Doppelter Protest-Samstag: Rathaus belagert, Schanze gerockt
5.000 Hamburger beteiligen sich am "Occupy Wall Street"-Aktionstag. Auch zum "Miete nervt"-Konzert vor der Roten Flora kommen mehrere tausend Besucher.
Große Veranstaltungen haben am Samstag für Aufsehen gesorgt: Am Mittag versammelten sich nach übereinstimmenden Medienschätzungen mehr als 5.000 Menschen im Rahmen des internationalen "Occupy Wall-Street"-Aktionstages auf dem Rathausmarkt, um gegen die Macht der Finanzmärkte zu protestieren. Stunden später zählte das Open-Air-Konzert "Miete nervt" vor dem Autonomen-Zentrum Rote Flora mehrere tausend Besucher.
Breite Resonanz
Die Aufrufer zum "Occupy Wall Street"-Protest - "besetzt die Wall Street" - unter dem Motto "Echte Demokratie jetzt" waren selbst über die breite Resonanz überrascht. Ein Völkchen jedweder politischen Couleur tummelte sich auf dem Rathausmarkt, um seinem Unmut über die Milliarden Euro schweren Rettungsschirme für die Banken und den damit einhergehenden Sozialabbau zum Ausdruck zu bringen. Der Moderator der Veranstaltung animierte alle, ihre mitgebrachten Plakate zur Schau zu stellen, jedoch bat er die Parteien ihre Fahnen einzurollen, um den Protest nicht parteipolitisch zu instrumentalisieren.
"Weltweit: Die Reichen gehen über Leichen" und "Die Banken machen uns zu Kranken" sowie "Alle Gewalt geht von Finanzkonzernen aus" war auf den Plakaten zu lesen. Aber auch karikierende Beiträge fanden Anklang. Im Verlauf der vielen Reden zur Finanzkrise marschierten die "Europäischen Bankiers-Gattinnen" mehrmals mit Regenschirmen über den Platz, um auf Plakaten für ihre Gemahle zu werben: "Steuern rauf, Banken retten" oder "Rettungsschirm vergrößern" und "Profit geht vor."
Fest nicht angemeldet
Während der dreistündigen Kundgebung waren die Vorbereitungen des Konzerts "Miete nervt" im Schanzenviertel in der Endphase. Das Bündnis Recht auf Stadt wollte damit zu der großen Mieterdemo "Mietenwahnsinn stoppen, Wohnraum vergesellschaften" am 29. Oktober mobilisieren. Getreu dem Vorbild des alljährlichen Schanzenfestes wurde das Festival nicht angemeldet.
Die Polizei hatte im Vorfeld signalisiert, auch dieses Konzert zu dulden. Sie ließ sich den ganzen Abend lang - mit Ausnahme einiger ziviler Staatsschutzaufklärer - nicht blicken. Ernst-August Landschulze, dem das seit Jahren leer stehende Haus neben der Roten Flora Ecke Juliusstraße gehört, nahm die Losung des Protestes offenbar sehr ernst: Vielleicht aus Angst vor einer Besetzung hatte er Security-Männer im Szene-Outfit geordert. "Seine Überlegung war naheliegend, obwohl wir sie gar nicht angestellt haben", sagt ein Insider.
Höhepunkt des Festivals war die Show der Elektropunk-Band "Frittenbude" - vor 2.500 wild tanzenden Zuschauern. Zuvor hatte Frank Spilker ("Die Sterne") gesungen und Jan Plewka Songs des "Ton, Steine, Scherben"-Sängers Rio Reiser zum Besten gegeben. Gegen 22.40 Uhr ging das Konzert nach sechs Stunden ohne Zwischenfälle zu Ende und die Säuberung des Schulterblattes durch die Veranstalter begann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen