Doku über Neonazi-Terror im SWR: Beklemmende Bilanz
Das Wort „Terror“ wurde für rechte Gewalt lange vermieden – bis der NSU aufflog. Der SWR beleuchtet, was Behörden daraus gelernt haben.
„Knapp die Hälfte der Deutschen hat Angst vor Flüchtlingen. Wie viele Flüchtlinge Angst vor Deutschen haben, hat bisher niemand gefragt“ – so lautet eine prägnante Passage der vom SWR produzierten Webdoku „Terror von rechts“. Das Online-Angebot dient als Ergänzung zu Thomas Reutters gleichnamiger TV-Dokumentation.
Auch Flüchtlinge, die bisher keine Angst hatten, werden wohl welche bekommen, wenn sie den Film gesehen haben, der am Montagabend in einer 45-minütigen Fassung im Ersten Programm der ARD lief und den das SWR Fernsehen heute in einer einstündigen XL-Version zeigt.
Autor Reutter geht in seinem Film (Untertitel: „Die neue Bedrohung“) der Frage nach, was die Strafverfolgungsbehörden und Gerichte aus der Aufdeckung der Mordtaten des NSU gelernt haben. Die beklemmende Bilanz lautet: Sie haben zumindest nicht genug gelernt. Oder nicht lernen wollen.
Reutter greift verschiedene Gerichtsverfahren auf, die illustrieren, dass der Rechtsextremismus immer noch verharmlost wird. Die Nachsicht, die Gerichte bei vermeintlichen „Waffennarren“ und „Suffköppen“ aus dem Neonazi-Milieu walten lassen, ist jedenfalls nicht gering. Eines der eindrücklichsten Beispiele, die Reutter liefert, ist der Fall des Rechtsextremisten Silvio W., verhandelt 2013 vor dem Amtsgericht Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) – kurz nachdem er im Verfassungsschutzbericht 2012 als „bekannter Rechtsextremist“ bezeichnet worden war.
1,5 Kilogramm TNT
In dem Verfahren geht es um Bombenmaterial, das man bei W. gefunden hatte: jeweils 1,5 Kilogramm TNT und Schwarzpulver, außerdem Sprengkapseln. Das Horten der Bombenbestandteile brachte ihm eine Strafe von gerade mal 1.500 Euro ein. Auch Emily Haber, eine von Reutter interviewte Staatssekretärin aus dem Innenministerium, kann das nicht verstehen.
Wie leicht es ist, Sprengstoff zu bekommen, zeigt der Film anhand von verdeckten Recherchen in Polen. Ein SWR-Informant wird dort bei einem Gardinenhändler fündig. Gefahr für die öffentliche Sicherheit geht aber nicht nur von Rechtsextremisten aus, die Sprengstoff gehortet haben. Schließlich sind 400 Rechtsextremisten hierzulande ganz legal im Besitz einer Waffe, wie Reutter weiß.
Der Autor war in den letzten Monaten zudem unterwegs, um aufzuzeigen, dass einige Rechtsterroristen nach der Entlassung aus der Haft mittlerweile bei Demonstrationen gegen Flüchtlinge mitmischen. „Mögen Sie wieder Terrorist werden?“, fragt Reutter den Neonazi Karl-Heinz Statzberger am Rande einer Demonstration in Wunsiedel.
Und von dessen Gesinnungsgenossen Tony Gentsch will Reutter wissen: „Herr Gentsch, wie viele Asylbewerberheime werden 2016 brennen?“ Die Befragten sagen darauf gar nichts, sie sparen sich sogar die üblichen Beschimpfungen gegen das öffentlich-rechtliche Fernsehen. Dass die Extremisten geantwortet hätten, wenn die Fragen ausgefeilter formuliert gewesen wären, kann man allerdings bezweifeln.
Trotz Reutters großer Rechercheleistung: Die filmische Umsetzung lässt teilweise zu wünschen übrig. In inszenierten Schwarz-Weiß-Sequenzen lässt der Autor Taten und Tatplanungen rekonstruieren. Der Anteil dieser Passagen ist zu hoch.
„Terror von rechts“, Mittwoch, 9. März 2016, 23.30 Uhr, SWR
Ob sich in der von Reutter kritisierten Rechtsprechung etwas tut, kann man in der kommenden Woche überprüfen. Für den 17. März ist das Urteil zu einem auch von Reutter aufgegriffenen Molotowcocktailanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft im niedersächsischen Salzhemmendorf angekündigt. Die Angeklagten haben zwar gestanden, aber ihre Argumentation klingt allzu vertraut: Sie hätten nicht aus Fremdenhass gehandelt. Der Grund für die Tat sei übermäßiger Alkoholkonsum gewesen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Selenskyj bringt Nato-Schutz für Teil der Ukraine ins Gespräch
FDP-Krise nach „Dday“-Papier
Ex-Justizminister Buschmann wird neuer FDP-Generalsekretär
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär