Domestizierung von Pferden: Die Innovation aus der Steppe
Pferde wurden erst vor rund 4.000 Jahren im Süden des heutigen Russlands domestiziert. Das wurde durch eine neue Genomstudie herausgefunden.
Ein gutes Pferd hat keine Farbe? Vor rund 4.000 Jahren galt diese Weisheit heutiger Reiter:innen höchstwahrscheinlich nicht. Denn die neuartigen, domestizierten Pferde, die damals die Steppen eroberten, waren nicht mehr beige oder mausgrau – also falbfarben – wie ihre wilden Ahnen.
Sie waren braun, fuchsfarben oder schwarz und waren als sensationelle Innovation gleich zu erkennen. Darauf deutet eine internationale Forschungsarbeit zum Ursprung des Hauspferdes hin, die kürzlich in der Zeitschrift Nature veröffentlicht wurde.
Unter der Federführung der Universität Toulouse beteiligten sich zahlreiche Forschungseinrichtungen weltweit daran, das Geheimnis aufzuklären, wo und wann der Mensch das Pferd domestizierte, als letztes der noch heute gehaltenen Nutztiere.
Arne Ludwig, Professor für Tiergenetik am Berliner Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung, war an der Analyse der Fellfarben beteiligt. „Unsere heutigen Pferde wurden später domestiziert als gedacht“, sagt Ludwig, „vor circa 4.000 Jahren in der unteren Wolga-Don-Region, die heute im Süden Russlands liegt.“
Für ihre Genomanalyse erhielten die Forscher:innen von Archäologen und Museen weltweit Knochenproben von 273 Pferden; sie analysierten ihr Erbgut und verglichen es mit dem Genom heutiger Hauspferde. Dabei war die älteste Probe rund 50.000 Jahre, die jüngste rund 2.200 Jahre alt.
Das „TURG-Pferd“
Je älter die untersuchten Knochen waren, desto deutlicher unterschieden sich ihre Genome voneinander und vom heutigen Pferd. Nur von einem Wildpferdtyp ließ sich eine direkte genetische Linie zum modernen Pferd ziehen: dem „TURG-Pferd“ getauften Tier aus der Wolga-Don-Region.
Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie
„Diese Pferde waren offenbar allen anderen überlegen“, sagt Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, das Knochenproben beigesteuert hat. Innerhalb weniger Hundert Jahre haben die TURG-Pferde alle anderen Typen verdrängt und sich „explosionsartig vermehrt“, so Krause.
„Diese Pferde verbreiteten sich schneller als die Menschen, die sie züchteten“, schlussfolgert der Archäogenetiker aus der Analyse der Pferdegenome sowie aus archäologischen Funden. Das heißt, mit den Pferden wurde Handel getrieben. „Sie stellten eine neue Technologie dar“, sagt Krause, „die die Mobilität und Kriegsführung revolutionierte.“
Zwar hielten auch ältere Kulturen Pferde – etwa die berühmte Botai-Kultur, in deren etwa 6.000 Jahre alten Siedlungen Archäologen Berge von Pferdeknochen ausgruben. Aber sie nutzten die Tiere lediglich als Fleischlieferanten. Erst die TURG-Pferde ließen sich reiten, denn ihre Erbanlagen verhalfen ihnen offenbar zu einem stärkeren Rücken und einem friedfertigeren Charakter.
Zu dieser Schlussfolgerung kamen die Wissenschaftler, indem sie einzelne Gene moderner Pferde mit denen etwa von Menschen oder Mäusen verglichen. Bestimmte Gene des Menschen können chronische Rückenschmerzen auslösen.
„An derselben Stelle des Pferdegenoms finden sich veränderte Gene“, sagt Krause. Sie bemerkten auch Übereinstimmungen mit Genen von Mäusen, die sich besonders zahm verhielten. „Die Genome der Säugetiere haben sich evolutionär betrachtet erst vor Kurzem auseinanderentwickelt, die von Pferden und Menschen etwa vor 150 Millionen Jahren.“ Die könne man noch ganz gut miteinander vergleichen.
„Die bronzezeitlichen Pferdezüchter nahmen sich die Pferde mit den besonderen Fellfarben aus den Herden“, vermutet Arne Ludwig, „und züchteten mit ihnen weiter, denn nur sie ließen sich so hervorragend als Reit- und Zugtier nutzen.“ Ein gutes Pferd, das war damals ein Rappe, ein Brauner oder ein Fuchs.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin