Dominanz von Bayern München: Kaum zu glauben
Die Bayern können nicht fassen, wie gut sie sind – und trotzdem nur 1:1 in Leverkusen spielen. Im Fernduell mit Dortmund sehen sie sich im Vorteil.
LEVERKUSEN taz | Offensichtlich enthält das Produkt Weltklassefußball mittlerweile derart viele inszenatorische Elemente, dass sogar die Protagonisten anfangen, am Wahrheitsgehalt ihrer Darbietungen zu zweifeln. „So was gibt’s scheinbar“, sagte Thomas Müller nach dem 1:1 des FC Bayern in Leverkusen mit zweifelnder Stimme. Vollständig überzeugt, dass die große Münchner Fußballshow tatsächlich frei von fiktionalen Elementen war, wirkte der Stürmer nicht.
Die Art, wie diese Münchner an guten Tagen spielen, erinnert mehr und mehr an die inszenierten Auftritte der Entertainment-Basketballer Harlem Globetrotters. Die Bayern sind immer einen Gedanken weiter, haben immer neue Lösungen parat, und manchmal lassen sie ihre Gegner wie ahnungslose Lehrlinge erscheinen.
Der Grund für Müllers Zweifel an der Echtheit dieses Fußballspiels lag aber weniger in der absurden Dominanz seines Teams, der Stürmer konnte einfach nicht glauben, dass mit dieser Darbietung nur ein einziges Tor produziert worden war. Selbst Pep Guardiola zog sich etwas ratlos auf die für solche Fälle passende Phrase zurück, als er dem Mangel an Effizienz gefragt wurde. „Das ist Fußball“, erklärte der Trainer.
Was soll man auch sagen, wenn eine Mannschaft ihren Gegner auf allen Ebenen beherrscht und doch nicht gewinnt? Mit ihrer Kombinationslust und ihrer individuellen Kunststücke veranlassten sie sogar das gegnerische Publikum zu staunenden „Ahs“ und „Ohs“, doch aus fünf, sechs wunderbaren Torchancen entstand nur der eine Treffer von Toni Kroos in der 29. Minute. „Es fühlt sich schon eher wie eine Niederlage an“, meinte Müller, der größte Torchancenverschwender.
Defensivprobleme im Griff
Mit dieser Ansicht stand Müller allerdings allein da. Mehrheitlich hatten die Münchner sich von ihrem ultradominanten Guardiola-Fußball begeistern lassen. „Spielerisch Weltklasse“ habe das Team agiert, schwärmte der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge, und Philipp Lahm meinte, in dieser Woche mit den Auswärtsspielen in Manchester und in Leverkusen habe sein Team „wieder einen Riesenschritt vorwärts gemacht“.
Die zu Beginn der Saison konteranfälligen Bayern waren ja durchaus besorgt vor diesem Spiel gegen einen Gegner, dessen größte Stärke überfallartige Gegenangriffe sind. Der Verlauf des Abends darf nun als Indiz dafür gelten, dass sie ihre Probleme im Umschalten auf Defensive in den Griff bekommen haben. „So stellen wir uns das alle vor, so dominant wollen wir sein, so wollen wir agieren“ sagte Lahm, „dass das bei einer Topmannschaft wie Leverkusen so funktioniert, hätten wir auch nicht gedacht.“
Und nach der Niederlage der Dortmunder haben sie ja sogar erstmals unter ihrem neuen Trainer die Tabellenspitze erklommen, was Rummenigge vor allem vor dem Hintergrund der mehr oder weniger spielerisch geführten Psychogefechte, die während der kommenden Tagen bei der Nationalmannschaft ausgetragen werden, für wichtig hält. „Es ist immer besser, wenn man bei der Nationalmannschaft Erster ist“, sagte er. Dass die Dortmunder aus einem ganz ähnlich verlaufenen Spiel gar keine Punkte mitbringen, kann als Bayern-Erfolg im Fernduell betrachtet werden.
Nur Manuel Neuer wird nicht mitspötteln, denn ihm unterlief vor Sidney Sams 1:1 (31.) der entscheidende Fehler des Abends, derweil sein Kollege Bernd Leno zum großen Helden dieser Partie geworden war. „Klar, dass man gegen die Bayern einen Supertorhüter braucht, und den haben wir“, sagte Simon Rolfes, der Leno unter der Woche als Kandidat für die Nationalmannschaft ins Spiel gebracht hatte.
Der schwäbische Torwart war die beherrschende Instanz im Leverkusener Strafraum, hatte 56 Ballkontakte, mehr als jeder seiner Mitspieler, und nicht nur Rolfes wundert sich, dass sein Kollege im fröhlichen Ratespielchen vor den Nationalmannschaftsnominierungen stets ungenannt bleibt.
„Es wird allgemein wenig über Bayer Leverkusen berichtet“, sagte Leno, und nach einer kleinen Pause ergänzte er: „Aber eigentlich ist es mir auch egal, ob meine Leistungen gepusht werden.“ Das klang, als würde er sich schon eine größere überregionale Anerkennung wünschen. An diesem Abend immerhin hatte er dem großen Münchner Kollegen die Show gestohlen.
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