Doping im Wintersport: Mr. Biathlon und Doktor Epo
Tipps vom Dopingarzt Michele Ferrari und abgehörte Gespräche: Der Multifunktionär Gottlieb Taschler und sein Sohn Daniel stehen vor Gericht.
Der berüchtigte Dopingarzt Michele Ferrari hat nicht nur Radprofis erstaunlich schnell werden lassen. Der Trainingsguru mit dem Spitznamen „Doktor Epo“ hat auch in der Leichtathletik und im Wintersport mitgemischt. Bei einem heute mit der Urteilsverkündung in Bozen zu Ende gehenden Prozess werden Ferraris Aktivitäten im Biathlon beleuchtet.
Im Fokus steht dabei aber der Multifunktionär Gottlieb Taschler. Als „Mister Biathlon“ gilt der 54-Jährige in der Biathlon-Hochburg Antholz. Der frühere Staffelweltmeister (1991 in Lahti) machte nach Beendigung seiner sportlichen Karriere die Wettkämpfe von Antholz, darunter auch die WM 2007, zu regelrechten Wintersport-Events. Als Vizepräsident des Internationalen Biathlonverbands ist er auch ein wichtiger Strippenzieher und holte für 2020 erneut die WM in seine Heimat.
Taschler ist aber auch ein alter Bekannter von Michele Ferrari. Er kannte ihn noch aus seiner Zeit als Aktiver, das bestätigte Taschlers Anwalt Flavio Mocca. Weil es mit der Sportkarriere von Sohn Daniel nicht so lief, wie sich die Taschlers das wünschten, reaktivierte Taschler senior seine alten Kontakte.
Das geschah 2010. Zu diesem Zeitpunkt war Ferrari von der italienischen Sportjustiz wegen seiner Dopingpraktiken bereits auf Lebenszeit gesperrt worden. Sportlern und Betreuern war der Kontakt mit Ferrari verboten. Zahlreiche Radprofis, die auf die Dienste Ferraris dennoch nicht verzichten wollten, wurden allein wegen der Treffen mit dem Arzt gesperrt, darunter Mailand–Sanremo-Sieger Filippo Pozzato und der dreifache italienische Meister Goivanni Visconti.
Wie in einem Agentenfilm
Des Risikos waren sich Taschler und Ferrari durchaus bewusst. Frei nach dem Drehbuch eines Agentenfilms organisierten sie ihre Treffen. Im Juli 2010 rief Gottlieb Taschler das erste Mal Ferrari an, um sich bei ihm für seinen Sohn einzusetzen. Zwei Tage später taucht den Ermittlungsunterlagen zufolge Ferrari in Antholz auf. Taschler senior holt den Gast mit einem Lieferwagen am Dorfeingang ab.
Drei Wochen später das gleiche Schauspiel. Ferrari hat da offenbar noch keine Dopingmittel dabei. Erst für Mitte Oktober ist an der Autobahnausfahrt Ferrara Nord – bei Ferraris Heimatstadt – ein Treffen verabredet. Dieses Mal macht sich Daniel Taschler auf den Weg in die Emilia Romagna. Ferrari steht an der Autobahnausfahrt mit seinem berühmt-berüchtigten Camper, der auch schon Lance Armstrong beherbergt hatte.
Tipp von Dopingarzt Ferrari
Was Ferrari und Taschler nicht wussten: Der Camper war verwanzt. Und so hörten die Carabinieri mit, wie Ferrari dem pikanterweise für einen Polizeisportverein startenden Athleten Ratschläge über Dosierungen von Epo gibt. Sie hören ebenfalls, wie er ihm sagt, wie er das Epo spritzen soll, und auch, wo er es am besten erwirbt. Ferrari warnt Taschler davor, die Dopingpräparate im Haus aufzubewahren.
„Pass auf, du weißt, dass das besser nicht im Haus zu behalten ist. Es ist eine Straftat. Hast du nicht einen anderen Platz? Jetzt wird es draußen ja schön frisch, wichtig ist, dass es nicht gefriert. Verstecke es unter der Erde oder unter Blättern. Ich weiß nicht, ob du einen Keller oder eine Holzlege hast . . . wenn du eine Holzlege (legnaia) hast, geht es auch gut, dann kannst du es dort lassen.“
Warum das Versteckspiel?
Ferrari gibt Taschler junior auch Anweisungen, wie die nächsten Treffen zu organisieren seien. „Diesmal aber treffen wir uns in Ferrara Süd. Ich gebe dir auch noch eine andere Telefonnummer, die du aber nicht über dein Telefon anrufen darfst. Du musst ein anderes Telefon verwenden, das nicht registriert ist und das du nur für diese Gespräche benutzt. Du besorgst dir ein anderes Telefon über eine dritte Person, die nicht du und auch nicht Gottlieb ist und die ein Telefon und eine Sim-Karte kauft. Du darfst diese Simkarte aber auch nicht in deinem Telefon benutzen, denn sonst kann man das zu dir zurückverfolgen. Also, ich gebe dir jetzt meine andere Nummer, es ist eine Schweizer Rufnummer, die du aber nur für diese Sache gebrauchst. Es ist auf jeden Fall besser, wenn du überhaupt nicht anrufst.“
Als diese Abhörprotokolle das erste Mal von der Gazzetta dello Sport veröffentlicht wurden, wehrte sich Gottlieb Taschler noch vehement gegen die Anschuldigungen. Er behauptete, dass es bei dem Kontakt mit Ferrari nur um das Beheben gesundheitlicher Probleme seines Sohns gegangen sei. Warum aber dann das ganze Versteckspiel?
Daniel Taschler nahm dies alles auf sich, um bessere Leistungen zu erzielen. Seine besten Karriereleistungen erreichte er auch in der Saison der Ferrari-Betreuung. Beim Biathlon-Europacup in Altenberg wurde er im Januar 2011 Fünfter im Sprint.
Die Sperren laufen 2018 aus
Vier Jahre später beendete er seine Karriere, nachdem im Dezember 2014 erstmals Dopingvorwürfe laut wurden. 2016 wurden beide Taschlers vom Sportgericht des nationalen olympischen Komitees in Italien für zwei Jahre gesperrt. Gottlieb Taschler gab seinen Posten als Vizepräsident der IBU ab und trat auch als Organisationschef der Antholzer Wettkämpfe zurück. Die Sperren laufen im Juni 2018 aus.
Formal kann der „Mister Biathlon“ aus Antholz dann wieder für die WM in seiner Heimat tätig werden. Ob die Biathlon-Union sich aber einen Frontmann leisten will, der mit dem berüchtigtsten Dopingarzt Italiens zusammenarbeitete, ist eine andere Frage.
Erschwerend in der Causa Taschler kommt hinzu, dass der österreichische Biathlet Johannes Dürr, der Schwiegersohn von Gottlieb Taschler, im Februar 2014 ebenfalls mit dem Dopingmittel Epo erwischt wurde. Dürr lebte und trainierte seit 2013 in Antholz. Der Österreicher, der eine Zweijahressperre erhielt und sich auch vor der österreichischen Strafjustiz verantworten musste, ist als Zeuge für den Prozess am Freitag in Bozen geladen worden. Gottlieb Taschler ist dort der Beihilfe zum Doping angeklagt, Daniel Taschler des Dopings. Angeklagt ist ebenfalls Michele Ferrari.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Biden hebt 37 Todesurteile auf
In Haftstrafen umgewandelt
Jahresrückblick Erderhitzung
Das Klima-Jahr in zehn Punkten
Analyse der US-Wahl
Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht