■ Dreizehn Jahre nach dem Mord an ihren Töchtern ist Monika Böttcher im dritten Prozess wieder zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Wegen Fluchtgefahr wurde sie sofort festgenommen. Böttcher muss wohl noch etwa dreieinhalb Jahre hinter Gitter. Ihr Anwalt hat bereits eine weitere Revision angekündigt – das wäre die vierte Runde: Lebenslänglich vor Gericht
Noch im Gerichtssaal wurde Monika BöttcNoch im Gerichtssaal wurde Monika Böttcher (ehemals Weimar) gestern in Frankfurt verhaftet. Regungslos nahm die heute 41-Jährige das „Lebenslänglich“ zur Kenntnis, das der Vorsitzende Richter Heinrich Gehrke exakt um 9.36 Uhr verhängt hatte.
Nach dem ersten „Lebenslänglich“ in Fulda (1988), dem Freispruch in Gießen (1995), drehte nun also der dritte Richterspruch im „Mordfall Mutter Weimar“ das Mühlrad der Justiz wieder zurück. Prozessbeobachter in Frankfurt hat der Ausgang dieses Verfahrens nicht überrascht. In 30 Verhandlungstagen war klar geworden, dass es keine neuen Entlastungsbeweise gibt, auf die Monika Böttcher hätte hoffen können.
So hatte am Ende das Frankfurter Schwurgericht (drei Berufs- und zwei Laienrichter) „keinen Zweifel daran, dass die Angeklagte die Tat begangen hat“. Monika Böttcher ist nach Überzeugung dieser vier Männer und einer Frau die Mörderin ihrer beiden Töchter Melanie (7) und Karola (5). Sie hat sie getötet, weil sie ihrem neuen Leben mit dem US-Soldaten Kevin Pratt im Wege standen. Als das Urteil vor 13 Jahren in Fulda zum ersten Mal gefällt wurde, machte sich in den Zuschauerreihen des Gerichtssaals die Volksseele Luft. „Bravo!“-Rufe und Applaus ernteten die Richter dafür, dass sie das „Ami-Flittchen“ hinter Gitter brachten, das den braven Ehesoldaten Reinhard Weimar so lange an der Nase herumgeführt und ihn mit ihrem Liebhaber betrogen hatte. Neun Jahre später weinten dagegen in Gießen jene vor Glück, die im Freispruch Böttchers endlich die Genugtuung für eine durch einseitige „Männerjustiz“ gedemütigte Frau sahen, deren bösartiger und gewalttätiger Ehemann ihr diesen Mord untergeschoben hat.
Selten hat ein Fall in der bundesdeutschen Justizgeschichte die Öffentlichkeit so bewegt und gespalten wie dieser. Alle glaubten zu wissen, wer die Mädchen umgebracht hatte. Dabei stand von vornherein nur eines fest: dass es entweder der eine oder die andere gewesen sein musste.
Was Monika Böttcher bei der jetzigen und der vorhergehenden Verurteilung zum Verhängnis wurde, war ihr Verhalten nach dem Tod der Kinder am 4. August 1986. Nach ihren eigenen, von der Staatsanwaltschaft nie geglaubten Angaben hatte sie bei ihrer Rückkehr von einem ihrer nächtlichen amourösen Treffen mit Kevin Pratt die Kinder tot, aber noch körperwarm in ihren Betten gefunden. Der Mörder Reinhard Weimar saß noch auf der Bettkante. Schrie sie jetzt entsetzt auf? Holte sie die Polizei? Nichts davon.
Merkwürdig.
Aus „schlechtem Gewissen“ gegenüber ihrem betrogenen Gatten, so behauptet sie bis heute, habe sie ihn am Anfang gedeckt. Sie legte sich sogar ins Ehebett, während er die Leichen angeblich beiseite schaffte. Sie schlief bis zum nächsten Morgen, machte dann Besorgungen bei Post und Bank. Erst gegen Mittag meldete sie ihre Mädchen als vermisst.
Seltsam.
Sie beteiligte sich an der Suche nach Melanie und Karola, von denen sie ja wusste, dass sie längst tot waren.
Unglaublich.
Verhält sich so eine liebende Mutter? Erst als sie selbst unter Verdacht geriet – drei Wochen nach der Tat – beschuldigte sie ihren Ehemann. Reinhard Weimar hingegen, laut Richter Gehrke „ein schwerfälliges Naturell“ und seit damals in permanenter psychiatrischer Behandlung, hat seine frühere Ehefrau bis heute nie beschuldigt. Wenn sie es gewesen sei, dann könne er sich das „nicht vorstellen“. Schließlich schreibt Monika Böttcher anonyme Briefe an sich selbst, in denen sie ihrem Mann den Mord unterstellt. Immer wieder ändert sie ihre Aussage, je nachdem, was man ihr an Beweisen vorlegt.
