Doku über Radlegende Lance Armstrong: Unter Siegeszwang
In einer US-Doku versucht Filmemacherin Marina Zenovich dem Phänomen Armstrong auf die Spur zu kommen. Der gefallene Radsport-Held spielt sogar mit.
Gemessen an der Schlagzeilenträchtigkeit, das sei gleich gesagt, hat der Film nicht viel zu bieten. Die Enthüllungen lassen sich in ein paar Presseagentur-Meldungen zusammenfassen. Dass Lance Armstrong zugibt, mit 21 zum ersten Mal gedopt zu haben, ist kein echter Schocker und verändert die Bewertung seiner Person nicht grundlegend. Und dass er noch immer einen tiefen Groll gegen seinen einstigen Mannschaftskameraden Floyd Landis hegt, der ihn in ein langwieriges und kostspieliges Gerichtsverfahren verwickelt hat, haut einen auch nicht wirklich vom Hocker.
Dennoch sind die vier Stunden überaus kurzweilig. Es ist das erste Mal, dass man Armstrong, mit dem Abstand von nunmehr sieben Jahren seit seiner öffentlichen Ächtung in den USA, dabei zuhören und zusehen kann, wie er seine bewegte und in vielerlei Hinsicht extreme Biografie bewertet und reflektiert.
Dabei bekommt man nie das Gefühl, dass die Filmemacherin Marina Zenovich dem Ex-Radler auf den Leim geht. Entgegen der Befürchtung von Armstrong-Skeptikern ist der Film kein PR-Stück, kein Versuch des gefallenen Stars, sein Image und seine Marke unter Kontrolle zu bekommen.
Trügerisches Charisma
Sicher, Armstrong bekommt viel Raum. Zenovich hat sich über zwei Jahre acht Mal zu mehrstündigen Interviews mit ihm getroffen und bekam Zugang zu seiner Privatsphäre. Man sieht Armstrong im Motorboot mit seiner Tochter Grace, seine Mutter und seine Ex-Frau treten ebenso auf wie sein erster Schwimmtrainer und sein Jugendfreund John Corioth.
Doch Zenovich, die mit einer Dokumentation über Roman Polanski Preise gewonnen hat, bewahrt Distanz. Sie lässt Kritiker und Feinde zu Wort kommen wie Tyler Hamilton, der gegen Lance aussagte, den britischen Journalisten David Walsh, der als Erster Armstrongs Doping-Machenschaften aufdeckte, und weitere kritische Reporter wie Bonnie Ford und Charles Pelkey.
Die beiden Letzteren geben gleich zu Beginn dem Zuschauer mit, dass man Armstrong unter keinen Umständen über den Weg trauen darf. Ford fügt noch an, dass Armstrong niemanden kalt lasse, dass er die Menschen in seinen Bann schlage, auf die eine oder andere Art; und dass er sich dieser Fähigkeit, die man gemeinhin Charisma nennt, zutiefst bewusst sei.
So machen wir uns mit Armstrong auf die Reise durch seine Biografie, deren Eckdaten zwar hinreichend bekannt sind, die aber in Bildern und Details noch nie so greifbar waren. Wir erleben, wie er und seine Mutter, die erst 17 war, als er geboren wurde, ein unzertrennbares Team waren, gleich welche Männer in ihr Leben hinein- und hinausdrifteten. Und wir erleben, wie Armstrong jene tief sitzende Aggression entwickelte, die er in einen unbedingten Siegeswillen, ja man muss sagen, Siegeszwang umgewandelt hat.
Weder Held noch Bösewicht
Bei all dem versucht Zenovich, wie auch schon ihr vorhergehendes Subjekt Polanski, zu verstehen – und nicht zu urteilen. Armstrong wird hier weder zum Helden noch zum Bösewicht gemacht, er bleibt eine komplizierte und spannungsreiche Figur.
Die spannendste Frage ist freilich, wie er selbst mit seiner Geschichte heute umgeht, was für ein Verhältnis er nach seinem Sturz, seiner Ächtung und der Depression, in die ihn dieser Prozess gestürzt hat, zu sich selbst steht. Eine Frage, die nicht zuletzt deshalb spannend ist, weil Kollegen in derselben Lage daran zerbrochen sind – angefangen bei Jan Ullrich, mit dem ihn, so Armstrong, eine tiefe Sympathie verbindet. Sogar das Wort Liebe verwendet Armstrong für das Verhältnis zu seinem einstigen Rivalen.
Die Version, die wir zu sehen bekommen, ist die, dass Armstrong ein überaus differenziertes Bild von den Umständen und Mechanismen hat, die seine Laufbahn und seine Entscheidungen bestimmt haben. Er übernimmt für jede dieser Entscheidungen Verantwortung und betont stolz, dass er immer alles bewusst und selbstbestimmt entschieden hat.
Was seinen Kritikern wieder aufstößt, ist, dass er dabei noch immer keine echte Zerknirschung zeigt. Zum wiederholten Mal sagt er, dass er alles wieder genauso machen würde, wie er es getan hat, wenn die Umstände dieselben wären. Doch die Haltung wirkt nicht wie Trotz. Armstrong weigert sich lediglich, sich einer simplifizierenden Moral zu beugen.
Das wirkt zwar nicht immer sympathisch, aber ist durchaus nachvollziehbar. Dennoch bleibt am Ende ebenjenes Misstrauen, das die Journalisten Pelkey und Ford formulieren. Armstrong wirkt offen und direkt. Und dennoch hat man den Eindruck, dass seine inneren Konflikte trotz Jahren der Therapie, über die er ebenfalls freimütig spricht, letztlich im Verborgenen bleiben. Vielleicht auch vor ihm selbst.
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