Doku Umarows nordkaukasisches Emirat: Die virtuelle Existenz des Gottesstaats
Doku Umarow hat sich zum Anschlag von Moskau bekannt. Im Nordkaukasus hat er ein eigenes Emirat gegründet - samt Armee, Geheimdienst und viel Netzpropaganda.
MOSKAU taz | Das nordkaukasische Emirat hat sich als Brutstätte islamistischer Selbstmordattentäter einen furchterregenden Namen gemacht. 2007 rief Doku Umarow das Emirat aus und ernannte sich selbst zu dessen Führungsfigur. Über welches Gebiet der nordkaukasische Emir seither tatsächlich gebietet, ist bislang noch ein Geheimnis.
Eigentliche Wirkungsstätte des Emirats ist das Internet, wo die Ideologen des heiligen Krieges erfolgreich Propaganda betreiben. Der Rest der Welt erfährt von der virtuellen Existenz des kaukasischen Gottesstaates meist nur durch Nachrichten über Terroranschläge und Opfer in Russland. Der territoriale Anspruch des Emirats umfasst neben den nordkaukasischen Republiken zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer auch das im Norden angrenzende russische Gebiet Stawropol, Astrachan und Krasnodar.
2006 kündigte Umarow neben der Kaukasusfront auch die Gründung bewaffneter Einheiten im Ural und an der Wolga an, in Regionen mit muslimischer Bevölkerung. Bislang haben sich diese sogenannten Fronten aber nicht am Terrorkampf in Russland beteiligt. Die muslimische Bevölkerung dieser Regionen hält eher Distanz zu den radikalen Kräften im Nordkaukasus.
Unklar ist, über wie viele Untergrundkämpfer die Armee des Emirats verfügt. Die Angaben schwanken zwischen mehreren hundert und einigen tausend. Offiziell verfügt das Emirat über einen Militärrat, die Schura, dem Feldkommandeure und Vertraute Umarows angehören, und einen eigenen Geheimdienst. Die wichtigste Institution, über deren Wirken allerdings nichts bekannt ist, soll ein zentrales Scharia-Gericht sein.
Das islamische Recht gilt als Schlüssel und Grundlage des virtuellen Gottesstaates. Chefideologe des Emirats ist Mowladi Udugow, der schon während des ersten Tschetschenienkrieges den Unabhängigkeitskampf nach und nach mit islamistischen Forderungen unterfütterte. Mit der Ausrufung des Emirats 2007 wurde das Projekt eines unabhängigen Itschkeria (Tschetschenien) denn auch endgültig ad acta gelegt. Die Forderung nach der Scharia als Ordnungsprinzip ist unterdessen eine direkte Folge des gescheiterten Unabhängigkeitsexperiments in Itschkeria. Die Republik versank in Bandenkämpfen und Kriminalität. Die Einführung des Scharia-Rechts soll in Friedenszeiten den Rivalitäten unter den Mudschaheddin vorbauen.
In letzter Zeit verstärkt sich der Eindruck, dass die einzelnen islamischen Gemeinden in den Republiken sich nicht einem zentralen Oberbefehl unterstellen. Mit der Gründung des Emirats war der Versuch unternommen worden, unter dem Banner des Islam die ethnischen Zwistigkeiten in der Region zu überwinden. Bislang ist das jedoch nicht gelungen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland