: Drei gegen den Kulturenclash
Einer wirbt für die „Akzeptanz des Anderen“. Der zweite setzt auf Verständigung via Internet. Der dritte interpretierte den Islam um und ist vogelfrei
aus Kairo JULIA GERLACH
„Wir sind im Krieg und ich habe beschlossen, nicht mehr mit Amerikanern zu sprechen. Mit Europäern übrigens auch nicht“, schnarrt Safinaz Kasim am Telefon. Sie nimmt den Clash der Kulturen persönlich. Keine Interviews mehr mit westlichen Zeitungen.
Safinaz Kasim war einmal der Inbegriff des ausgeflippten ägyptischen Mädchens: In den 60er-Jahren trampte sie durch Europa, trug Jeans und sorgte für gehörigen Wirbel, als sie den Oberhallodri Ahmed Fuad Nigm heiratete. In den 70er-Jahren entdeckte sie für sich den politischen Islam. Heute ist sie eine angesehene islamistische Kommentatorin für arabische Zeitungen. Ihre Meinung zählt etwas – besonders in diesen schwierigen Zeiten glauben ihr die Leser. „Ihr habt uns den Krieg erklärt“, raunzt Safinaz Kasim weiter: „Und jetzt sag nicht, dass ihr Europäer damit nichts zu tun habt. Der Westen hat dem Islam den Krieg erklärt. Der Dialog ist zu Ende“, sagt sie und knallt den Hörer auf die Gabel. Clash der Kulturen per Telefon.
Samuel Huntington hatte offenbar doch Recht. Sein Buch über den Kampf der Kulturen und die Überlegenheit der westlichen Zivilisation gegenüber der orientalischen Kultur wurde auch in der arabischen Welt gelesen. „Und dann haben wir auch noch unsere eigenen Samuel Huntingtons, die im Prinzip das gleiche schreiben nur auf islamisch, erklärt Milad Hanna. „Die hetzen gegen den Westen, verachten eure Kultur – so wie Huntington die unsere verachtet.“
Pingpong des Hasses
Der über 70-jährige kleine Herr ist ein angesehener Denker in Ägypten. Anders als Safinaz Kasim sieht er den Dialog nicht als beendet an. Im Gegenteil. Hanna, von Beruf eigentlich Stadtplaner, wurde durch seine Schriften bekannt, die eine Anleitung zum friedlichen Zusammenleben von Christen, Muslimen und Nichtgläubigen geben. Er selbst gehört zur Minderheit der ägyptischen Christen. Die beiden Lager, die arabische Welt und der Westen, stünden besonders in diesen Krisenzeiten in ständiger Wechselwirkung. Wie in einem Pingpongspiel, das immer schneller wird: Drei Tage nachdem das US-Magazin Newsweek mit der Titelstory „Warum hassen sie uns?“ herauskam, titelte die ägyptische Wochenzeitung Saut al-Umma: „Der Hass der Amerikaner auf die Araber von Nasser bis Bin Laden“.
Der US-Präsident erwähnte das Wort „Kreuzzug“. Er greift damit nicht nur den Sprachgebrauch seines Vaters während des zweiten Golfkrieges auf. Auch Ussama Bin Laden spricht von Kreuzrittern, wenn er zur Vernichtung der amerikanischen Feinde aufruft. Pingpong. In Ägypten sprechen die Menschen vom Kampf des Westens gegen den Islam. Ussama Bin Laden wird dabei – obwohl ihn viele vor dem 11. September entweder nicht kannten oder seinen Weg nicht sonderlich attraktiv fanden – zum Helden: Zum Sprachrohr der schwachen und gedemütigten Orientalen, die es sonst nie schaffen, sich gegen die übermächtige Zivilisation aus dem Westen zu wehren.
„Samuel Huntington hat ja nicht nur ein Buch geschrieben“, sagt Milad Hanna: „Er hat die Handlungsanweisung geschrieben, nach der die Amerikaner jetzt Politik machen.“ Diese Politik führe dazu, dass die arabische Seite sich Helden wie Bin Laden suche. „Diese Dynamik wird die Welt zerstören!“, sagt er und lächelt dabei fein: „Ich habe die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben, dass sich die Mächtigen noch einmal besinnen und sich dann auf die Suche nach einer anderen, freundlicheren Theorie machen, nach der sie regieren können.“
Er hätte da eine anzubieten: Im Mai dieses Jahres erschien sein neuestes Buch: „Die Akzeptanz des Anderen“. Im Moment findet es reißenden Absatz. Da die monotheistischen Religionen an sich dogmatisch seien, lautet der Grundgedanke des Buches, könnte Verständigung zwischen Menschen nur funktionieren, wenn sie die Religion aus dem Spiel lassen. Er plädiert für eine radikale Aufklärung in allen Religionen als Basis für ein Zusammenleben. So gebe es doch gerade im Islam liberale Strömungen. Es hänge jedoch von den politischen Bedingungen ab, dass diese sich gegenüber den Radikalen durchsetzen könnten. „Wenn Amerika so schnell wie möglich den Krieg in Afghanistan beendet und von der ungerecht einseitigen Politik im Nahostkonflikt abrückt, wenn dann der Westen eine Art Marshallplan für die Dritte Welt auflegen würde“, dann, sagt Milad Hanna, könnte vielleicht auch ein liberaler islamischer Prediger die gleiche Popularität erreichen wie jetzt Ussama Bin Laden.
