Dokumentarfilm über Pariser Oper: Sich für wenige Minuten aufopfern

Streik wegen der Bühnenordnung: Jean-Stéphane Bron zeigt in seinem Dokumentarfilm „Oper – L’opéra de Paris“ die Institution als sozialen Apparat.

Eine Tänzerin und ein Tänzer umarmt bei der Ballettprobe

Schweißtreibende Probe im Kraftwerk der Gefühle: Das Ballett der Pariser Oper Foto: Kool

Ausgerechnet die Oper als Symbol für den kulturellen Schmelztiegel Frankreichs? Eine elitäre Institution, die nur dank Subventionen in Millionenhöhe bestehen kann? Gewagt mutet der Ansatz von Jean-Stéphane Brons „Oper – L’opéra de Paris“ an, ein Blick hinter die Kulissen der Pariser Oper – aber er funktioniert, und das in vielfältiger Hinsicht.

Unverkennbar im Herzen Frankreichs findet man sich vom ersten Moment an wieder, wenn auf dem Dach der Oper die französische Fahne gehisst wird, im Hintergrund der Eiffelturm, dazu pompöse Fanfarentöne. Unterschwellig ironisch mutet diese Szene an, ein wenig absurd und gestelzt, eine Blickweise, die Bron auch im Folgenden aufrechterhält.

Anderthalb Jahre lang hatte der Regisseur praktisch unbegrenzten Zugang zur Oper, konnte ebenso im Büro des Direktors wie in den Werkstätten und Proberäumen filmen, bei mondänen Premieren, Vertragsgesprächen oder schweißtreibenden Proben.

Von Januar 2015 bis Juli 2016 liefen die Dreharbeiten, eine Phase des Umbruchs für die Pariser Oper. Mit Stéphane Lissner übernahm ein neuer Mann den Direktionsposten, mit Benjamin Millepied ein berühmter Tänzer und Choreograf das Ballett.

Um die Neuausrichtung des Hauses geht es dementsprechend oft, um einen neuen Anfang, der zumindest für Millepied bald zu Ende war: Der Mann des Hollywoodstars Natalie Portman – die zwar nie zu sehen ist, über deren mögliche Besuche bei Premieren und Empfängen jedoch immer wieder spekuliert wird – scheiterte in kürzester Zeit und wurde entlassen.

Eine gewisse Missbilligung

Eine andere Figur, der man immer wieder begegnet, ist der junge russische Sänger Mischa Timoshenko, der im Laufe eines Jahres viel lernt, nicht zuletzt die französische Sprache. Als er zu Beginn an der Oper engagiert wird, kommuniziert er noch auf Englisch oder Deutsch, nicht unbedingt zum offensichtlichen Naserümpfen der Franzosen, aber man spürt eine gewisse Missbilligung.

Die später von Freude über das immer besser werdende Französisch des Russen abgelöst wird. Auch dies ein kleines Zeichen für das Selbstverständnis einer Institution, die sich als Symbol der Nation versteht, auch wenn sie diese nicht im Entferntesten widerspiegelt.

Praktisch nur hellhäutige Menschen arbeiten hier, die ethnische Vielfalt Frankreichs zeigt sich weder in der Verwaltung noch in den Werkstätten und schon gar nicht auf der Bühne, was gewiss vielfältige Ursachen hat, aber doch auch bezeichnend ist.

Fremdkörper in einer hermetischen Institution

Kinder französischer Einwanderer aus West- oder Nordafrika, die in einem wöchentlichen Kurs an klassischen Instrumenten unterrichtet werden, wirken da umso mehr wie Fremdkörper in einer hermetischen Institution, die sich dennoch als egalitär versteht. Was hier allerdings nur bedeutet, dass sich der Direktor dafür einsetzt, dass die teuersten Karten 150 und nicht 200 Euro kosten.

Diese sozialen Strukturen deutet Bron lediglich an, ohne sie übermäßig zu betonen. Dafür zeigt er in einer der komischsten, aber auch bizarrsten Szenen des Films, wie der Chor der Oper mit einem Streik droht. Warum? Nun, es gibt Streit darüber, ob man im Quadrat oder in der Diagonalen auf der Bühne stehen soll. Auch über diese scheinbar banale Frage wird intensiv diskutiert, was man als Zeichen für die typisch französische Lust am Streik sehen mag oder für die Intensität der künstlerischen Arbeit.

„Oper. L’opéra de Paris“. Regie: Jean-Stéphane Bron. Frankreich/Schweiz 2017, 106 Min.

Denn das ist neben den sozialen Strukturen der zweite Strang, der sich durch Brons Film zieht: der Einsatz, die Aufopferung, mit der Schauspieler, Sänger und Tänzer agieren, um am Ende für wenige Minuten ein möglichst perfektes Ergebnis auf die Bühne zu bekommen. Immer wieder beobachtet Bron Momente unmittelbar vor oder nach dem Auftritt, die Spannung, bevor eine Primaballerina aus dem Off auf die Bühne tänzelt, dann das Danach, wenn dieselbe Tänzerin nach einem Solo mit augenscheinlichen Schmerzen hinter der Bühne in sich zusammensackt und nur langsam wieder zu Atem kommt.

Aus diesen zwei Polen bezieht der Film seine Spannung: Er zeigt am Beispiel der Pariser Oper eine atemberaubende, zugleich elitäre Kunstform, deren Schönheit und Eleganz fasziniert – die Vielfalt der französischen Nation bildet sie andererseits kaum ab. Auch wenn sie dies ihrem Selbstverständnis nach tut.

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