Dominc Johnson über Schottlands angestrebtes Referendum: Schottische Farce
Nicola Sturgeon ist keine Anfängerin. Die schottische Premierministerin weiß natürlich ganz genau, dass es Unsinn ist, ein Referendum über den Austritt Schottlands aus Großbritannien mitten in die laufenden Austrittsverhandlungen Großbritanniens aus der EU zu platzieren. Das schottische Wahlvolk müsste seine Entscheidung völlig blind treffen – ohne zu wissen, wie der Brexit aussieht, von dem man sich mittels Abspaltung abwenden möchte.
Es wäre für Sturgeon nicht möglich, unter diesen Umständen überzeugende Aussagen über die Beziehungen eines unabhängigen Schottlands zur EU oder zu Rest-Großbritannien zu treffen. Und ohne überzeugende Aussagen ist nicht ersichtlich, wie sie die 55:45-Mehrheit gegen die Unabhängigkeit aus dem letzten Referendum 2014 drehen will. Wenn aber das zweite Referendum das erste bestätigt, ist der schottische Nationalismus tot – siehe das Vorbild Québec in Kanada.
Die einzige Erklärung, die Sinn macht, ist die, dass es zu diesem Referendum nicht kommen wird. Schottlands Premierministerin plant die Volksabstimmung bewusst für einen unmöglichen Termin, damit das britische Parlament – das laut geltendem Recht als einziges befugt ist, über einen Antrag des schottischen Parlaments auf Abhaltung eines Unabhängigkeitsreferendums zu befinden – es ablehnt, sie überhaupt anzusetzen. Dann kann Sturgeon den Schotten sagen: Die böse Theresa May blockiert unsere Selbstbestimmung. Eine verlorene Kraftprobe über die Frage eines neuen Referendums hält den schottischen Nationalismus am Leben – ein verlorenes zweites Referendum versetzt ihm den Todesstoß.
Das ist ein legitimes, aber auch zynisches politisches Spiel. Es setzt genau jenes Ergebnis der Brexit-Verhandlungen voraus, gegen das Sturgeon sich angeblich wendet. Schottland setzt von vornherein darauf, von London missachtet zu werden, um sich dann hinterher über Missachtung beschweren zu können.
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