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Durchbruch für Kongos M23-Rebellen„Sake ist gefallen, Sake ist gefallen!“

In der Demokratischen Republik Kongo erobern die M23-Rebellen die letzte Frontstadt der Regierungsarmee vor der Provinzhauptstadt Goma. Tausende fliehen.

Menschen, die vor der Miliz M23 fliehen, kommen mit einem Boot in Goma an Foto: Moses Sawasawa/AP/dpa

Kampala taz | Es war noch dunkel in den riesigen Vertriebenenlagern rund um Ostkongos Millionenstadt Goma, als Panik ausbrach. Von weitem war das dumpfe Wummern von einschlagenden Bomben zu hören, das immer näherkam. Im Morgengrauen waren bereits die ersten Gerüchte im Umlauf, dass die Frontstadt Sake, 25 Kilometer westlich von Goma, in die Hände der Rebellen gefallen sei.

„Sake ist gefallen, Sake ist gefallen!“ wimmern die zahlreichen Soldaten, die sich am Donnerstagmorgen im Laufschritt aus Sake gen Goma zurückziehen – alle bepackt mit ihren Habseligkeiten, in zerlumpten Uniformen, manche nur mit Flipflops.

Einige filmen selbst mit ihren Handys, wie sie die 25 Kilometer in Richtung Goma hetzen. Das Video geht sofort auf X viral. Darauf zu sehen sind auch Armeegeländewagen, die vollbeladen mit Soldaten im rasanten Tempo die staubige Piste entlang in Richtung Goma brausen.

Die Moral von Kongos Regierungsarmee im Kampf gegen die von Ruanda unterstützte Rebellenbewegung M23 (Bewegung des 23. März) scheint am Boden. Nach der Einnahme der strategisch wichtigen Stadt Minova am Westufer des Kivu-Sees am Dienstag haben die Rebellen am Donnerstag früh nun mit militärischer Hilfe Ruandas die Frontstadt Sake eingenommen. Ein strategisch entscheidender Schritt, denn damit steht jetzt das Eintrittstor in Richtung der Millionenstadt Goma offen.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die M23 Goma einnimmt

Goma, die Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu, direkt an der Grenze zu Ruanda gelegen und Zentrum aller internationalen militärischen und humanitären Aktivitäten in Ostkongo, war bereits 2012 einmal in die Hände der M23 gefallen. Damals hielten die Rebellen die Handelsmetropole zehn Tage lang und zwangen Kongos Regierung dadurch an den Verhandlungstisch.

Diese Taktik mag auch dieses Mal gelten. Aus M23-Kreisen erfährt die taz, dass es nicht ihr Ziel sei, Goma einzunehmen, sondern Kongos Armee und den mit ihren kämpfenden befreundeten Truppen aus Burundi, Südafrika, Tansania und Malawi die Nachschubwege abzuschneiden – und damit in die Knie zu zwingen.

Nach dem M23-Eroberungsfeldzug der vergangenen Tage bis in die benachbarten Provinz Süd-Kivu hinein – inklusive der am Kivu-See entlangführenden Überlandstraße zwischen den Provinzen – sind nun endgültig alle kongolesischen Straßen nach Goma unter Kontrolle der Rebellen. Jetzt können die in Goma stationierten Truppen nur noch per Boot oder aus der Luft versorgt werden.

Noch dazu sitzen Millionen Kongolesen im Dunkeln. Durch die Kämpfe wurde am Mittwoch die Stromversorgung für die beiden Provinzhauptstädte Goma und Bukavu unterbrochen. Die Oberleitungen, die aus den Wasserkraftwerken im Virunga-Nationalpark aus kommend via Goma nach Bukavu entlang der umkämpften Straße verlaufen, wurden durch Geschosse beschädigt.

„Wir haben unsere Teams mobilisiert, um den Fehler zu identifizieren und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Stromversorgung so schnell wie möglich wiederherzustellen“, heißt es in einer Erklärung der Energiegesellschaft SNEL.

„Überall sind Explosionen zu hören“

„Die Lage in Goma ist verwirrend“, sagt ein Pressesprecher des Hilfswerks Save The Children in Goma der taz am Donnerstagvormittag: In einigen Vertriebenenlagern rund um Goma, wo Geflüchtete aus dem Umland seit Jahren Schutz vor dem M23-Krieg suchen, würden die Menschen ihre Habseligkeiten packen und in Goma Schutz suchen.

Gleichzeitig strömen weitere Menschen aus Sake nach Goma. In der Innenstadt von Goma selbst höre man noch keine Schüsse, dennoch würden die Ladenbesitzer nun ihre Geschäfte verbarrikadieren und nach Hause gehen.

„Mittlerweile haben auch die Schulbehörden beschlossen, den Unterricht auszusetzen, damit die Kinder zu Hause bei ihren Eltern bleiben können“, berichtet Save the Children. So kam es, dass am Donnerstagvormittag nur kurz nach Unterrichtsbeginn Eltern in Goma panisch zu den Schulen hasteten, um ihre Kinder wieder herauszuholen und in Sicherheit zu bringen.

„Ich habe die Schüler angewiesen, nach Hause zu gehen, weil in unserer Umgebung überall Explosionen zu hören sind“, berichtet ein Schuldirektor, der namentlich nicht genannt werden will: „Wir befinden uns in der Nähe von Sake, wo gekämpft wird und die Bevölkerung nicht weiß, wohin sie fliehen soll.“

Kongos Präsident ist gar nicht im Land

Kongos Präsident Felix Tshisekedi hält sich derzeit im Schweizer Davos auf. Er nimmt dort am Weltwirtschaftsforum teil – und sucht auf dem internationalen Parkett offenbar nach Unterstützung. Im Dezember waren die von Angola geführten Friedensverhandlungen zwischen Ruanda und Kongo kurz vor Unterzeichnung eines Abkommens geplatzt, ein seit August geltender Waffenstillstand brach zusammen, die M23 schritten erneut zur Offensive.

Kongos Regierung weigert sich, mit der M23 zu verhandeln. Ruanda, welches die Rebellen laut UN-Ermittlungen mit bis zu 4000 Soldaten unterstützt, besteht darauf, dass sich Kongos Regierung mit den kongolesischen M23-Rebellen an den Tisch setzt. „Ruanda ist entschlossen, seinen Einflussbereich auszuweiten“, so Kongos Regierungssprecher Patrick Muyaya im Interview mit dem französischen Nachrichtensender France24: „Sie wollen uns zu Verhandlungen mit diesen Terroristen und ihren Marionetten der M23 zwingen.“ Er drohte, Krieg mit Ruanda sei „eine in Betracht zu ziehende Option“.

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