Durch Telefonüberwachung identifiziert: Nazis wegen Mordversuchs vor Gericht
Die drei Männer aus Hannover sollen einen Mann halb totgeschlagen und dann liegengelassen haben. Die Gruppe stand unter Terrorverdacht.
Es ist ein bemerkenswerter Prozess, denn hier stehen drei umtriebige Neonazis aus der Region Hannover unter anderem wegen versuchten Mordes vor Gericht. Bei den Angeklagten handelt es sich um Mitglieder der sogenannten „Calenberger Bande“. Bis vor etwa einem Jahr ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft Celle wegen Terrorverdachts gegen die Gruppe. Äußern wollten sich die drei zu den Vorwürfen nicht.
Im Januar 2020 sollen sie am frühen Morgen einem Garbsener vor dessen Tür aufgelauert, ihn überfallen, mit Kabelbindern und Tape gefesselt und verprügelt haben. Dann sollen sie seine Wohnung durchsucht, aber nichts außer dem Schlüssel mitgenommen haben. Den Mann habe die Gruppe einfach vor seiner Garage liegen lassen – und damit aufgrund der Schwere der Verletzungen seinen Tod in Kauf genommen haben, heißt es in der Anklage.
Ein Passant habe ihn etwa eine halbe Stunde später zufällig gefunden, erläutert Staatsanwältin Zohri. Der Mann habe diverse Frakturen und Einblutungen an mehreren Stellen gehabt und habe ins künstliche Koma versetzt werden müssen.
Erst künstliches Koma, dann monatelange Reha
Am Nachmittag des ersten Prozesstages äußert sich der Geschädigte, ein 51-jähriger VW-Arbeiter, und sagt, er könne sich an kaum etwas erinnern. Lediglich, dass er auf dem Weg zu seinem Auto gewesen sei. Etwa einen Monat später sei er im Krankenhaus aus dem Koma erwacht. Die anschließende Reha habe mehrere Monate gedauert. Im Herbst 2020 habe er wieder begonnen zu arbeiten. Bis heute leide er immer wieder an einer Schwäche im rechten Arm, lasse deswegen Dinge fallen.
Warum er zum Opfer wurde, ist ihm völlig unklar. Weder auf der Arbeit noch privat habe er jemals Konflikte oder Stress gehabt. Aus seiner Wohnung sei nichts gestohlen worden, so der 51-Jährige. Nur der Wohnungsschlüssel, den er an dem Tag bei sich hatte, sei bis heute nicht wieder aufgetaucht. Die Beschuldigten seien für ihn Unbekannte, so der VW-Arbeiter.
Eine große Zahl an Beweismitteln hat der Vorsitzende Richter Martin Grote im Selbstleseverfahren eingeführt. Alle Prozessparteien erhielten einen zentimeterdicken Hefter. Den dürfen Journalist:innen zwar nicht einsehen, aus der Liste der genannten Dokumente wird allerdings klar: Die Polizei überwachte am 7. Januar 2020 mehrere Telefone, die sie wohl den Angeklagten zurechnet. Verteidiger Matthias Steppuhn meldete, ohne den Hefter durchgesehen zu haben, unmittelbar Bedenken an. Die Staatsanwaltschaft ist aufgrund der Ermittlungen aber offenbar sicher, dass es sich bei den Tätern um die Beschuldigten handelt.
Und die sind keine Unbekannten: Bilder von einem klandestinen Treffen der neonazistischen Gruppe Calenberger Bande, die Antifaschist:innen 2020 auf dem linken Portal Indymedia veröffentlicht hatten, zeigen zwei der Angeklagten. Dazu wurden dort Vermutungen geäußert, dass eine Reihe von Schmierereien, Überfällen und Anschlägen, wie etwa auf eine kurdische Familie und ein jüdisches Ehepaar, auf die Kappe der Neonazis gehen könnte. Die Taten sind bis heute nicht aufgeklärt.
Kurz nach der Veröffentlichung auf Indymedia – und dem Überfall auf den Garbsener – durchsuchte die Polizei in der Hildesheimer Straße in Hannover die Wohnung, in der damals auch der Angeklagte Patrick S. lebte. Der hieß zu dem Zeitpunkt noch Patrick K. und gibt vor Gericht an, mittlerweile geheiratet zu haben. Auch sein Aussehen hat sich gewandelt. Der Kurzhaarschnitt ist einer Gelfrisur gewichen. S. trägt nun einen prominenten Schnauzbart.
Um Patrick K. war es in den vergangenen Jahren ruhig geworden. Der bundesweit aktive Neonazi hat eine lange Historie des rechtsextremen Aktivismus. Er war Teil der Führungsriege der Kameradschaft „Besseres Hannover“, die 2012 als kriminelle Vereinigung verboten wurde. Mit Internetvideos, in denen ein „Abschiebär“ Migranten verunglimpfte, hatte die Gruppe Aufsehen erregt.
Ein lange Liste von Straftaten
Seit 2013 war Patrick S. als Liedermacher beim Rechtsrocklabel Opos aktiv. 2015 wurde er zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Er hatte Parteibüros angegriffen, Stolpersteine und einer Gedenktafel für deportierte Jüdinnen und Juden beschmiert, den Grünen-Bundestagsabgeordneten Sven-Christian Kindler und Mitglieder der DKP angegriffen und versucht, Geflüchtete während eines Hungerstreiks anzugreifen. In dieser Zeit lebte S. in Chemnitz, wo er versuchte, mit dem „Rechten Plenum“ einen Nazikiez zu errichten. Das scheiterte wegen verschiedener Veröffentlichungen. Der Neonazi zog zurück nach Hannover.
Auch die anderen Angeklagten bewegen sich, wie Recherchen des Relate Magazin aus Hannover zeigen, in einem einschlägigen Milieu. Sie waren etwa Mitglieder im Motorradklub „Shelter Dogs MC“, gegen dessen Präsidenten der militärische Abschirmdienst MAD im Kontext des Elitesoldaten-Netzwerks „Nordbund“ ermittelte. Frederik L. ist außerdem professioneller Mixed-Martial-Arts-Kämpfer.
Auf die Gründe dafür, dass der Prozess mehr als vier Jahre nach der Tat abgehalten wird, will der Vorsitzende Richter im Laufe des Verfahrens eingehen. Warum das Terror-Verfahren eingestellt wurde, wenn zeitgleich gegen drei der Gruppenmitglieder wegen versuchten Mordes ermittelt wurde, ist unklar und war am ersten Verhandlungstag kein Thema. Wie der politische Hintergrund der Angeklagten im Allgemeinen.
Hinweis: Wir hatten ursprünglich geschrieben, der MAD habe gegen den Präsidenten des Motorradclubs „Shelter Dogs MC“ wegen der „Wehrsportgruppe G“ ermittelt. Tatsächlich ging es um das Netzwerk „Nordbund“. Wir haben den Fehler korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Verkehrsvorbild in den USA
Ein Tempolimit ist möglich, zeigt New York City
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!