Drohender Tarifkonflikt in der Altenpflege: Nicht mit Verdi an einen Tisch
Angestellte in der Pflege verdienen schlecht. Private Unternehmen wollen einen verbindlichen Tarifvertrag für alle Pflegebeschäftigten verhindern.
Die Organisation wendet sich besonders gegen einen politisch festgesetzten, allgemeinverbindlichen Tarifvertrag. Setze die Bundesregierung eine solche Regelung durch, „werden wir eine Reihe von Prozessen bekommen“, warnte AGVP-Präsident Thomas Greiner.
Gegenwärtig fehlen in vielen Pflegeeinrichtungen Fachkräfte. Zahlreiche Altenpfleger*innen beklagen ihre Überlastung. Ein Symptom der schlechten Situation ist die vielerorts armselige Bezahlung der Pfleger*innen. Das zu ändern hat sich die Bundesregierung vorgenommen.
40 Prozent der Heime sind privat geführt
Im Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD heißt es: „Wir wollen die Bezahlung in der Altenpflege nach Tarif stärken.“ Dieser solle „flächendeckend zur Anwendung kommen“. Verdi verlangt nun, einen Tarifvertrag auf Basis des sogenannten Entsendegesetzes für alle Pflegeunternehmen vorzuschreiben.
Gerade private Firmen der Branche weigern sich bislang, mit Beschäftigtenvertretungen und Gewerkschaften über die Bezahlung zu verhandeln. Für drei Viertel der Einrichtungen gibt es keine entsprechenden Vereinbarungen, heißt es in einer Studie von 2017 des Instituts TNS Sozialforschung im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Wobei der private Bereich gut 40 Prozent aller knapp 14.000 stationären Einrichtungen umfasst.
In den gemeinnützigen, kirchlichen und öffentlichen Häusern sieht es besser aus. Dort entlohnen rund 90 Prozent nach einem Haus- oder Verbandstarif.
Die beiden Verbände der privaten Pflegefirmen machen jetzt Front gegen die Bundesregierung und Verdi. Den Arbeitgeberverband der Privaten Anbieter Sozialer Dienste (BPA Arbeitgeberverband) leitet Rainer Brüderle, ehemals Bundeswirtschaftsminister der FDP. Kürzlich erklärte er: „Wir sehen die Versuche, allgemeinverbindliche Tarifverträge in der Pflege zu erzwingen, als schwerwiegenden Eingriff in die Tarifautonomie und wollen deshalb mit unserer Arbeitsvertragsrichtlinie (AVR) einen alternativen Weg aufzeigen.“
Gehälter der Privaten liegen niedriger
Die AVR, die unter anderem Bezahlung und Urlaub regelt, denkt sich die Organisation selbst aus. Nach Angaben von Verdi liegen die entsprechenden Gehälter teils um mehrere hundert Euro unter dem Niveau des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst, der für kommunale Häuser gilt.
Der zweite Verband, der AGVP, begründete seine Ablehnung tariflicher Regelungen am Donnerstag, indem er auf die ohnehin steigenden Gehälter des Pflegepersonals verwies. „Wir haben einen Nachfragemarkt“, erklärte Verbandsvize Fiedler. Soll heißen: Die Unternehmen suchen Pfleger*innen, bekommen aber zu wenige. Daher müssten die Firmen höhere Löhne bieten, um Personal zu gewinnen. Diese „Lohndrift nach oben“ zeigt sich zurzeit tatsächlich, wie auch Verdi einräumt.
Außerdem betont der AGVP, dass die Pfleger*innen gar nicht so schlecht bezahlt würden. Während Auszubildende hierzulande durchschnittlich 830 Euro monatlich erhielten, böten die Betreuungseinrichtungen schon im ersten Lehrjahr fast 1.100 Euro. Und die Vergütung von erfahrenen Altenpfleger*innen läge teilweise über der von Bankkaufleuten und Mechatroniker*innen.
Vorlage für Allgemeinverbindlichkeit fehlt
Die privaten Pflegefirmen haben vor allem Angst vor zu stark steigenden Personalkosten und Gängelung durch Gewerkschaft und Politik. Während Brüderle seine Verteidigung auf der Arbeitsvertragsrichtlinie aufbaut, bietet AGVP-Präsident Greiner an, über einen höheren Mindestlohn in der Pflegebranche zu verhandeln. Zudem sollen mehr ausländische Pfleger*innen ins Land geholt und die Qualifizierung der Beschäftigten verbessert werden.
So herrscht unter dem Strich gegenwärtig eine politische Blockade. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) wollen zwar einen Tarifvertrag mit höheren Gehältern für viele Arbeitnehmer*innen, suchen aber einen Weg. Denn zurzeit gibt es nach Darstellung des Arbeitsministeriums keine Vereinbarung, die man für allgemeinverbindlich erklären könnte.Die Regelungen des öffentlichen Dienstes sowie der gemeinnützigen und kirchlichen Träger seien zu speziell und kämen deshalb nicht in Betracht.
Heil fordert die „beteiligten Akteure, darunter auch die Arbeitgeberseite, auf, an diesem Punkt voranzukommen und die nötigen Strukturen für Tarifverträge zu schaffen“. Das heißt: Auch die privaten Verbände sollten sich unter anderem mit Verdi an einen Tisch setzen. Das genau lehnen die Arbeitgeber jedoch ab.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen