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Drogenszene in Berlin-WeddingEinen Platz für alle schaffen

Viele Trinker und Junkies: Am Leopoldplatz im Wedding kracht es regelmäßig. Doch die Geschichte des Platzes zeigt auch, wie Zusammenleben klappen kann.

Auf dem Leopoldplatz finden seit einiger Zeit regelmäßig Märkte statt Foto: Joanna Kosowska

Der Streit entsteht wie aus dem Nichts. Eine Frau mit großen Ohrringen stürzt sich auf eine schmale Dunkelhaarige. „Du Schlampe!“, schreit sie und holt mit der Bierflasche aus. Das Glas zerschellt auf dem Gehweg. Gerangel, Geschrei. Ein Glatzköpfiger geht dazwischen, zieht die Frau mit den Ohrringen weg. Als er sie loslässt, greift sie sich eine neue Flasche und geht wieder auf die Dunkelhaarige los.

Die Passanten, die an diesem Nachmittag auf dem Weddinger Leopoldplatz unterwegs sind, machen einen Bogen um die beiden. Viele nehmen nicht weiter Notiz. Hier, zwischen Einkaufszentrum, Imbissen und U-Bahn-Eingang, gehören Pöbeleien zum Alltag. Minuten später hält ein Mannschaftswagen der Polizei. Die Beamten reden mit der Schmalen und dem Glatzköpfigen. Nach einer Viertelstunde fahren sie wieder ab.

„Pack schlägt sich, Pack verträgt sich“, sagt ein BVG-Mitarbeiter, der am Geländer des U-Bahn-Eingangs lehnt und den Streit beobachtet hat. Er zieht an seiner E-Zigarette. „Der Staat ist mit denen überfordert.“

Ist da was dran? Finden die Verantwortlichen – Bezirk, Polizei – tatsächlich keinen Umgang mit den Menschen aus der Trinker- und Drogenszene, die sich am Leopoldplatz treffen? Hält man sich länger vor dem U-Bahn-Eingang auf, kann man diesen Eindruck bekommen. Aber er wird der Lage nicht gerecht. Denn der Leopoldplatz zeigt auch, wie das Zusammenleben ganz unterschiedlicher Leute im öffentlichen Raum gelingen kann.

„Ich brauch’ mal ein paar, die mir Bänke tragen helfen“, sagt Tobias Wolf am nächsten Vormittag zu einer Gruppe von Männern, die mit Bierflaschen auf Steinpollern am Rande des Platzes hocken. Der Sozialarbeiter des Suchthilfevereins Fixpunkt organisiert mit einer Kollegin eine Grillaktion. Das hatten sich einige aus der Szene gewünscht. Drei Helfer bekommen sie zusammen. Es ist schwül. Wolf, ein stabiler Typ mit Tätowierungen und Piercings, schielt auf die sich auftürmenden Wolken. „Hoffentlich hält das.“

Wolf arbeitet seit Anfang 2016 auf dem Leopoldplatz. Er sagt, er mag seinen Job. „Ich sehe die Menschen hinter den Süchtigen.“

Die Sozialarbeiter von Fixpunkt sind im Auftrag des Bezirks hier, sie sollen Konflikte moderieren, Kontakt halten in die Szene. Sie beraten die Menschen, die sich auf dem Platz aufhalten, verteilen auch mal Spritzen. Und machen regelmäßig Kochaktionen. Auf einer Freifläche neben dem Gemeindehaus der Kirche am Rand des Leopoldplatzes stellen Wolf und seine Helfer die Bänke auf. Einer der Männer heizt den Grill an.

Ein Alkoholverbot wurde wegen Sinnlosigkeit abgeschafft: Die Szene hatte es einfach ignoriert

Auf dem der Müllerstraße zugewandten Teil des Platzes läuft unterdessen der Wochenmarkt. Händler verkaufen ökologisch angebautes Gemüse, Ersatzteile fürs Fahrrad, Gurken aus dem Fass. Eltern mit kleinen Kindern sitzen auf den Bänken. Man trifft und unterhält sich im Café Leo. Ein paar Trinker auf der Treppe der Kirche fallen nicht weiter auf. Ein friedliches städtisches Bild.

Vor zehn Jahren sah es hier noch ganz anders aus. Der Leo­poldplatz war heruntergekommen. Vor der Kirche versammelten sich oft um die 50 Menschen aus der Trinker- und Drogenszene, erzählt Wulf Dornblut, seit zwölf Jahren Präventionsbeauftragter der Polizei im Wedding. Andere hätten den Platz gemieden, erinnert er sich. Die Drogenszene sei damals viel größer gewesen als heute, sagt Astrid Leicht, Geschäftsführerin von Fixpunkt. Bis zu 120 Leute hätten sich in den U-Bahn-Eingängen gedrängelt.

2009 reichte es Anwohnern und Gewerbetreibenden: Sie sammelten Unterschriften. Ein runder Tisch wurde gegründet, an dem sich Interessierte und Engagierte aus sozialen Projekten mit Vertretern von Polizei, Kirchengemeinde, Bezirk, dem Quartiersmanagement und anderen austauschten.