Khalil Abdel Karim ist mit seinen 72 Jahren wohl schon zu alt, um in diese Rolle zu schlüpfen. Er hat seine Kanzlei in einem staubigen, völlig überfüllten Neubauviertel. Munter schaukelt er auf dem in sich zusammengesackten Bürostuhl hinter seinem Schreibtisch hin und her. Abdel Karim nennt sich selbst Erneuerer: „Der Koran ist vor so unendlich vielen Jahren in einer bestimmten gesellschaftlichen Konstellation entstanden“, erklärt er seinen Ansatz, „heute hat sich alles geändert. Das muss sich auch in der Religion widerspiegeln.“
Abdel Karim interpretiert nicht nur den Koran neu, er plädiert dafür, manche der Regeln, die das heilige Buch vorgibt, ganz zu überdenken. „Damals war es ein großer Fortschritt, dass die Frauen überhaupt Rechte bekamen“, erklärt er an einem Beispiel: „Der Islam sprach ihnen beispielsweise die Hälfte des Erbteiles ihrer männlichen Verwandten zu. Das war eine Revolution.“ Heute, in der veränderten Gesellschaft, in der die Frau eine ganz andere Rolle spiele als damals, sei dies eine Diskriminierung: „Heute müssen wir die koranischen Regeln ändern: Die Frau muss den gleichen Anteil bekommen wie der Mann.“ Abdel Karim arbeitet an der heiligen Schrift und beruft sich auf die alten Islamgelehrten wie Imam Buchari. Er hat auch die Bücher der anderen Religionen gelesen: „Da kann man auch etwas lernen“, sagt er.
Seine Ansichten gelten als ketzerisch: Zuletzt veröffentlichte er ein Werk, in dem er die Gefährten des Propheten Mohammed als ganz normale Menschen beschrieben hat. Er zitiert Quellen und schreibt in einem Stil, den sogar die Jungen aus seiner Nachbarschaft verstehen. „Das hat den Dogmatikern vom religiösen Establishment der Al-Azhar-Universität nicht gefallen“, sagt Khalil Abdel Karim. Sie erklärten ihn zum Abtrünnigen und damit für vogelfrei. Nach Auffassung der Radikalen ist es die Pflicht eines guten Muslims, einen Abtrünnigen umzubringen. „Ich bin zu alt für die Angst: Wenn mich jemand ermorden will, soll er das tun. Ein durchschnittlicher Ägypter wird nur 52 Jahre alt. Ich, mit meinen 72, bin schon seit 20 Jahren überfällig“, sagt er.
Rezept für Toleranz
Ahmed Abdallah, der einer neuen Generation von islamischen Denkern angehört, hat ein anderes Rezept, welches uns aus dem Clash der Kulturen und dem Kriegsszenario herausführen soll. „Das Einzige, was hilft, ist direkter Kontakt, Kennenlernen des Anderen, daraus entsteht Toleranz.“ Freunde und Kollegen machen sich über Ahmed Abdallah und seine Frau lustig: Immer wieder lassen sich die beiden zu Talkshows einladen und überraschen dort ihr Publikum mit sehr moderaten und sehr intelligenten Aussagen.
Neben seiner Arztpraxis arbeitet Ahmed Abdallah in einer Internetfirma. Informationen über den Islam, Hilfe bei individuellen Problemen und Chat-Möglichkeiten gibt es bei „Islam-Online“. Wer ein religiöses Problem hat, kann sich auch direkt an Scheich Qaradawi in Qattar wenden. Der beantwortet die Fragen dann per Mail. „Chatten gilt zwar als primitiv, aber ich bin davon überzeugt, dass es ein gutes Mittel gegen Missverständnisse und Kulturenclash ist“, sagt er. „Mehrere Millionen Jugendliche benutzen in Ägypten regelmäßig das Internet, wenn diese Jungen und Mädchen mit Gleichaltrigen in der ganzen Welt chatten, dann unterhalten sie sich natürlich nicht über Politik, das ist schon klar. Sie reden über Liebe, Sex und Musik.“ Wenn dann aber eine Katastrophe wie am 11. September in New York und Washington passiere, dann könnten sie auch mal direkt die Meinung der anderen einholen. „Das ist viel wirksamer und vor allem glaubwürdiger, als all das Gerede von Islamexperten und Dialogbeauftragten.“ Ahmed Abdallah grinst. Den Menschen in den arabischen Ländern müsse klar werden, dass der Westen nicht aus Millionen Nachbildungen von Georg W. Bushs bestehe. Und dass Ahmed Abdallah kein Doppelgänger von Ussama Bin Laden ist.
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