Drummerin Valentina Magaletti in Berlin: Kälte, Krautrock, Kopfkino
Der Herbst lauert und der Regen zerbröselt die Pläne: Statt Prinzenbad gibt's Krautrock mit Valentina Magaletti im Backsteinboot und Fotos im Gropiusbau.
E igentlich weiß ich’s ja. Und bin doch wieder verblüfft, wie hinterhältig sich die dunkle Jahreszeit anschleicht und plötzlich da ist. Und die Strategien zerbröseln lässt, die man sich für den Umgang mit ihr zurechtgelegt hat. Öfter an die frische Luft und so.
Eigentlich will ich mich von der Prinzenbad-Saison würdig verabschieden, bevor der Sturm samt Temperatursturz kommt. Doch der Regenradar mag sich nicht ausmären. Erst scheint es, als gäbe es am Donnerstagnachmittag ein Zeitfenster, in dem ich trockenen Fußes hin und auch wieder nach Hause komme. Im Becken ist’s schließlich nass und kalt genug. Doch es schieben sich immer neue Regencluster über die Radaranimation.
Gut für die Gerümpel-Ecken in der Wohnung, in denen sich über den Sommer noch mehr angesammelt hat. Weil ich bei den Zwischenstopps zu Hause alles nur in die Ecke gefeuert habe. Das Chaos scheint jedoch eher zu wachsen. Jede Baustelle, der ich mich widme, schafft eine weitere. So betrachtet nicht so schlecht, dass sich auch der nächste Tag als Kruschteltag eignet.
Abends gehe ich dann aber doch vor die Tür, schließlich lockt Valentina Magaletti. An sich ist das nix besonders, da die in London lebende Schlagzeugerin in allerhand Projekten mitmischt und öfter mal in Berlin auftritt – unlängst etwa mit der Psychpop-Band Vanishing Twin. Aber besonders sind Konzerte mit ihr trotzdem. Allein, weil sie immer wieder anders auftritt.
Mittzwanziger mit Energie
Die Anreise zur Havel-Insel Eiswerder ist herausfordernd und führt durch mir fremde Gefilde nördlich der Zitadelle Spandau. Der Romy-Schneider-Straße, durch die mich das Handy leitet, fehlt es am gebotenen Glamour, das erkenne ich sogar im Dunklen. Ich radele Richtung Backsteinboot. Das befindet sich jedoch nicht auf dem Wasser, sondern in einer Fabriketage. Im Sommer wäre es auf den zusammengebastelten Möbeln davor bestimmt lauschig. Heute muss ich viele Treppen erklimmen, bis es gemütlich wird.
Oben angekommen, staune ich über die Mittzwanziger-Energie. Es wird geraucht und geschnattert. Der Sound ist erstaunlich retro. Bevor V/Z dran sind – für dieses Projekt hat sich Magaletti mit dem Produzenten Susumu Mukai alias Zongamin zusammengetan – spielen Brokenchord-Krautrock der kosmischen Art. Die Band ist eigens aus Litauen angereist, vermutlich in einem Hippiebus. Manche bewegen sich zu den hypnotisch-halluzinativen Klängen, als habe man sie ins Jahr 1970 gebeamt. Die Fusselbärte, die man seinerzeit schon trug und die unlängst plötzlich da waren, scheinen bei den jungen Leuten von heute wieder aus der Mode zu sein. Zum Glück.
Als sie fertig sind, baut Magaletti kein Schlagzeug auf, sondern nur drei schnöde Rototoms und reichlich Elektronik. Schade – wo es doch solchen Spaß macht, ihr beim Schlagzeugspielen zuzuschauen. Aber auch so erzeugt sie reichlich Betrieb, schickt die Beats durch Hall- und andere Effekte. Das Ergebnis ist ausufernd: Dub, Postpunk, Groove. Anything goes, solange es flirrt. Zongamin erdet das alles mit seinem Bass.
So spät wie ich nach dieser Expedition zu Hause bin, vertrödelt sich auch der nächste Tag im Nu. Immerhin schaffe ich es zu Diane Arbus in den Gropiusbau. Was für eine tolle Ausstellung – wie ein begehbares Labyrinth, ganz undidaktisch. Die Fotografien, entstanden in den 1950ern und 1960er Jahren in unterschiedlichsten Milieus, sind weder chronologisch noch thematisch geordnet. Sie hängen scheinbar random herum. Ihren Entstehungskontext kann man sich durchs Booklet erschließen.
Oder man kann es bleiben lassen und stattdessen aufs Kopfkino setzen, das unweigerlich anspringt. Die Porträtierten wirken immer wieder ganz neu und anders – je nachdem, wessen eindringlichen Blick aus dem Foto heraus man sich gerade zuvor ausgesetzt hat.
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