Durchfahrverbote und Tempo 30: 2,4 Kilometer gute Luft
Künftig gelten auf neun Straßen Durchfahrverbote für alte Diesel: Die Umwelt- und Verkehrsverwaltung präsentierte ihren Entwurf des neuen Luftreinhalteplans.
Ab 1. Juli müssen ältere Diesel-Fahrzeuge einen Umweg machen: Ab dann wird es für sie in Berlin wohl neun sogenannte Durchfahrverbote geben. Die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz präsentierte am Montag ihren Entwurf des neuen Luftreinhalteplans: Dieser soll die seit vielen Jahren zu hohen Werte des Reizgases Stickstoffdioxid (NO2) unter den EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm (μg) pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel drücken.
Am Ende eines von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) angestrengten Verfahrens hatte das Berliner Verwaltungsgericht im Oktober dem Senat nahegelegt, Diesel-Durchfahrverbote auf 11 Straßenabschnitten anzuordnen. Auf 106 weiteren Abschnitten sei zu prüfen, wie der NO2-Grenzwert sonst eingehalten werden könne. Im Haus von Senatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) hat man nun 2 der angemahnten Verbotsabschnitte verworfen, andere zusammengelegt und 3 neu bestimmt.
Keine Verbotsschilder würden im Kapweg am Kurt-Schumacher-Platz und in der Lankwitzer Leonorenstraße aufgestellt. Am Kapweg stehen ein Einkaufszentrum und ein Baumarkt, Anwohner gibt es nicht. Würden Diesel-Kfzs umgeleitet, belaste man damit Wohnstraßen, argumentierte Günther. In der Leonorenstraße dagegen ließen sich die geforderten Werte auch ohne Durchfahrverbot erreichen.
Hinzugekommen sind in Neukölln die Hermannstraße zwischen Silberstein- und Emser Straße sowie die Silbersteinstraße zwischen Hermann- und Karl-Marx-Straße, außerdem in Charlottenburg der Spandauer Damm zwischen Klausenerplatz und Sophie-Charlotte-Straße.
Anderenorts wurde, wie Günthers für Immissionsschutz zuständiger Abteilungsleiter Michael Thielke am Montag erläuterte, der vom Verwaltungsgericht erzeugte „Flickenteppich“ geschlossen werden – auf der Leipziger Straße etwa soll nun ein einziges langes Durchfahrverbot zwischen Leipziger Platz und Charlottenstraße gelten. Die Gesamtlänge der Abschnitte erhöht sich von 1,4 auf 2,4 Kilometer – als Anteil des Straßennetzes liegt das immer noch im Promillebereich.
Viele, viele Anlieger
Bis die Verbote zum 1. Juli in Kraft treten, finden noch eine Verbände- sowie eine Bürgerbeteiligung statt – Letztere dauert sechs Wochen und startet Anfang April mit der Veröffentlichung des Entwurfs im Internet. Allzu viele Beschwerden dürfte es eigentlich nicht geben, denn wie Günther sagt, will man die von der Autoindustrie betrogenen Diesel-Käufer „nicht mehr belasten als zwingend notwendig“. Das mündet in eine überaus großzügige Anliegerregelung: Mit ihrem alten Diesel dürfen nicht nur AnwohnerInnen und deren Gäste in die Verbotsabschnitte fahren, sondern im Prinzip alle, die dort irgendetwas zu tun haben: HandwerkerInnen, PflegerInnen, Taxis, die KundInnen abholen oder -liefern, ja selbst Menschen, die dort ein Geschäft ansteuern. Das bestätigte Günther am Montag auf Nachfrage.
