Drogentote in Berlin: Gedenkfeier für Drogentote
Berlin verzeichnete 2024 einen Höchststand drogenbedingter Todesfälle. Ihrer wurde am Montag gedacht und ein Kurswechsel in der Drogenpolitik gefordert.

Die Berliner Polizei verzeichnete im vergangenen Jahr 294 drogenbedingte Todesfälle – ein neuer Höchststand. 2023 waren es noch 271. Es wird zudem von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen.
„Hinter diesen nackten Zahlen stehen traurige Schicksale und bedrückende Lebensgeschichten“, so der Bundesdrogenbeauftragte Hendrik Streeck (CDU). Anfang Juli hatte er in Berlin den aktuellen Bericht des Bundesdrogenbeauftragten vorgestellt. Laut offizieller Statistik sind 2024 bundesweit 2.137 Menschen an Drogenkonsum gestorben – 6 täglich. Das waren 90 weniger als 2023. In Berlin stieg entgegen dem Bundestrend die Zahl der Drogentoten an.
„Die Drogen werden immer stärker, immer unvorhersehbarer und sind immer leichter zu bekommen. Durch Globalisierung, Digitalisierung, KI kommen immer schneller, immer mehr, immer problematischere Stoffe auf den Markt“, so der Bundesdrogenbeauftragte am Montag. Sorge bereite ihm der sprunghafte Zuwachs an Todesfällen in Verbindung mit synthetischen Opioiden wie etwa Fentanyl. Noch nie seien in Deutschland so viele Verstorbene mit synthetischen Drogen festgestellt worden.
Anstieg der drogenbedingten Todesfälle bei Jugendlichen
Als besorgniserregend bezeichnete Streeck zudem den Anstieg der Todesfälle bei jungen Drogenabhängigen unter 30 Jahren. Die Zahl stieg innerhalb eines einzigen Jahres um 14 Prozent.
Marc Seidel von JES Berlin (Junkies, Ehemalige und Substituierte), der selbst seit 25 Jahren substituiert, also Heroin durch das ärztlich verschriebene Opioid Methadon ersetzt, sagt dazu: „Wir verlieren Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich hatten.“ Darin sieht er ein Politikversagen: „Die Drogentoten sind das Ergebnis von mangelndem politischem Willen, Systemversagen und Ignoranz gegenüber wissenschaftlicher Evidenz.“
Seidel kritisiert, dass das Suchthilfesystem mit Drogenkonsumräumen, Substitutionsprogrammen, Drugchecking, Beratungsstellen, mobile Hilfen und Streetwork zu hochschwellig und unterfinanziert sei. Das Bündnis fordert daher den Ausbau und Schutz aller Schadensminderungsangebote sowie flächendeckendes, niederschwelliges Drugchecking, also Substanzanalyse, auch in Konsumräumen. Diese seien jedoch viel zu knapp, ebenso wie Ärzt*innen, die Substitution anbieten – oft aufgrund bürokratischer Hürden oder wegen Vorbehalten im Umgang mit Suchterkrankten. Diese würden weiterhin unter Stigmatisierung, Verdrängung, Ausgrenzung und Kriminalisierung leiden. Seidel fordert: „Substitution muss entstigmatisiert werden.“
Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD) verwies indes auf Berlins Strategie der „akzeptierenden Drogenpolitik“, wonach Suchtkranke ohne Stigmatisierung und Ausgrenzung unterstützt werden sollen. Ohne diesen Ansatz wäre die Lage noch dramatischer, so ihre Einschätzung. Doch die Realität sieht oft anders aus. Viele erreicht die Hilfe nicht oder sie kommt zu spät. Die Angehörigen und Freund*innen trauern: „R.I.P. an alle Opfer unserer gescheiterten Drogenpolitik“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!