piwik no script img

Doku über Basketball-Star Michael JordanEin letztes Tänzchen

Die von Basketball-Fans heiß ersehnte ESPN-Doku über Michael Jordan läuft an – und zeigt einen Superstar, der auch fies sein konnte.

His Airness: Michael Jordan, hier eine Aufnahme von 1998 Foto: imago

„That was god disguised as Michael Jordan“, sagt Larry Bird und schüttelt ungläubig lächelnd den Kopf. Er erzählt von einem jungen Michael Jordan, der 1986 gegen seine Boston Celtics unglaubliche 63 Punkte erzielt hat – der Rekord für ein NBA-Playoffspiel. Dieser Satz, den Bird in der am Montag erstmals auf Netflix ausgestrahlten ESPN-Dokumentation „The Last Dance“ sagt, wirkt nicht anmaßend.

Der Gottvergleich muss für jeden Basketballfan folgerichtig klingen. Immerhin handelt es sich bei der Doku um die Neuerzählung einer allen Fans wohl bekannten Heldengeschichte. Die Chicago Bulls dominieren die amerikanische Profiliga in den 1990er Jahren und gewinnen sechs Titel in sieben Jahren. Angeführt werden sie von einem pathologisch erfolgssüchtigen Ausnahmetalent, das nicht verlieren kann. Michael Jordans individuelle Brillanz und sein unübertroffener Teamerfolg sind bis heute das Maß aller Dinge im amerikanischen Profisport.

Die 10-teilige Doku-Serie bietet einen Anlass, dem „Besten aller Zeiten“ wieder gebührend zu huldigen. Seit über einem Jahr wird die Vorfreude in den US-Medien geschürt. Von „nie zuvor Gesehenem“ und einem „ganz anderen Jordan“ ist da die Rede gewesen; die Doku verarbeitet 10.000 Stunden Videomaterial aus der Saison 1997/98, das bis dato unter Verschluss gehalten wurde. Die Aussicht auf intime Aufnahmen aus der Kabine und aus dem Training versetzt Basketball-Nerds weltweit in Aufregung.

Für genau diese Jünger von His Airness ist die Doku auch gemacht. Sie gleichen Fans von Fantasy-Trilogien, denen die Veröffentlichung von Bonusszenen einen Anlass gibt, ihren Lieblingsfilm zum hundertsten Mal anzuschauen. Denn die ersten beiden Folgen der Serie lassen vermuten, dass das neue Material keine andere Geschichte erzählen wird. Die Doku erneuert eine Legende und frischt den Mythos um Air Jordan im kollektiven Basketballgedächtnis auf. Die Anfangsszene der Doku ist bezeichnend: Vor dem ersten Heimspiel der so dramatischen letzten Saison spricht der Star der Chicago Bulls in der dritten Person zu seinen Fans. „Erinnert ihr euch, als sie 1984 Michael Jordan nach Chicago holten?“

Krampfiger Ehrgeiz

Oder könnten wir doch ein anderes Gesicht unseres Helden präsentiert bekommen? Nicht zuletzt war es Jordan selber, der das ominöse Videomaterial bis 2016 unter Verschluss hielt. Die Erzählung vom Superhelden Michael Jordan ist kompliziert, denn er war nie der gütige und bescheidene Star mit Vorbildfunktion. Zu seiner Erfolgsgeschichte gehörten genauso ein arroganter Individualismus, ein krampfhaft rücksichtsloser Ehrgeiz wie sein Killerinstinkt. Dieser „böse“ Mike kommt auch in „The Last Dance“ zum Vorschein.

Die Bulls verlieren: Jordan ist nicht ansprechbar und stiert manisch ins Nichts. Im Training: Jordan schreit zornig seine alternden Mitspieler an. Nach dem Spiel: Jordan zieht über die Figur des untersetzten und unbeliebten Managers der Chicago Bulls, Jerry Krause, her. Trotzdem vermitteln die ersten zwei Folgen der Dokumentation eher das Bild eines Michael Jordan, der, von fehlbaren Menschen umgeben, sich nicht zu schade ist, alles Nötige zu tun, um zu gewinnen. Immerhin ist die Ausgangssituation seiner letzten Saison in Chicago denkbar schlecht.

Seine Mitspieler sind mittlerweile nicht mehr wettbewerbsfähig, die Verantwortlichen der Bulls wollen das Team auflösen und lassen wegen privater Streitigkeiten jegliche Professionalität vermissen. Selbst Jordans Co-Star Scottie Pippen boykottiert das Team, denn er fühlt sich nicht ausreichend wertgeschätzt. Dass radikale Methoden nötig sind, um trotz der widrigen Umstände die gewohnte sportliche Dominanz zu zelebrieren, wird genauso klar wie der Fakt, dass nur Michael Jordan wissen kann, wie diese Methoden auszusehen haben. Jordan ist nicht nahbar, es ist auch die Unerreichbarkeit des getriebenen Ausnahmekönners, die ihn zu einer Legende macht.

Es bleibt abzuwarten, wie der Regisseur (Jason Hehir) die Ambivalenz dieser Heldengeschichte in den weiteren acht Episoden darstellen wird. Ist unser Gott ein Arschloch? Oder noch interessanter: Ist das überhaupt wichtig, wenn man sechs Titel gewinnt? Michael Jordan für seinen Teil prophezeit in einem Interview, nachdem er die Doku geschaut hat: „You’re gonna think I’m a horrible guy.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Hier muss gesagt werden, dass die Doku genau das erreicht hat, was sie erreichen sollte. Jordan ist wieder in aller Munde, seine Marke gewinnt wieder an Wert und all seine Anhänger sind begeistert.

    Das Marketingteam hinter Jordans Projekten weiß genau was es tut und hier wird ganz nach dem Motto, "Es gibt keine schlechte publicity" , vorgegangen. Egal in welchem Licht Jordan hier gezeigt wird, er wird gewaltige Summen verdienen und für alle Michael Jordan Produkte gewinnen mal wieder an Wert.

    Alles in allem einfach ein sehr schlauer und geschickter Schritt, den das Team Jordan hier gegangen ist.