Der Bezirk versuchte es ein Jahr lang mit einem Alkoholverbot auf dem Leopoldplatz – ohne Erfolg. Die Szene ignorierte es, die Leute kamen trotz der Kontrollen von Polizei und Ordnungsamt einfach immer wieder. „Das Verbot wurde wegen Sinnlosigkeit abgeschafft“, fasst Astrid Leicht zusammen.

Am runden Tisch erarbeitete man ein Handlungskonzept für den Platz. Ein Grundsatz einte die Beteiligten: Der Leopoldplatz soll für alle da sein, auch für AnwohnerInnen, Familien und Besucher. Den Drogenhandel wolle man bekämpfen, nicht aber die problematischen Nutzergruppen verdrängen. „Das so deutlich zu sagen, war damals schon etwas Besonderes“, erinnert sich Leicht.

Ohne die Fähigkeit, andere Verhaltensweisen auszuhalten, sei städtisches Leben nicht denkbar, sagt Stadtforscher Stephan Lanz (siehe Interview). Die Menschen vom Leopoldplatz trafen damals also eine sehr urbane Entscheidung: Sie bekannten sich dazu, auch anstrengende Andere tolerieren zu wollen – vorausgesetzt, ihre Bedürfnisse würden ebenfalls berücksichtigt.

Mit Geld aus dem Programm Aktive Stadtzentren wurde der Platz umgebaut. Der Bodenbelag wurde erneuert, vor der Kirche installierte man Wasserfontänen. An der Stelle, wo sich bisher die Szene getroffen hatte, eröffnete das Café Leo, berichtet Thorsten Haas vom bezirklichen Präventionsrat. Hinter der Kirche wurde ein abgeschirmter Aufenthaltsbereich im Freien mit Bänken für die Trinker aufgebaut, von ihnen „Affenkäfig“ genannt. Direkt daneben ein öffentliches Klo. Die Szene nahm das an, auch, weil sie es selbst mit entwickelt hatte. Die Lage entspannte sich.

Der Leopoldplatz hat es also schon ein Mal geschafft, dass sich Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Gewohnheiten den öffentlichen Raum teilten, ohne allzu sehr aneinander zu geraten.

Beim Grillen sind inzwischen rund 20 Männer und Frauen zu Tobias Wolf und seiner Kollegin gestoßen. Glasige Blicke verraten erhöhte Pegel, Hunde tollen mit Bällen herum. Es geht laut und fröhlich zu. „Wer hilft Buletten rollen?“ ruft jemand über die Terrasse.

Auch die Frau mit den großen Ohrringen vom Streit vor dem U-Bahnhof ist da. Sie sitzt auf einem Betonpoller vor dem Eingang zur Grillfläche, neben sich mehrere leere Bierflaschen, und weint. Es tue ihr so leid, was gestern passiert sei. Die andere Frau wolle ihr den Mann wegnehmen. „Ich habe diese Hexe gesehen und den Kopf verloren. Entschuldigung, das ist nicht gut“, sagt sie mit polnischem Akzent. Sie schnieft und packt ihre Sachen in den Korb eines schwarzen Damenrads. Sie müsse los zur Arbeit, sie sei Putzfrau bei einem älteren Ehepaar.

Es soll wieder ein fester Ort her, wo sich die Trinker treffen können, will der Bürgermeister

In direkter Nähe zum Leopoldplatz befinden sich drei Arztpraxen, die den Heroinersatz Methadon ausgeben. Deshalb halten sich hier viele sogenannte Substituierte auf. Die Frau mit den Ohrringen ist eine davon. „Die meisten, die Methadon nehmen, trinken auch. Die Kombination sediert stark“, erzählt Wolf.

Es gibt auch eine harte Drogenszene auf dem Leopoldplatz. Wohl auch deswegen haute es mit dem Aufenthaltsbereich für die Trinker irgendwann nicht mehr hin. Am Stuttgarter Platz habe die Polizei anderthalb Jahre massive Präsenz gezeigt, deshalb verlagerte sich die dortige Drogenszene an den Leopoldplatz, erzählt Astrid Leicht. Suchtkranke nutzten die öffentliche Toilette neben dem „Affenkäfig“, um Heroin zu rauchen. Mit ihnen sei eine aggressivere Form des Drogenhandels aufgekommen. „Für die, die dort Alkohol getrunken haben, entstand ein Angstraum“, sagt auch Polizist Dornblut.

Die Polizei verstärkte rund um das Klo die Kontrollen – was die Trinker nervte. Sie wanderten auf den vorderen Teil des Platzes zurück, zwischen Läden und U-Bahn-Eingang. Seit ein bis zwei Jahren gibt es dort wieder mehr Konflikte.

