Dublin streitet über Statuen: Fußfesseln oder Beinschmuck?
Das berühmteste Hotel Irlands baut Statuen ab. Sie sollen rassistisch sein. In dem Haus gab es einst Agenten und einen Hitler.
P lötzlich waren die Statuen weg. 153 Jahre hatten sie vor dem Dubliner Shelbourne Hotel gestanden, dem berühmtesten Hotel Irlands, und niemand hatte von ihnen Notiz genommen. Dann kam eine Mail aus Übersee: Irisch-stämmige US-Amerikaner hatten auf Wikipedia gelesen, dass die Statuen zwei nubische Prinzessinnen aus Ägypten und ihre Sklavenmädchen darstellten.
Das Hotel reagierte prompt, am 27. Juli waren die vier Statuen über Nacht abgebaut. „Wir haben die Entscheidung im Einvernehmen mit unserem Eigentümer getroffen“, sagte der Hotelmanager JP Kavanagh. Man habe die Statuen „in Anbetracht der Ereignisse in der Welt“ und der Black Lives Matter-Bewegung entfernt.
Nun setzten heftige Streitgespräche in den Medien und im Internet ein – allerdings nicht in den Pubs, denn die sind wegen Corona noch mindestens bis September geschlossen. Die Verteidiger der Statuen argumentieren, dass es sich keineswegs um Sklavenmädchen handele, die angeblichen Fußfesseln seien Beinschmuck.
Als Beweis führten sie den Katalog der Gießerei Val d’Orsne in Paris an, aus dem der damalige Eigentümer die Statuen 1867 bestellt hatte. Damals war alles Ägyptische modern, und die von Mathirin Moreau angefertigten Statuen verkauften sich auch in Frankreich gut. Im Katalog ist keine Rede von Sklavinnen, sondern von ägyptischen Frauen.
Rassistische und frauenfeindliche Statuen
Die Gegner der Statuen meinen, dass es keine Rolle spiele, was damals modern gewesen sei. Selbst wenn sie keine Sklavenmädchen darstellten, so seien sie trotzdem rassistisch und frauenfeindlich. Auch die Stadtverwaltung mischte sich ein und monierte, dass für den Abbau der Statuen eine Baugenehmigung erforderlich gewesen wäre. Aber das interessierte nun wirklich niemanden mehr.
Hätten die Statuen vor einem Holiday Inn gestanden, hätte es wohl ohnehin niemanden interessiert. Aber das Shelbourne ist einer der geschichtsträchtigsten Orte Irlands. Hier fanden 1922 nach dem Unabhängigkeitskrieg die Friedensverhandlungen mit der englischen Regierung statt, hier wurde die irische Verfassung ausgearbeitet.
Gut zehn Jahre zuvor hatte ein junger Österreicher als Kellner in der Hotelbar gearbeitet: Alois Hitler, der Halbbruder Adolf Hitlers. Die 17-jährige Dublinerin Bridget Dowling ließ sich von seinem adretten Äußeren blenden, heiratete ihn und brannte mit ihm nach England durch, wo der gemeinsame Sohn William Patrick Hitler zur Welt kam. Paddy, wie er genannt wurde, zog später nach Deutschland. Er verehrte seinen Onkel Adolf, der ihm 1938 einen Führungsposten in der Regierung anbot.
Doch Paddy dämmerte bald, dass sein Onkel größenwahnsinnig war. Er wanderte in die USA aus und kam 1944 als Soldat mit der US-Marine nach Deutschland zurück. Paddy Hitler starb 1987. Seine drei Söhne, die einen anderen Namen angenommen haben, schlossen einen Pakt, dass keiner von ihnen Kinder zeugen würde, damit die Gene des Hitler-Clans nicht vererbt würden.
Debatte um Sklaverei ausgelöst
Irland war während des Zweiten Weltkriegs neutral, viele reiche Engländer kamen deshalb nach Dublin. In der Stadt wimmelte es nur so von Agenten, die im Shelbourne abstiegen. Wegen der Neutralität blieb das Hotel im Krieg verschont.
1976 wurde es dann doch noch durch eine Bombe beschädigt: Die Irisch-Republikanische Armee (IRA) hatte einen Anschlag auf das inzwischen zu einer englischen Kette gehörende Hotel verübt. Zwanzig Jahre später fand im Shelbourne-Hotel ein Teil der nordirischen Friedensverhandlungen statt, die 1998 zum Karfreitagsabkommen führten.
Im Shelbourne steigt auch heute noch alles ab, was Rang und Namen hat. Man setzt sich in die Horseshoe Bar, wenn man gesehen werden will oder auf Prominentenpirsch ist.
Was nun mit den verwaisten Sockeln geschehen soll, steht nicht fest. Die Mehrheit der Dubliner wünscht sich die Ägypterinnen zurück, aber das wird wohl nach der Debatte, die der Abbau ausgelöst hat, nicht geschehen. Die Iren sind nämlich nicht nur Opfer der Sklaverei geworden, als viele auf englischen Schiffen nach Montserrat verschleppt worden sind, sondern sie waren auch am Sklavenhandel beteiligt.
George Berkeley zum Beispiel, Irlands bedeutendster Philosoph, nach dem eine Universität und eine Stadt in den USA benannt worden sind, hatte 1730 eine Plantage auf Rhode Island gekauft, um dort ein Missionarsprojekt zu gründen, denn er war auch anglikanischer Bischof in Irland. Dokumente belegen, dass Berkeley am 4. Oktober jenen Jahres einen 14-jährigen Schwarzen namens Philip und ein paar Tage später einen 20-Jährigen namens Edward gekauft hatte. Im Jahr darauf taufte er seine Sklaven.
Berkeleys Statue steht vor dem Trinity College in Dublin. Noch.
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