Doping bei der Tour de France: Ach, das bisschen Gift!
Am Rande der Tour de France wird über neue Arten unerlaubter Beschleunigung spekuliert: Kohlenmonoxid-Methode, AICAR und Diabetes-Mittel.
Gepustet hat er nun doch. Nachdem Tadej Pogacar am Dienstag noch ganz verwundert auf eine Nachfrage zum sogenannten Kohlenmonoxidverfahren zur Bestimmung des Hämoglobinwerts reagierte, gab er am Mittwoch dann doch zu, auch mal in den Ballon geblasen zu haben. „Ja, wir benutzen das zum Ermitteln des Hämoglobinwerts beim Höhentrainingslager“, sagte er am Mittwoch. Er habe es aber nur ein einziges Mal durchgeführt.
Die Debatte entzündete sich, weil die US-Plattform Escape Collective herausfand, dass einige Tour-de-France-Rennställe diese Tests einsetzen. Sie sind nicht verboten. Genauso wenig, wie es verboten ist, im großen Blutbild Hämoglobin, Hämatokrit und andere Werte zu ermitteln, die Aussagen über die Sauerstofftransportfähigkeit des Bluts zulassen.
Je mehr Sauerstoff im Blut ist, desto mehr Energie kann in den Muskelzellen erzeugt werden. Umso größer ist auch die Ausdauerleistung. Deshalb nahmen Ausdauersportler früher Epo, ein verbotenes Medikament. Jetzt ist das dank besserer Kontrollen bestenfalls als Minidosierung möglich. Das Risiko-Nutzen-Verhältnis verschob sich zu Ungunsten der Dopinganwender auf dem Rad.
„Methoden sind umfangreicher geworden“
Pustet man allerdings nicht nur in die Messapparatur, sondern atmet das Kohlenmonoxid tiefer ein, kann das zu Effekten führen, die dem Aufenthalt in großer Höhe vergleichbar sind: Der Organismus hat weniger Sauerstoff zur Verfügung. Hämoglobin bindet Kohlenmonoxid etwa 300-mal stärker als Sauerstoff, warnt die Bundesärztekammer in einer Patienteninformation über Kohlenmonoxidvergiftung.
Und bevor man tot ist, weil zu viel des Gifts ins Blut gelangt ist, reagiert der Organismus mit verstärkter Bildung roter Blutkörperchen – und damit höherer Sauerstofftransportkapazität im Blut. Die spannende Frage ist nun, ob bei den Teams, die den Kohlenmonoxidtest bislang zugaben – neben Pogacars UAE Emirates noch Jonas Vingegaards Visma Lease a Bike und Chris Froomes Israel Premier Tech – ihre Athleten nicht nur kurz reinblasen lassen, sondern sie zwecks Verbesserung der Blutparameter am Gift auch mal länger schnüffeln lassen. Natürlich nicht, teilten die Teams mit. Überprüfbar ist das aber nicht.
Ein anderes Problem, das den Radsport neben allen anderen, gerade auch olympischen Ausdauersportarten betrifft, ist, dass immer mehr pharmazeutische Präparate im Umlauf sind, die die Leistungen beträchtlich steigern können. Davor warnt jedenfalls der Leiter des Kölner Dopingkontrolllabors, Mario Thevis. „Die Möglichkeiten der Leistungsbeeinflussung durch nicht erlaubte Mittel und Methoden sind umfangreicher geworden. Wir müssen uns noch mehr anstrengen, diese Wege der Manipulation aufzuzeigen und abzudecken. Und wenn das an der einen oder anderen Stelle noch nicht gelungen ist, dann könnte das auch eine Erklärung für eine außergewöhnliche sportliche Leistung sein, die nicht nur auf optimierte Rahmenbedingungen und größtes sportliches Talent zurückzuführen ist“, sagte Thevis der taz.
Er bezieht sich auf Mittel, die im klinischen Alltag unter anderem gegen Diabetes eingesetzt werden, die seit einiger Zeit aber auch ohne Rezept über Internetshops erhältlich sind. Sie regen die Mitochondrien, also die Kraftwerke der Zellen, zu höherer Leistung an, was zu höherer Ausdauer führen kann. Einen Test dafür hat Thevis bereits entwickelt. Eingesetzt wurde er von den diversen Antidopingagenturen seines Wissens bislang aber nicht, sagte er der taz. Um Missbrauch zu vermeiden, möchte er den Namen des Präparats nicht veröffentlicht sehen.
Eine andere kritische Substanz ist AICAR. Auch sie trägt zu einer Erhöhung der Anzahl an Mitochondrien bei. „Das bedeutet, dass ein höherer Energieumsatz möglich ist und mehr der für die Ausdauerleistungsfähigkeit erforderlichen Energie bereitgestellt werden kann“, beschreibt Thevis die Effekte. Nachweisverfahren für AICAR gibt es. Der Nachweis selbst ist aber herausfordernd. „AICAR kommt als körpereigene Substanz vor. Eine Unterscheidung zwischen diesem natürlich produzierten AICAR und dem synthetisch hergestellten und verabreichten AICAR in Dopingkontrollproben ist anspruchsvoll.
Es bedarf eines Hinweises, wie beispielsweise erhöhte AICAR-Konzentration im Urin oder auffällige Markerwerte, um mit einer Isotopenverhältnis-Massenspektrometrie-Analyse die Herkunft des vorliegenden AICARs zu bestimmen“, erklärt der Kölner Biochemiker. Das heißt, erst wird die Konzentration von AICAR im Organismus ermittelt. Übersteigt die einen gewissen Grenzwert, wird mit einem weiteren Test nachgelegt. Der kam bislang aber etwa nur zehnmal zum Einsatz. Engmaschigere Kontrollen auf AICAR würden zu einer höheren Glaubwürdigkeit von Spitzenleistungen sehr gut beitragen. Jetzt bei der Tour und gleich danach bei Olympia.
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