Dreck in der Großstadt: Nicht ideal

Müll im Fahrradkorb ist nicht toll – es macht aber auch keinen Spaß, als 12-Jährige jeden Samstag die Straße vor dem eigenen Haus fegen zu müssen.

Warum tun die Leute das nur? Müll am Straßenrand in Berlin-Neukölln Foto: dpa

Über Silvester hatten wir Besuch vom Land, und als wir gemeinsam vor unserem Haus standen, sagte der Besuch, er verstünde nicht, warum es hier so dreckig aussähe. Gefiele es denn den Leuten so? Man könnte sich doch auch einmal vor das Haus setzen wollen, was aber niemandem einfallen würde bei dem ganzen Dreck.

„Das kommt von der Baustelle“, sagte ich schnell, „wir haben ja seit zwei Jahren hier diese Baustelle.“ Das stimmt zwar und ist auch teilweise ein Grund für den Dreck, aber die eigentliche und wahre Erklärung dafür ist eine andere. Ich wollte sie nur lieber für mich behalten, denn er macht die Stadt für manche Leute eben nicht attraktiv.

Man möchte doch, dass ein Besuch sagt, „Schön habt ihr es hier, ein schönes Leben.“ Man möchte nicht, dass der Besuch dabei denkt: „Was müsst ihr armen Schweine denn im Dreck leben, wenn ihr vor die Tür geht. Nicht mal auf einen Stuhl könnt ihr euch hier vor das Haus setzen, wenn ihr das wolltet, ohne euch zu ärgern, jedenfalls.“

Die Sache aber ist die: Der Dreck ist normal, DAS IST DIE STADT.

Als ich einst von einem winzigen Dorf in Brandenburg nach Berlin-Neukölln gezogen war, war ich unentwegt erschrocken. Zum Beispiel, als ich meine Wohnungstür nicht öffnen konnte, weil ein Mann davor lag; zum Beispiel, als ich die Frontscheibe meines uralten Autos eingeschlagen fand, weil jemand mein kaputtes Autoradio gestohlen hatte; zum Beispiel, als eine Frau sich, einfach so, quer über die Straße legte.

Anfangs erschrak ich also und wunderte und erregte mich, aber jetzt lebe ich dreißig Jahre in der Großstadt und sehe abgehärtet über das meiste hinweg

Es erschreckte mich, dass ich täglich neuen Fastfoodmüll im Einkaufskorb meines Fahrrades vorfand, dass die Wege voller Hundekacke waren, obwohl ich die Würstchen meines eigenen Dackels immer aufsammelte, und das schleimige Hingerotzte ließ mich immer wieder würgen, weil ich einfach noch nicht abgehärtet war.

Es ist nicht ideal – aber es lohnt sich

Einen Katalog hätte ich erstellen können, mit Dingen, die man nicht tut, die die Leute aber taten! Warum taten diese Leute diese Dinge nur? Diese Dinge, die ich niemals tun würde? Anfangs erschrak ich also und wunderte mich und erregte mich, aber jetzt lebe ich dreißig Jahre in der Großstadt und sehe abgehärtet über das meiste hinweg.

Früher mussten wir Kinder jeden Samstag das Stück Straße vor unserem Haus fegen. Hier in Hamburg ist das nicht unser Haus. Es ist das Haus von irgendwem. Und das stimmt nicht mal, denn das Haus, in dem ich wohne, ist ein Genossenschaftshaus. Aber es ist das Haus von vielen und die Leute in unserem Haus interessieren sich nicht für Gehwegpflege.

In manchen Häusern ist das anders, da legt einer ein Beet davor an und schaufelt tapfer die Kacke weg, die die Hunde anderer Menschen in dieses Beet gekackt haben. Aber in unserem Haus sind die Leute nicht so tapfer und enthusiastisch. Ich nehme den Müll aus meinem Fahrradkorb, fast ohne überhaupt noch schlechte Gedanken dabei zu haben, denn Müll im Fahrradkorb, das ist eben die Stadt. Freilich ist das nicht die Stadt in den Hamburger ­Vororten, in Nienstedten oder Klein Borstel oder am Sülldorfer Kirchenweg, aber es ist die Stadt, in der ich lebe, wie ich sie nun mal kenne, seit dreißig Jahren.

Es ist nicht ideal – hätte ich dem Besuch vom Lande sagen können, wenn ich gesagt hätte, was ich nur gedacht habe – aber ideal ist es auch nicht dort, wo du als Zwölfjährige am Samstag das Stück Straße vor deinem Haus fegen musstest. Es ist doch das Leben ein großer Kompromiss, man muss nur wissen, ob es sich lohnt, und mit der Stadt ist es so, da sage ich bis hierhin und immer noch – ja.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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