Doping bei der Leichtathletik-WM 2009: Meisterhafte Vertuschung
Dopingtests von der Leichtathletik-WM 2009 legen viele Verstöße nahe. An einer Aufarbeitung scheint kaum Interesse zu bestehen.
Im Frühjahr 2015 führte der Weltverband der Leichtathleten Nachtests von Dopingproben der WM 2005 in Helsinki und 2007 in Osaka durch. 32 positive Proben von 28 Sportlern wurden entdeckt. Namen wurden nicht genannt. Die IAAF erklärte: „Ein Großteil der 28 Sportler ist bereits vom Leistungssport zurückgetreten, manche wurden bereits sanktioniert und nur wenige sind noch aktiv.“
Das Statement legt nahe, dass nur kleinere Dopingfische gefangen wurden – ein Trugschluss. Vor zwei Wochen sickerte durch, dass unter den Fällen von 2005 die damalige Weltrekordlerin im Hammerwurf und WM-Dritte Tatjana Lysenko (heute unter dem Namen Beloborodowa bekannt) war.
Lysenko wurde 2007 bei einer anderen Dopingkontrolle erwischt und gesperrt. Wäre der positive Test von 2005 schon bekannt gewesen, hätte das die zweite Sperre und damit lebenslangen Ausschluss vom Leistungssport bedeutet. So aber konnte sie noch zweimal WM-Gold (2011 und 2013) holen und sogar den Olympiasieg in London feiern.
Wer damals im Stadion war oder die Wettkämpfe vor dem Fernseher verfolgte, darf sich verschaukelt vorkommen – ihre Konkurrentinnen erst recht. Verschaukelt vorkommen dürfen sich auch die Zuschauer der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin. Atmosphärisch war es ein Riesenerfolg. Der jamaikanische Sprinter Usain Bolt stellte über 100 Meter einen neuen Fabelweltrekord auf.
Wie dick ist das Blut?
Lokalheld Robert Harting zerriss sich nach seinem Gold-Diskuswurf kamerafreundlich das Leibchen. Die zwei positiven Dopingproben während des Wettkampfs konnten die Stimmung kaum trüben. Sie betrafen nur einen marokkanischen Hindernisläufer und eine nigerianische Hürdenspezialistin.
Dass die Realität anders ausgesehen hat, wurde während des großen Aufräumens beim IAAF im letzten Jahr deutlich. Eine Liste von Dopingtests der IAAF über den Zeitraum von 2001 bis 2012 gab auch darüber Auskunft, wie dick das Blut der WM-Teilnehmer war. Von 510 Blutproben, die während der WM 2009 genommen wurden, wiesen allein 20 einen Hämatokritwert über 50 Prozent auf. Das führte nicht einmal zu einem Startverbot!
Die 19 Sportler, die für diese 20 Tests verantwortlich waren – der russische Geherweltmeister Waleri Bortschin war gleich zweimal dabei – konnten ihre Wettkämpfe fortsetzen. Sieben russische Sportlerinnen und Sportler waren darunter, zwei Griechinnen, zwei Marokkaner, zwei Sportler aus Saudi-Arabien, ein Franzose, ein Algerier, ein Kasache, ein Chinese und ein Brasilianer. Von ihnen fiel der Marokkaner Jamal Chatbi noch während der Weltmeisterschaft mit Clenbuterol auf und wurde gesperrt. Vier weitere wurden Jahre später erwischt.
Geher-Weltmeister Bortschin wurde im Januar 2015 nach Auswertung des Blutpasses der Berliner Titel aberkannt. 10.000-Meter-Finalistin Maria Konowalova wurde 2015 gesperrt, als der Druck auf Russland zunahm. Datum des Verstoßes ist allerdings der August 2009, also die Berliner WM. Die anderen 14 kamen ungeschoren davon. Es ist unwahrscheinlich, dass sich daran viel ändert.
Nicht zuständig
Das Interesse im Gastgeberland der WM 2009 ist gering. „Das ist Sache der IAAF, die Nada ist nicht zuständig“, wehrte Andrea Gotzmann von der deutschen Antidopingagentur eine Nachfrage der taz ab. Beim Bundesinnenministerium, bei der WM mit 1,2 Millionen Euro als Sponsor dabei, sieht man sich nach Auskunft der Sprecherin Pamela Müller-Niese ebenfalls nicht zuständig.
Dass so gar kein Erkenntnisinteresse daran besteht, wie die Leistungen bei dem schönen Berliner Sportfest zustande kamen, verblüfft aber. Außerdem drängt die Zeit. Zwar ist das Zeitfenster für Nachtests von der Wada mittlerweile von acht auf zehn Jahre erweitert worden. Das gilt aber erst ab 2015. Für Wettkämpfe unter dem alten Wada-Code gilt die alte Frist. Zeit also, die Maschine für die Nachtests von 2009 anzuwerfen.
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