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Dokumentarfilmer zur Wahl in Bulgarien„Wir sind doch nicht im Krieg“

Christo Bakalski beklagt die Hasssprache im Wahlkampf. Dass wieder keine Regierung zustande kommt und dann weiter gewählt wird, hält er für möglich.

Immer noch An­hän­ge­r*in von Bojko Borissow: Eine Wahlhelferin in Sofia bei der Arbeit Foto: Valentina Petrova/ap
Interview von Barbara Oertel

taz: Herr Bakalski, Stellen Sie sich vor, Sie würden jetzt einen Dokumentarfilm über die aktuelle Situation in Bulgarien machen. Welches wäre der Plot?

Christo Bakalski: Ich würde versuchen, einen interessanten Polit-Thriller zu machen. Der Titel: Die Eier legende Wollmilchsau. Damit ist die nächste Regierung gemeint. Frei nach dem Motto: Von allem ein bisschen. Aber es muss ja auch ein wenig lustig sein.

Könnten Sie die Eier legende Wollmilchsau etwas genauer erklären?

Sollten „Demokratisches Bulgarien“, „So ein Volk gibt es“ und „Mafia raus!“, also die drei Protestparteien, diesmal die Wahlen gewinnen und mehr als 121 Mandate im Parlament bekommen, dann müssen sie regieren. Klappt das nicht, wird es noch interessanter. Dann müssten die drei auf die Unterstützung der alten Parteien zurückgreifen. Doch sie wollen weder die Unterstützung der langjährigen Regierungspartei GERB noch die der Sozialisten. Wie das wohl funktionieren könnte, wenn diese drei Parteien trotzdem versuchen würden, das Land vorwärts zu bringen, das würde ich mir für meinen Dokumentarfilm anschauen.

Bild: privat
Im Interview: Christo Bakalski

ist 66 Jahre alt und Filmemacher. Er lebt und arbeitet in Sofia. Von 1998 bis 2002 war er Leiter des Bulgarischen Kulturinstituts in Berlin

Die drei Protestparteien repräsentieren ja ein breites politisches Spektrum, sie sind total unterschiedlich. Wie sollen sie überhaupt miteinander klar kommen?

In Deutschland wäre so eine Konstellation nicht möglich, aber in Bulgarien sind die Politiker vielleicht zu größeren Kompromissen bereit. Im besten Fall würde das bedeuten, dass es ein paar sehr kompetente Minister von Demokratisches Bulgarien geben könnte. Zum Beispiel für Wirtschaft, Finanzen und Kultur. Denn die haben gute Leute. Bei der populistischen Partei „So ein Volk gibt es“ des Showmasters Slawi Trifonow ist das eher unklar. Da weiß niemand, was kommen könnte. Das gilt auch für die Partei „Gangster raus“. Die Leute sagen im Spaß, deren Politik sei: Eure Gangster raus, unsere Gangster rein! Deshalb bleibt vor allem die Frage, wie Demokratisches Bulgarien in so einer Koalition erfolgreich regieren könnte. Sollte es diese Regierung dennoch geben, wird sie sehr wackelig sein. Soviel ist sicher.

Und dann?

Gibt es wieder Neuwahlen. Vor allem die Vertreter von Demokratisches Bulgarien kalkulieren das ein. Sie hoffen, dass sie von Wahl zu Wahl stärker werden und dann eine gewisse Stabilität im Land einkehrt. Aber ehrlich gesagt: Für Demokratisches Bulgarien würde ich mir wünschen, dass die Partei, wie seinerzeit die Grünen in Deutschland, den Weg durch die Institutionen geht. Das heißt, dass sie nachhaltig arbeitet und nicht unbedingt mit jedem sofort eine Regierung bilden will.

Kommen wir noch einmal zur Partei „So ein Volk gibt es“ von Slawi Trifonow zurück, die im April zweitstärkste Kraft wurde. Er selbst scheint keine politische Verantwortung übernehmen zu wollen, auch die politischen Vorstellungen bleiben nebulös ….

Genau das ist das Problem. Die Partei äußert sich nicht, sie gibt wenig Interviews und hat kein richtiges Programm. Trifonow selbst ist ziemlich autoritär. Außerdem scheint er gesundheitliche Probleme zu haben. Er hält sich im Hintergrund und versucht, andere Leute für sich arbeiten zu lassen. Ich verspreche mir nicht viel von ihm. Aber einflussreiche bulgarische Geschäftsleute, die schon.