Zum Schluss entsteht das Bild einer Frau, die sich dreht und windet. Bald schon ließen die Ermittler den Verdacht gegen Reinhard Weimar, den sie anfänglich ebenfalls hatten, fallen und sahen in der Mutter die Mörderin.
Auch wenn sie kein Geständnis ablegte und kein eindeutiger Einzelbeweis sie überführte, so sprach doch die Zahl vieler Indizchen gegen sie: Da war der Mageninhalt der Leichen, der auf ein Frühstück schließen ließ. Also hatten die Kinder am Morgen noch gelebt. Da war die Mutter mit ihrem Auto am späteren Fundort eines der Mädchen gesehen worden. Da waren Faserspuren ihrer Bluse unter den Fingernägeln von Melanie. Da war der Sprung in der Autoscheibe, der eher von einem Kampf herrührte als von der von ihr geschilderten wilden Vögelei mit Kevin. Da war dies und jenes, und vor allem waren da fünf Menschen, die Karola und Melanie am Morgen des 4. August noch lebend gesehen hatten. Sie waren der Schlüssel in diesem dritten, aber wahrscheinlich immer noch nicht letzten Prozess um den Doppelmord von Philippsthal (Hessen). Denn als Monika Böttcher in Gießen freigesprochen wurde, hatte das Gericht diese Zeugen auch gehört, sie als „glaubwürdig“ eingestuft – und ihnen im Urteil dann doch nicht geglaubt. Der Bundesgerichtshof hob aus diesem Grund das Urteil auf und verlangte eine Neuauflage des Verfahrens in Frankfurt. Die Zeugen, bis auf die inzwischen verstorbene Großmutter, blieben in Frankfurt dabei: Die Kinder haben morgens noch gelebt. Und das Gericht glaubte ihnen. Dann aber gab es nur eine Schlussfolgerung: Monika Böttcher ist es gewesen. Alles andere, sagte Gehrke, gehöre in die Abteilung „Legenden, Märchen, Vorurteile“. Und dann rekonstruiert er Stunde um Stunde dieses 13 Jahre zurückliegenden Augusttages, an dem Monika Weimar, allein im Auto sitzend, „sich um 11 Uhr auf einem Waldparkplatz dazu entschließt, sich ihrer Kinder durch Tötung zu entledigen“. Dann holt sie zu Hause die Kinder ab, tötet sie und fährt wieder zurück.
Weil dieser einsame Entschluss, auf einem hessischen Waldparkplatz an einem Sommermorgen um 11 Uhr, auch dem Richter so unbegreiflich ist, macht er an dieser Stelle gar nicht den Versuch, etwas zu erklären. „Wie dem auch sei“, sagt Gehrke, „eine sichere Antwort über das Motiv kann nur die Angeklagte geben.“ Ein Gericht aber müsse auch dann verurteilen, wenn das Motiv „im Dunkeln geblieben“ sei“
Dann wird Gehrke, der zum Ärger der Verteidiger schon während der Verhandlung seine Zweifel an der Aussage Monika Böttchers durchblicken ließ, so banal wie pathetisch: „Eltern müssen auf ihr persönliches Glück verzichten, ehe sie Hand an ihre Kinder legen.“ Stimmt irgendwie.
Und dann rutscht Richter Gehrke in seiner eineinhalbstündigen mündlichen Urteilsbegründung doch wieder ein Wörtchen heraus, das Spekulationen ermöglicht, ob es nicht vielleicht doch ganz anders gewesen ist: Das Verbrechen, so Richter Gehrke, habe sich „höchstwahrscheinlich“ so abgespielt, wie er es geschildert habe. Vielleicht – vielleicht sogar auch allerhöchstwahrscheinlich. Aber reicht das aus? Im Zusachauerraum schütteln einige Frauen den Kopf. Die Mehrzahl der hundert zugelassenen Beobachter bleibt regungslos. Kein Applaus, keine Gefühlsausbrüche, als Monika Böttcher aus dem Saal geht, begleitet von zwei Justizbeamtinnen, die sie wegen „nicht auszuschließender Fluchtgefahr“ sofort in U-Haft bringen. Philipp Maußhardt,
Frankfurt am Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen