Drogenhandel im Görlitzer Park: Die Geduld ist verraucht
Nach dem Fund von Kokain rund um den Spielplatz im Görlitzer Park in Berlin-Kreuzberg will Bürgermeisterin Herrmann nun auf einer Konferenz Lösungen finden.
Es war ein dicker Fisch, der der Polizei da im Görlitzer Park ins Netz gegangen ist. In der Grünanlage hatte am Montag vergangener Woche wieder einmal eine Razzia stattgefunden. Auf der Flucht warf ein Dealer einen Rucksack über den Zaun zum Kinderbauernhof. Die Polizisten hatten das gar nicht mitbekommen. Groß war das Erstaunen, als ihnen der Rucksack von aufmerksamen Beobachtern gebracht wurde, darin: eineinhalb Kilo Cannabis, verpackt in Portionstütchen, und ein Scheck über 65.000 Euro.
„Eine rote Linie ist überschritten“, sagt Monika Herrmann (Grüne), Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, zur taz. Im Görlitzer Park wird schon lange mit Cannabis gehandelt. Aber die Situation empfinden viele Anwohner zunehmend als unerträglich. 2012 wurden noch 30 bis 50 Dealer im Park gezählt, die meisten stammen aus Afrika. Jetzt sind es 200 und mehr. Anfang März haben Kinder einer Kita im Gebüsch des eingezäunten Spielplatzes, auf dem das Piratenschiff steht, vier mit Kokain gefüllte Kügelchen gefunden. Am 6. und 7. März suchte die Polizei daraufhin den Spielplatz und das angrenzende Parkgelände mit Drogenspürhunden ab. Gefunden wurden 89 Tütchen mit Marihuana und zwei Tütchen mit Kokain. Die Polizei untersucht außerdem den Inhalt von sechs Röhrchen, womöglich Crystal Meth.
Die erste Reaktion der Bezirksbürgermeister nach dem Kokainfund war, dass das Grünflächenamt den Sand auf dem Spielplatz durchsieben musste. Sie sei ernsthaft besorgt, sagt Herrmann. Harte Drogen auf einem Spielplatz seien ein absolutes No-go. „Die Razzien allein bringen nichts“, sagt Herrmann dennoch. Auf einer Sicherheitskonferenz mit Polizei, Ordnungsamt, Quartiersmanagement und zwei Stadträten will sie in diesen Tagen das weitere Vorgehen klären. Polizei und Ordnungsamt sollen im Park Doppelstreife laufen und auch an den Eingängen und in den Seitenstraßen gemeinsam Präsenz zeigen. Herrmann spricht von einer „dichten Taktung“ für die kommende Zeit.
Bislang galt der Görlitzer Park als Handelsplatz für weiche Drogen, auch bei der Polizei. Sogar in Berlin-Reiseführern ist das nachzulesen. Immer mehr Touristen kommen zum Einkaufen in den Park. Monika Herrmann erwägt nun, Streetworker loszuschicken, die Touristen dazu anhalten sollen, im Park nichts zu kaufen. Auch in Hostels sollen Flyer ausgelegt werden. Eine Anwohnerversammlung will Herrmann erst wieder einberufen, wenn sie genauere Vorstellungen hat. Frühere Versammlungen seien schwierig gewesen, weil es im Kiez Leute gebe, die sofort den Rassismusvorwurf erhöben, wenn über Konzepte gegen Dealer nachgedacht werde, sagt sie.
„Das macht es so schwer, an einem Strang zu ziehen“, sagt auch die Leiterin des Kinderbauernhofs, Claudia Hiesl. Der Bauernhof hat eine Umfrage unter Eltern und Kindern durchgeführt. Das Ergebnis: 80 Prozent der Anwohner mit Kleinkindern nutzen den Park nur noch an ausgesuchten Plätzen: den Kinderbauernhof, den Piratenschiffspielplatz, die Verkehrsschule und das Café Edelweiß. Viele Kinder trauten sich nicht mehr allein durch den Park, aus Angst, von den Dealern angesprochen zu werden, sagt Hiesl. Bei den Kindern seien wachsende Ressentiments gegen Schwarze zu beobachten, nach dem Motto: Alle Schwarzen seien Dealer.
Es gehe nicht darum, Erwachsenen das Kiffen streitig zu machen, sagt Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, die in Kreuzberg wohnt. „Es geht um Kinder- und Jugendschutz.“ Der Drogenhandel sei längst in die Wohngebiete geschwappt. Der Bezirk und der zuständige Polizeiabschnitt 53 dürften mit dem Problem nicht länger allein gelassen werden. Landeskriminalamt und Senat müssten ihren Teil der Verantwortung übernehmen. Kapek hat die Kügelchen, die Kinder auf dem Spielplatz fanden, gesehen: Milchig weiße Kugeln, in Zellophanpapier eingewickelt. „Sie sahen aus wie kleine Bonbons.“
Henry Maiwald ist Polizeihauptkommissar im Ruhestand. Bis zu seiner Pensionierung hat er als Präventionsbeauftragter beim Polizeiabschnitt 41 in Schöneberg gearbeitet. In Schöneberg-Nord gab es lange Zeit eine Drogenszene, unter der die Anwohner sehr gelitten haben. Mit einem differenzierten Konzept haben es Maiwald und seine Leute damals geschafft, die Szene aus Schöneberg zu verbannen.
„Es geht nur durch Verdrängung“, sagt Maiwald. Die Szene müsse nachhaltig gestört werden, sie dürfe nicht zur Ruhe kommen. Die Markt- und Geschäftsbedingungen müssten so verschlechtert werden, dass der Standort sich nicht mehr lohne. Polizeirazzien seien das eine, allein mit repressiven Maßnahmen sei es aber nicht getan. Anwohner und Geschäftsinhaber müssten sich zusammentun, rät Maiwald. „Devise muss sein: Das ist unser Kiez. Wir erobern ihn uns zurück.“
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