Die Durchfahrverbote sind aber nur eine Maßnahme aus einem Bündel, mit dem die Verkehrsverwaltung das Berliner NO2-Problem bis Ende 2020 lösen will. Dazu gehört auch Tempo 30 auf 85 neuen Hauptstraßen-Abschnitten mit einer Gesamtlänge von 10,5 Kilometern. Inbegriffen sind die Abschnitte von Leipziger, Potsdamer und Hauptstraße, Tempelhofer Damm und Kantstraße, wo die Geschwindigkeitsbeschränkung schon versuchsweise gilt, aber auch lange Abschnitte des Mehringdamms und der Sonnenallee oder die gesamte Torstraße. Das Verwaltungsgericht hat eine örtliche Absenkung der NO2-Werte durch Tempo 30 um 5 μg/m3 als plausibel anerkannt (die Durchfahrverbote bringen im Schnitt 3 μg/m3).
Weiterhin werden alle Linienbusse, BSR-Müllwagen und sonstigen kommunalen Fahrzeuge, die noch alte Dieselmotoren haben, technisch umgerüstet oder ganz ersetzt. Im Fall der BVG-Busse soll das schon bis Ende 2019 geschehen sein. Die sogenannten Stickoxidminderungssysteme für Motoren – die viel beschworene „Hardware“-Lösung – senken laut Günther die Emissionen um bis zu 85 Prozent. Komplett sauber, jedenfalls am Ort ihres Betriebs, sind die Elektrobusse, durch die die BVG-Flotte bis 2030 sukzessive ersetzt werden soll.
Eine weitere Schadstoffreduzierung strebt die Senatsverwaltung durch den zügigen Ausbau der Parkraumbewirtschaftung (PRB) an. Sie soll den Verkehr beruhigen und vermindern. Im Luftreinhalteplan wird das Ziel von 75 Prozent PRB innerhalb des S-Bahn-Rings bis Ende 2020 genannt, was im Grunde nicht neu ist: Bis Ende der Legislaturperiode, also 2021, soll Parken dort laut Koalitionsvereinbarung zu 100 Prozent kostenpflichtig sein. Regine Günther wies am Montag aber darauf hin, dass das erst einmal Sache der Bezirke sei, die der Senat dabei nur unterstützen könne. Manche Bezirksämter weigern sich, neue PRB-Zonen zu planen, Charlottenburg-Wilmersdorf etwa auf der Grundlage eines Bürgerentscheids von 2007. „Die 75 Prozent sind somit eigentlich auch schon ein ambitioniertes Ziel“, so Günther.
Stadtgebiet hoch belastet
Nicht anwenden wird Berlin die gerade von Bundestag und Bundesrat beschlossene Aufweichung der Diesel-Fahrverbote. Diese besagt, dass solche Restriktionen „in der Regel“ erst ab einer Belastung von 50 μg/m3 im Jahresmittel als verhältnismäßig gelten. Laut dem Sprecher der Verkehrsverwaltung Jan Thomsen betrifft das Berlin nicht, weil 2018 an sechs Stellen 50 Mikrogramm NO2 oder mehr gemessen wurden. Damit weise das Stadtgebiet insgesamt eine so hohe Belastung auf, dass die Verhältnismäßigkeit gewährleistet sei.
Der verkehrspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Harald Moritz begrüßte am Montagabend den vorliegenden Entwurf des Luftreinhalteplans. Senatorin Günther stelle damit „den Schutz von Säuglingen, Kranken und alten Menschen vor giftigen Stickoxiden sicher“. Fahrverbote würden auf ein Minimum reduziert, wären aber „gänzlich vermeidbar, wenn Autoindustrie und Bundesregierung unverzüglich für Hardwarenachrüstungen sorgen würden“.
Verbände wie der ADAC, die Handwerkskammer und die IHK Berlin, die Fuhrgewerbe-Innung und die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg warnten dagegen vor den Folgen von Fahrverboten für die Berliner Wirtschaft: Die könne „mangels Alternativen häufig noch nicht umsteigen“, hieß es in einer Pressemitteilung. Die NO2-Belastung sinke bereits, müsse aber gegebenenfalls durch andere Maßnahmen wie die Taktverdichtung von U- und Straßenbahnen, einen schnelleren Ausbau der Ladeinfrastruktur und die Förderung gasbetriebener Fahrzeuge weiter reduziert werden.
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