: Du sollst dir ein Bild machen
■ Und Unwahrscheinliches geschieht: „Aimée & Jaguar“, der Eröffnungsfilm der Berlinale
Berlin 1942: Da begegnet Lilly Wust, 29, verheiratet, vier Kinder, ausgezeichnet mit dem Mutterkreuz, der Liebe ihres Lebens – und die ist eine andere Frau. Sie nennen einander „Aimée“ und „Jaguar“. Und so heißt auch ihre Geschichte, die die Journalistin Erica Fischer rund fünfzig Jahre später als Buch veröffentlichte. Doch „Aimée & Jaguar“ erzählt nicht nur eine ungewöhnliche, sondern auch eine tragische, für die Zeit so schrecklich bezeichnende Liebesgeschichte. Denn Felice Schragenheim alias Felice Schrader alias „Jaguar“ ist Jüdin und lebt im Untergrund.
Max Färberböcks Verfilmung der wahren Geschichte beginnt in einem Park, wo eine junge dunkelhaarige Frau mit drei kleinen Buben durchs Gras tollt. Im Umschnitt kommt eine hübsche Blondine ins Bild, die die spielende Gruppe fotografiert.
Doch dann setzt der Film noch einmal ganz anders an. Mit einer Rahmenhandlung im heutigen Berlin. Wohnungsbesichtigung. Das übliche Wo-doch-jetzt-Hauptstadt-Gedöns, um den Wert der Immobilie zu betonen. In einem hinteren Zimmer sitzt noch wartend die alte Dame, die aus dieser Wohnung raus und ins Seniorenheim soll.
Keck ist sie und eine schöne alte Dame. Im Seniorenheim läuft sie der Betreuerin freilich gleich mal davon. Und als diese sie einholt und aufhält, steht sie verloren im Treppenhaus und sieht entsetzt auf all die alten Gesichter, die sich ihr von oben entgegenrecken. Plötzlich aber verändert sich die Szene, bei gleichem Bild. Denn überraschend hellt sich die Miene der alten Dame auf und sie ruft „Ilse, Ilse“. Ilse ist eine Freundin aus längst vergangenen Tagen. Die Frau, die um ihre große Liebe weiß und die sie uns nun erzählen wird.
Diese Stelle im Film ist bemerkenswert, weil Max Färberböck hier gelingt, was ihm später nie mehr glückt: das Umdrehen einer Situation in einem einzigen Augenblick. Das müßte er aber noch öfter können, denn die Geschiche von „Aimée & Jaguar“ ist voll von Situationen, die kippen und in denen das ganz und gar Unwahrscheinliche geschieht. Allein, daß sich die elegante, großbürgerliche Felice Schragenheim ausgerechnet für das blonde Hausmütterchen mit vier Söhnen interessiert, das jenseits der Tatsache, daß es verschiedene Liebhaber hat, keinerlei extravagante Züge zu erkennen gibt. Warum nur verliebt sich die von Maria Schrader draufgängerisch und sinnlich verkörperte Felice in die deutsche Hausfrau? Dafür hat der Film kein Bild.
Schon eher hat er es für die, die Felice unbedingt verführen, lieben will. Für die Ahnungslose, was die Liebe und was die Politik angeht. Da hilft das Interieur, die Küche, in der Lilly (Juliane Köhler) herumhantiert, als Felice sie mit der Wahrheit konfrontiert. Da rührt Lillys schockiertes Staunen, wenn sie, in die Ecke gedrängt, am schmutzigen Spülstein lehnt: „Und du liebst so jemanden wie mich?“
Doch sonst helfen die Filmarchitektur, die Special effects der Bombergeschwader, vor allem aber die furchtbaren Kostüme, die eher die Filmklischees über jene Zeit als deren tatsächliche Mode bedienen, dem Film nicht. Zu sepiabraun ist die Atmosphäre, zu unlebendig, kunstgewerblich. Dagegen kommt auch Heike Makatsch und ihre lesbische Girlietruppe mitsamt der bemerkenswerten Johanna Wokalek als Ilse nicht an.
„Aimée & Jaguar“ hat typischerweise immer dann seine starken Szenen, wenn die Kamera nah an den Protagonisten ist, wenn der Set im Hintergrund verschwimmt. Wenn Menschen menschlich reagieren, Gesicht und Haltung zeigen. So wie Lillys Vater, der ob der Entwicklung seiner Tochter doch etwas fassunglos ist: „Lesbisch?! Jüdin?!“ Aber dann den neuen Schwiegersohn Felice feierlich an die väterliche Brust drückt.
Doch auch diese Geste schützt sie nicht. Im August 1944, nach einem schönen Sommertag am Wannsee, erwartet die Gestapo die heimkehrenden Frauen in Lilly Wusts Wohnung: Felice Schragenheim wird erst nach Theresienstadt und dann nach Auschwitz deportiert. Brigitte Werneburg
Wettbewerb: 11. 2. 12 Uhr, Royal Palast; 20 Uhr International; 23.30 Uhr Urania
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