Laut Prognosen könnte er bei der Wahl am Sonntag noch zulegen. Wie erklären Sie das?

Das ist hundertprozentiger Populismus und der kommt an. Trifonow holt seine Stimmen in den Plattenbauten an der Peripherie der Städte. Angesprochen fühlen sich vor allem auch junge Leute, die für ihr Leben überhaupt keine Perspektive sehen. Das ist Trifonows Wählerschaft. Gleichzeitig zieht er auch den Sozialisten viele Stimmen ab.

Könnten Sie diesen Aspekt etwas genauer erläutern?

Einflussreiche Teile der bulgarischen Sozialistischen Partei haben mit dem Gedanken gespielt, mit GERB eine Koalition einzugehen, nach deutschem Vorbild. Aber die Parteichefin lehnt das strikt ab. Sie hat einige Mitglieder hinausgeworfen und dadurch die Partei gespalten. Das sind genau die Leute, die sich jetzt Trifonow zuwenden.

Die Rechtsextremen, die bei der letzten Wahlen im April an der Vierprozenthürde gescheitert sind, haben sich jetzt zusammengeschlossen. Wie beurteilen Sie deren Chancen?

Nicht gut. Die Menschen haben von den Rechten die Schnauze voll, weil sie bis April mit an der Regierung waren und sich bereichert haben.

Im Wahlkampf wird ja rhetorisch mit harten Bandagen gekämpft. Als sich Borissow mit Trifonow einer öffentlichen Debatte stellen wollte, sagte der, er rede nicht mit Terroristen ….

Wir stoßen in diesen Tagen sehr häufig auf Hasssprache, sowohl in den Medien als auch auch bei einigen Politikern. Meist sind diese Angriffe gegen die GERB gerichtet. Beamte, die die GERB eingesetzt hatte, wurden Maikäfer genannt. Jetzt hat jemand gefordert, man müsse sie als Kakerlaken bezeichnen. Und Kakerlaken kann man bekanntermaßen zertreten. Das alles ist nicht gut für die politische Kultur. Wir sind doch nicht im Krieg.

Apropos: Schnauze voll, eine schamlose Bereicherung der Mächtigen, die weiter geht. Wie ist denn jetzt generell die Stimmung im Land?

Die Menschen sind müde, weil die GERB-Regierung so lange an der Macht war. Die Nation ist in ihrem Denken und Handeln sehr gespalten. Aber es entsteht etwas Neues, aber was genau das ist, ist schwer zu beschreiben. Eins jedoch ist deutlich zu spüren: Die Menschen haben wirklich den Wunsch, sich zum Besseren zu wandeln und nach festen Regeln in einem normalen Land zu leben. Die Bulgaren denken immer, nur bei ihnen sei alles schlecht, in anderen Ländern jedoch alles besser. Sie sehen sich selbst zu kritisch.

Obwohl derzeit immer mehr Korruptionsfälle und andere Skandale der GERB-Regierung unter Borissow bekannt werden, hält die Europäische Volkspartei in Brüssel dem Ex-Regierungschef immer noch die Stange. Unlängst hat EVP-Chef Manfred Weber Borissow noch einmal der Unterstützung der Partei versichert. Was denken Sie darüber?

Borissow ist mit der Zeit ein sehr guter Außenpolitiker, ein gewiefter Taktiker geworden. Er schafft es, die unterschiedlichen Interessen der EU, der USA, Russlands und der Türkei auf dem Balkan auszubalancieren. Er ist noch nicht wegzudenken, seine Partei ist immer noch die stärkste. Und die GERB ist pro-europäisch. Wir müssen den Außenpolitiker Bojko vom Innenpolitiker Bojko trennen. Was die Bulgaren ärgert, ist vor allem die Vetternwirtschaft, die zu den letztjährigen Protesten und auch dem Wahlergebnis vom April geführt hat.

Aber diskreditiert die Unterstützung für Borissow aus Brüssel nicht die EU?

Natürlich ist ein großer Teil der Bulgaren von der EU enttäuscht. Die Ankündigung, im Herbst eine EU-Abordnung zu einer Überprüfung nach Bulgarien zu schicken, sehen viele hier aber sehr positiv. Die Bulgaren trauen der EU immer noch mehr zu als sich selbst.

Gehen Sie am kommenden Sonntag wählen?

Auf jeden Fall. Ich habe bisher keine einzige Wahl verpasst.

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