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Drogen-Krise in SyrienCaptagon erobert Westasien

In Syrien produziert, wird die Droge Captagon in Länder der Region geschmuggelt. Auch der deutsche Zoll beschäftigt sich mit dem Thema.

Fund von Captagon-Tabletten beim italienischen Zoll in Neapel 2020 Foto: napolipress/imago

Frankfurt taz | Der Markt für Captagon wächst. Laut aktuellem UN-Weltdrogenbericht wurden vor allem in der Region Westasien und Nordafrika (WANA) im Jahr 2021 insgesamt 86 Tonnen Amphetamine sichergestellt – rund das Doppelte im Vergleich zum Vorjahr. Aktuellere Zahlen liegen nicht vor.

Laut dem Bericht sind die Hauptproduktionsorte von Captagon Syrien und der Libanon. Von dort werden die Pillen meist in die Golfstaaten geschmuggelt – über Land via Jordanien, auf dem Seeweg oder indirekt, etwa über Südeuropa. Das UN-Büro für Drogenbekämpfung notierte 2023 erstmals auch die Beschlagnahmung von Captagon in Nord- und Westafrika.

Der Pharmakonzern Degussa brachte Captagon 1961 als Medikament zur Behandlung von ADHS auf den Markt. Captagon basiert auf Fenetyllin, einem Wirkstoff, der im Körper die typische Wirkung von Amphetaminen entfaltet, vor allem erhöhte Aufmerksamkeit. Der Appetit wird vermindert, Müdigkeit unterdrückt.

Die Nebenwirkungen können allerdings schwer sein: Depressionen, Halluzinationen und Angstzustände. Das UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) listete Fenetyllin 1986 deshalb als gefährliche Substanz mit hohem Suchtrisiko. In Deutschland gilt Fenetyllin als verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel. Seit 2003 gibt es keinen Hersteller mehr, der ein legal zugelassenes Präparat verkauft. Stattdessen gibt es mittlerweile Amphetamine, die weniger Suchtpotenzial haben und medizinisch eingesetzt werden.

Verbindungen zur Hisbollah

Vor allem in Syrien werden die Captagonpillen nun illegal hergestellt. Lokal produziertes Captagon ist in dem Land oftmals billiger als importiertes Essen. Die Droge hat auch den Krieg befeuert. Kämpfer aller Seiten haben Captagon genommen, um konzentrierter zu schießen. Mittlerweile ist die Droge zudem eine der Haupteinnahmequellen des Regimes von Präsident Baschar al-Assad, das aufgrund von internationalen Sanktionen nur schwer an legales Geld kommt.

Im vergangenen März sanktionierten Großbritannien, die USA und die EU zwei Cousins Assads sowie weitere Personen, die im Verdacht stehen, in den Handel verwickelt zu sein. Die BBC fand Beweise, dass weitere hochrangige Beamte daran beteiligt sind und auch Verbindungen zur Hisbollah bestehen, der libanesischen Partei und Miliz, die mit dem Assad-Regime verbündet ist. Sie kontrolliert de facto auch die Grenzübergänge zwischen Libanon und Syrien.

Der Handel ist vor allem ein Problem für die Staaten in der Region: In Saudi-Arabien ist Captagon eine der meistkonsumierten synthetischen Drogen. Im April 2021 verbot das Land den Import von Früchten und Gemüse aus dem Libanon, nachdem der Zoll in der Hafenstadt Dschidda 5 Millionen Captagonpillen fand. Jordanien verübte vor zwei Wochen Luftangriffe auf mutmaßliche Drogenhändler auf syrischem Gebiet. Bei einem Angriff wurden neun Menschen getötet, darunter auch zwei Kinder und mindestens drei Frauen. Im Dezember hatten Dutzende Drogenhändler die Grenze überquert. Die jordanische Armee teilte mit, dass die Händler bei dichtem Nebel auf jordanische Grenzsoldaten schossen.

Der Captagonhandel beschäftigt auch die Behörden in Deutschland. Im Oktober 2023 beschlagnahmte der Zoll 300 Kilogramm, die in einem Garagenkomplex bei Aachen lagen. Mit vorherigen Funden an Flughäfen in Köln und Leipzig lagerten die Händler 460 Kilogramm mit einem geschätzten Verkaufswert von 60 Millionen Euro. Vier Syrer sollen verantwortlich sein und sitzen in Untersuchungshaft. Im Juli nahmen Ermittler zwei Syrer in Regensburg fest, die ebenfalls 300 Kilogramm lagerten. Recherchen des ARD-Recherche-Netzwerks ergaben, dass in den vergangenen drei Jahren in Deutschland Captagon im Wert von einer halben Milliarde Euro gefunden wurde. Dabei schätzen Ex­per­t*in­nen, dass nur etwa 10 Prozent abgefangen werden. Europäische Länder dienen hauptsächlich als Umschlagplatz.

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