■ Dokumentation: „Kontraproduktiv und unethisch“
Sehr geehrter Außenminister Fischer,
Ihr Vorschlag, die Nato solle ihre Nukleardoktrin revidieren, kommt sehr gelegen. Da Sie diese Angelegenheit mit Ihren Kollegen diskutieren, könnten meine eigene Erfahrung und Überlegungen in dieser Frage als Direktor für Strategische Planung und Politik der US-Streitkräfte während des Golfkrieges hilfreich sein. Außerdem war ich während meiner Amtszeit als Oberkommandierender der Strategischen Streitkräfte der USA von 1991 bis 1994 betraut mit der Frage einer möglichen nuklearen Antwort auf einen Angriff mit Massenvernichtungswaffen.
Wie Sie sehr wohl wissen, hat uns der Golfkrieg vor die sehr reale Möglichkeit gestellt, mit einem solchen Angriff durch die irakischen Streitkräfte konfrontiert zu werden. (...) Meine persönliche Schlußfolgerung war, daß eine atomare Antwort der USA und ihrer Verbündeten auf jedwedes mögliche Angriffsszenario schlicht nicht in Frage kam.(...)
Kurz gesagt, wir hätten mit einem einzigen Akt unseren Hauptfeind zum Märtyrer gemacht, unsere Freunde befremdet, die Koalition zerstört, die wir so mühselig aufgebaut hatten, die inoffiziellen Atomstaaten beruhigt und Staaten, die versuchen, sich heimlich solche Waffen zu beschaffen, bestärkt. (...)
Als ich meinen Posten beim Vereinigten Kommando der US-Streitkäfte in Washington aufgab und dieses Thema als Oberkommandierender der Strategischen Streitkräfte aufnahm, stellte ich fest, daß all die früheren Warnungen für ein breites Spektrum möglicher Ziele in zahlreichen sogenannten Schurkenstaaten relevant waren. Letzendlich zog ich die Konsequenz, daß die Politik des Ersteinsatzes (von Atomwaffen, d.Red.) völlig unangemessen für die neue globale Sicherheitslage ist, was auch immer ihr Nutzen während des Kalten Krieges war; schlimmer noch, sie ist kontraproduktiv für das Ziel der (atomaren) Nichtweiterverbreitung und unethisch für die Werte einer demokratischen Gesellschaft.(...)
Mit freundlichen Grüßen,
Lee Butler
General, USAF (i.R.)
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