Dortmunder Debatte: Scheiß Mentalität!

Borussia-Kapitän Marco Reus nervt das Gerede um die Einstellung des Dortmunder Team. Im deutschen Fußball gibt es eben nur eine richtige Mentalität.

zwei Dortmunder Fußballspieler

Böse Ahnung: Marco Reus (r.) weiß, wie Missgeschicke gern interpretiert werden Foto: dpa

Es ist so etwas wie das erste Gebot im deutschen Fußball: Mentalität schlägt Qualität. Und hervorgebracht hat das so genannte Mentalitätsmonster wie Matthias Sammer oder Oliver Kahn, deren große Karrieren nicht vornehmlich auf ihrem großen Talent, sondern auf ihrer Willensstärke fußten. Im Umkehrschluss hat die Sichtweise stets dazu geführt, dass den qualitativ besseren Teams im Falle einer nicht gewonnenen Partie häufig ein Mangel an Mentalität vorgeworfen wurde.

Folglich war die am Sonntagabend pampig vorgetragene Bitte von Marco Reus an den Sky-Reporter, nachdem seine Borussia aus Dortmund gegen Eintracht Frankfurt noch den Ausgleich hinnehmen musste (2:2), dieses Gequatsche um die Mentalität doch endlich mal sein zu lassen („Aber kommt mir jetzt nicht mit eurem Mentalitätsscheiß. Jede Woche immer dieselbe Kacke … Jetzt ist langsam mal gut“), nichts weiter als ein frommer Wunsch.

Verständlich einerseits, weil, hätte der Dortmunder Thomas Delaney den Ball in der 88. Minute mit seiner Grätsche statt ins eigene Tor knapp darüber bugsiert, die Nachbesprechung der Partie sich vermutlich ins andere Extrem gewendet hätte, die Szene womöglich als entscheidende Mentalitätsleistung gefeiert worden wäre. Auch Leverkusens Trainer Peter Bosz oder Gladbachs Mittelfeldspieler Christoph Kramer haben schon über die Oberflächlichkeit dieses Erklärungsmusters geklagt, das alles und nichts trifft. Man mache es sich damit zu einfach.

Andererseits haben die genannten Kläger die Mentalität ebenfalls schon häufig hochleben lassen. Reus erklärte noch im März, als die Dortmunder ihren Vorsprung gegenüber dem FC Bayern verspielten: „Wenn wir wieder mehr unsere Mentalität zeigen, kommen wir da auch raus.“ Um dann prompt nach dem darauffolgenden Sieg in Berlin zu erklären: „Es zeigt, dass wir Mentalität und Charakter haben, darauf können wir aufbauen.“ Beim letzten verlorenen Bundesligaspiel bei Union Berlin kam er zu dem Schluss: „Grundsätzlich müssen wir uns komplett hinterfragen, eine andere Einstellung, eine andere Mentalität und einen anderen Willen an den Tag legen.“

Es scheint an diesem Begriff kein Vorbeikommen zu geben. Und auf dieses Spiel hat sich Marco Reus schon zu lange eingelassen, um jetzt darüber klagen zu können. Das Problem ist, dass es im deutschen Fußball nur die eine Mentalität zu geben scheint, die mit Willen, Kämpfen und Rennen bis zum Umfallen assoziiert wird.

Pep Guardiola hat als Trainer des FC Bayern einmal gesagt, er gebe einen Scheiß auf die Kondition. „Für mich ist es die Mentalität, die zählt.“ Was er damit wohl gemeint hat? Vielleicht die Fähigkeit, sich nicht beirren zu lassen, den eigenen Qualitäten zu vertrauen und sich nicht das Kampfspiel des Gegners aufdrücken zu lassen. Mentalität kann sehr Unterschiedliches bedeuten. Gut möglich also, dass den Dortmundern in Frankfurt Mentalität gefehlt hat, wenn auch in einem ganz anderen Sinne.

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Jahrgang 1971, bis Ende März 2014 frei journalistisch tätig. Seither fest mit dem Leibesübungen-Ressort verbunden.

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