Doku-Filmer Yoav Shamir über Antisemitismus: "Das Gefühl, beleidigt zu werden"

Der Dokumentarfilmer Yoav Shamir hat für seinen Film "Defamation" weltweit erkundet, wie Juden mit Antisemitismus umgehen. Seine Fragen erscheinen naiv, umso komplizierter sind die Antworten.

Der Dokumentarfilmer Yoav Shamir will keine vorgefertigten Antworten liefern. Bild: berlinale/marco van hal

taz: Herr Shamir, am Anfang Ihres Films stellen Sie die Frage nach der Aktualität des Antisemitismus. Die Beantwortung überlassen Sie aber anderen. Warum?

Yoav Shamir reiste für seinen Dokumentarfilm "Defamation" mit einer handlichen HD-Kamera um die Welt. Sein Film bringt intime Einblicke, wie Juden weltweit mit der Angst vor Antisemitismus umgehen. Anfangs erscheint "Defamation" naiv. Dass Shamir ein Fan von Michael Moores Stil der Gesprächsführung ist, heißt aber nicht, dass am Ende ein Propagandastreifen herauskommt. Shamir trifft die Galionsfigur des Kampfs gegen den Antisemitismus, Abraham Foxman von der Anti Defamation League. Er spricht mit umstrittenen Männern wie Norman Finkelstein ("Die Holocaust-Industrie") sowie John Mearsheimer und Stephen Walt ("Die Israel-Lobby"). Es zeigt sich, dass die Rabbis, die Shamir befragt, am wenigsten Probleme mit Judenfeindschaft haben. Ihr nüchterner Blick scheint gut einschätzen zu können, wo Aufregung angebracht ist und wo nicht. Doch ansonsten wird das Bild immer komplizierter, je länger der Film dauert: Ist Antizionismus in Wahrheit Antisemitismus? Ist Antisemitismus für säkulare Juden gar identitätsstiftend? Wer recht hat und wer nicht, will Shamir nicht beantworten. Die Motivationen der gezeigten Personen zeichnet er umso präziser nach. Er zeigt, wie individuelle und kollektive Erfahrungen Denkweisen prägen.

"Defamation". Regie: Yoav Shamir, Israel/Dänemark 2009, 93 Min.

Yoav Shamir: Mir ging es gar nicht darum, die Frage zu entscheiden, ob es Antisemitismus gibt oder nicht. Dieser Film beschreibt eine Suchbewegung. Wenn man aber schon vorher weiß, was man finden will, dann braucht man mit der Suche gar nicht erst anzufangen. Wie aber findet man etwas über Antisemitismus heraus? Ich habe mich an die Leute gewandt, die sich an vorderster Front mit dem Phänomen beschäftigen. Der Film versucht, Wahrnehmungen zu beschreiben: Wie gehen wir als Israelis, als Juden mit etwas um, das Teil unseres Lebens ist?

Sie zeigen Leute, die Antisemitismus für ein universelles Phänomen halten. Andere sagen, es gebe ihn gar nicht mehr.

Es zeigt sich, dass verschiedene Menschen dasselbe Phänomen auf verschiedene Weise interpretieren.

Sie lesen Antisemitismus auch als Ergebnis einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Ihr Beispiel ist eine israelische Schulklasse, der beigebracht wird, dass die ganze Welt sie hasst.

Sie spielen auf das Beispiel der israelischen Mädchen in Polen an, die von alten polnischen Männern angesprochen werden. Die reden zwar wirres Zeug, aber mit Antisemitismus hat das nichts zu tun. Die Mädchen verstehen nicht, was die Alten sagen, fühlen sich aber grob beleidigt, weil sie nichts anderes erwarten.

Ist Ihr Film in erster Linie für ein jüdisches oder israelisches Publikum gemacht?

Wenn ich Filme mache, dann in erster Linie für mich selbst. Aber natürlich ist der Film aus einer israelischen Perspektive gemacht. Ich weiß nicht, wie Juden außerhalb Israels denken. Ich kann nicht ihre Erfahrungen kritisieren. Das Gefühl, beleidigt zu werden, ist immer wahr für denjenigen, der es hat. Ich habe eine israelische Identität. Die ist zum Teil jüdisch, zum Teil dadurch geprägt, dass ich im Nahen Osten lebe. Ich glaube, Juden außerhalb Israels haben es schwerer, sich ihrer Identität zu versichern. Das wird dann zum Problem, wenn ihre Identitätssuche mich betrifft. Eine der Frauen im Film sagt, Israel sei ihre Versicherungspolice. Das hat zur Folge, dass ich die Bürde tragen muss, die gesamte jüdische Nation zu verteidigen, wo immer sie sich befinden mag. Es bedeutet außerdem, dass es weniger wichtig für mich sein soll, mit dem Palästinenser klarzukommen, der zehn Kilometer weit weg wohnt, und ich stattdessen für ein starkes Israel eintreten muss, das sich nichts gefallen lässt.

Sie zeigen Ihre Großmutter, die antisemitische Klischees über Diasporajuden reproduziert. Ist das wiederum Teil Ihrer zionistischen Identität?

Sie hat das Land mit aufgebaut. Wenn man sich die zionistischen Autoren wie Nordau oder Herzl anschaut, zeigt sich, dass sie auf eine bestimmte historische Situation geantwortet haben. Damals waren die Juden die am deutlichsten erkennbaren Anderen. Die Zionisten wollten die Vergangenheit loswerden. Der Säkularismus stammt aus dieser Zeit. Der Kibbuznik ist das Idealbild des neuen Juden, groß und blond. Er bearbeitet das Land und trägt Waffen. Meine Großmutter repräsentiert im Film den Kern des Zionismus.

Der Frage, unter welchen Umständen sich Antisemitismus hinter Antizionismus verbirgt, wird in Ihrem Film nicht wirklich nachgegangen.

Der zweite Teil des Films handelt doch fast nur davon. Ich habe einen Teil des Schnitts in Dänemark gemacht. Dort habe ich ständig linke antiisraelische Statements zu hören bekommen. Manches davon könnte durchaus auf einer antijüdischen Stimmung basieren. Aber diese Frage interessiert mich eigentlich nicht. Mir geht es darum, wie wir damit umgehen. Wenn Leute Kritik an Israel dazu benutzen, ihre antisemitischen Ressentiments loszuwerden, ist das nicht mein Problem. Wenn ich also Teile der israelischen Politik in der Westbank nicht für richtig halte, werde ich das nicht deswegen nicht äußern, weil jemand anders daraus die falschen Schlüsse zieht.

Sie nehmen in Kauf, dass Antisemiten Ihren Film genießen können?

Wenn jemand große Freude daran hat, was meine Großmutter sagt, sollte er sich fragen, was ihm daran eigentlich so viel Freude macht.

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