischen 2007 und 2017 mit Baumwollfaserpapieren an.

Spuren von organischen Substanzen, von Mineralien wie Calcium oder Eisenmetalle haften daran. Auch deshalb befinden sich die Werke der bildenden Künstlerin und Forscherin, die aktuell an der Universidad Nacional de Tres de Febrero (UNTREF) lehrt, stetig in Bewegung – ähnlich wie sich die Optik der sogenannten Mallín permanent wandelt.

Diese weit verzweigte, moorige Sumpflandschaft stellt ein Paradies für Tiere und Pflanzen in der trockenen Pampa Patagoniens dar. Zudem ist das Feuchtgebiet, das auf Mapuche-Territorium liegt, für die lokale Wirtschaft von Bedeutung und somit Schauplatz politischer Konflikte.

Wie das indigene Volk Südamerikas betrachtet Teresa Pereda, die seit Jahrzehnten engen Kontakt zur ansässigen Mapuche-Gemeinde pflegt, das Sumpfland als lebendige Entität. Kapital oder kulturelles Erbe – fast 300 Jahre wehrten sich die Indigenen erfolgreich gegen die spanischen Konquistadoren, ihre Unabhängigkeit verloren sie nach der „Wüstenkampagne“, einem Vernichtungskrieg gegen die argentinische Urbevölkerung, in dem von 1878 bis 1884 Tausende des Mapuche-Volkes ermordet wurden.

Ins Kleinste verdichtete Materie

Geschichte, die Pereda indirekt, mittels gegenwärtiger Analysetechniken und ausgehend vom traditionell verankerten Verständnis der Mapuche für natürliche Ressourcen, sichtbar macht. Ihre Bilder von Feuchtgebietpartikeln unterm Mikroskop oder Röntgenbilder ihrer Drucke, vagabundierender Planeten im All nicht unähnlich, erfassen bis ins Kleinste verdichtete Materie.

Nach dem gleichen Prinzip potenziert „Muddy Measures“ Wissen, das dazu anregt, über Ist-Zustände hinaus zu denken. Ergänzt wird die kollaborative Schau, zu der gut zwei Dutzend Teilnehmende aus Kunst und Wissenschaft Beiträge lieferten, unter anderem um Gastausstellungen, die Einblick in Berliner Forschungsprojekte geben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!