Die Kita, die sich bislang in der alten Nazarethkirche befindet, will demnächst umziehen, ins Gemeindehaus gegenüber. Jeden Tag müsse man den Garten kontrollieren, erzählt Kathrin Janert vom Evangelischen Kirchenkreisverband für Kindertageseinrichtungen Berlin Mitte–Nord. Eine Plane schützt die Kinder vor Pinklern. Der neue Garten im Gemeindehaus geht nach hinten raus, ein Vorteil. Die Belästigungen seien aber nur ein Grund gewesen für den Umzug. „Vor allen Dingen brauchen wir mehr Platz.“

Seit dem Herbst ist der Grüne Stephan von Dassel Bürgermeister des Bezirks. Er will verhindern, dass sich die Trinkerszene erneut ausbreitet. Dassel sagt: „Die Szene kann nicht den ganzen Platz dominieren.“ Bei seinem Amtsantritt hatte er noch öffentlich über ein neues Alkoholverbot nachgedacht. Das will er nun nicht mehr, wohl aber ein Verbot auf bestimmten Flächen.

Am liebsten wäre dem Bezirk, wenn Junkies den Drogenkonsumraum in der Birkenstraße in Moabit nutzen würden. Doch der Weg zu der öffentlichen Toi­lette auf dem Leopoldplatz ist kürzer. Die Idee, darin eine Sprinkleranlage zu installieren, um den Drogenkonsum zu unterbinden, sei wegen der Erkältungsgefahr im Winter nicht vertretbar gewesen, erklärt Haas vom Präventionsrat. Ein statt dessen installierter Rauchmelder schlägt offenbar nicht an. Nach wie vor wird dort Heroin geraucht, ohne Alarm.

Mittags beim Grillen. Der Wind fegt jetzt in Böen durch die Häuserschluchten. Dicke warme Tropfen fallen. Eilig tragen Sozialarbeiter und Gäste die Sachen in den Flachdachbau neben dem Gemeindehaus. Die Stimmen hallen in den kahlen Räumen so laut, dass man das Gewitter draußen kaum hört.

Das Gebäude gehört der Kirche, die Sozialarbeiter von Fixpunkt dürfen es hin und wieder nutzen. Viele der Grillgäste kennen es gut: Früher hatte die Szene hier einen eigenen Ort, an dem sie sich auch bei schlechtem Wetter aufhalten konnte, den Trinkraum Knorke. Aber weil die Sozialarbeiterin ausfiel und Heroin gefunden wurde, schloss die Kirche 2015 den Raum.

„Wir brauchen ein festes Angebot, damit uns die Trinkerszene nicht wieder ausbüxt“, sagt Stephan von Dassel heute. Die Kirche sei bereit, die Räume wieder zur Verfügung zu stellen, wenn sich der Bezirk um die Betreuung durch Sozialarbeiter kümmere, so der Bürgermeister. Im Herbst oder Winter soll der neue alte Trinkraum eröffnen.

Das könnte tatsächlich dazu beitragen, die Situation auf dem Leopoldplatz wieder zu entspannen. Viele der Männer und Frauen fühlen sich nach wie vor mit dem Ort verbunden. „Da kommst du jahrelang hier her und dann ist es plötzlich zu. Das war schon komisch“, erzählt einer. „Früher war es viel besser, als wir uns hier zurückziehen konnten“, sagt ein anderer.

Am frühen Nachmittag ist die Grillparty vorbei. Tobias Wolf und seine Kollegin müssen weiter, in den Kleinen Tiergarten. Auch da gibt es Probleme. Mehrere TeilnehmerInnen danken den Sozialarbeitern überschwänglich: „Das habt ihr so toll gemacht!“

Am U-Bahnhof-Eingang Leopoldplatz steht ein Pulk von Leuten. Einige Grillgäste mischen sich darunter. Noch haben sie keinen anderen Raum.

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1 Kommentar

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  • "Doch die Geschichte des Platzes zeigt auch, wie Zusammenleben klappen kann."

     

    Von Sozialarbeitern, Kirche, Ordnungsamt, Runden Tischen und Polizei misstrauisch beäugt, eingehegt, in Schach oder bei Laune gehalten, von manchen Orten verdrängt und in unauffälligere Ecken manöviert, an anderen Stellen aus verschiedenen Gründen geduldet, so lebt der marginalisierte Teil der Gesellschaft.

     

    Das ist nichts Neues, das wurde schon immer beobachtet, daran wurde schon immer mit jeweils menschlicheren oder unmenschlicheren Methoden herumlaboriert. In Berlin nimmt die Zahl der Marginalisierten, gleich welche Definition oder Zählweise man zugrunde legt, stetig zu.

     

    Insofern sind die berichteten Erfolge am Leopoldplatz nur ein Tropfen auf den heißen Stein, und was die Benutzer, Anrainer und Engagierten des Leopoldplatzes an Verbesserung erfahren, schlägt sich – Stichwort Verdrängung, Wanderung, Umschichtung - für beispielsweise die Besucher und Anrainer des kleinen Tiergartens als Negativum nieder.