Doku „Der Tag, an dem ich El Chapo traf“: Sex, Lügen und ein Drogenboss
Die Netflix-Doku über El Chapo gleicht einer Telenovela, die hemmungslos den Machismo in der mexikanischen Gesellschaft zur Schau stellt.
Alles begann mit einem Tweet. „Ich vertraue inzwischen mehr auf El Chapo Guzmán als auf die Regierungen“, schrieb die mexikanische Schauspielerin Kate del Castillo vor fünf Jahren auf Twitter. Um zu verdeutlichen, was der Drogenboss tun könnte, legte sie noch nach: „Wäre es nicht super, Sie würden einfach anfangen, mit Gutem zu handeln?“ Etwa mit Medizin für Kranke oder Essen für Straßenkinder statt mit Drogen. „Handeln Sie mit Liebe, Sie wissen, wie das geht.“
Nein, das habe sie alles nicht wörtlich gemeint, sagt sie heute. Doch die warmen Worte für den Chef des mexikanischen Sinaloa-Kartells, der Zehntausende Todesopfer auf dem Gewissen hat, lösten einen Sturm der Entrüstung aus. Und sie sorgten dafür, dass sich del Castillo und ihr US-Kollege Sean Penn drei Jahre und einige Tweets später mit Joaquín „El Chapo“ Guzmán trafen. Diese Visite führte wiederum dazu, dass der 60-Jährige jetzt in New York hinter Gittern sitzt – und sie stellte das Leben der in Hollywood lebenden Schauspielerin auf den Kopf.
Liebe, Drogen, Knast – genug Stoff also, um die Räuberpistole medial zu verwerten. Also produzierte Netflix in Kooperation mit del Castillo die dreiteilige Dokumentation „Der Tag, an dem ich El Chapo traf“. Seit dem 20. Oktober ist sie bei dem Film- und Serienanbieter zu sehen.
Die Doku widmet sich ausführlich allen Akteuren des Spektakels: dem in Armut aufgewachsenen Guzmán, der als Telenovela-Sternchen in Mexiko berühmt gewordenen del Castillo, den Geheimdiensten, den Medien, der Regierung, den Strafverfolgern und nicht zuletzt Sean Penn. Denn auf ihn ist die 45-Jährige stinksauer. „Er hat mich betrogen“, sagt del Castillo und macht Penn mit dafür verantwortlich, dass sie zwei Jahre lang in Angst lebte und nicht nach Mexiko reisen konnte.
Dabei hatte alles vielversprechend angefangen. „El Chapo“, „der Kleine“, wie der Mafiaboss wegen seiner geringen Körpergröße genannt wird, saß noch im Gefängnis, als er die Schauspielerin über Twitter kontaktierte. Er wolle sein Leben verfilmen, ließ er del Castillo wissen, und suchte sich mit ihr die aus seiner Sicht wohl beste Ansprechpartnerin aus.
Schließlich spielte die heute 45-Jährige in der Verfilmung des Romans „La Reina del Sur“ (Die Königin des Südens) eine sympathische mexikanische Drogendealerin, die es in Südspanien zu viel Geld bringt. Die Serie war äußerst erfolgreich und hat auch Guzmán inspiriert. In einem seiner Verstecke fand man einige DVDs der Telenovela.
Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis
Del Castillo fand El Chapos Idee gut. Nicht nur Sean Penn, sondern auch Oliver Stone sei mit im Boot gewesen, verrät sie in der Dokumentation. Doch als es darum ging, Nägel mit Köpfen zu machen, passierte etwas Unerwartetes. Am 11. Juli 2015 gelingt dem Mafiaboss eine spektakuläre Flucht aus dem Hochsicherheitsgefängnis Altiplano. Der bestbewachte Gefangene des Landes gelangt über einen 1,5 Kilometer langen Tunnel in die Freiheit. Der Ausbruch beschäftigt ganz Mexiko. Die Regierung lässt er lächerlich aussehen, zumal der Kriminelle bereits 2001 aus dem Gefängnis fliehen konnte und 13 Jahre nicht gefasst wurde.
Auch auf der Flucht hält „der Kleine“ an seinen Filmplänen fest. Er organisiert mit del Castillo ein Treffen, zu dem die Schauspielerin Penn sowie zwei Produzenten mitnimmt. Über geheime Landepisten und verschlungene Wege, begleitet von El Chapos Sohn, reist das Team vier Monate nach dem Ausbruch in die Sierra des nordmexikanischen Bundesstaats Sinaloa, der Heimat Guzmáns. Dort verbringen sie mehrere Stunden mit dem Mann, nach dem Spezialeinheiten, Polizisten und Soldaten seit Monaten verzweifelt das Land durchkämmen.
Eindrucksvoll und sichtlich bewegt beschreibt del Castillo jene fünf Minuten, die sie allein mit dem Killerchef verbringt: die Angst davor, was er in diesem Moment mit ihr tun könnte. Aber Guzmán schmeichelt ihr nur. „Ich habe mich nicht in dir getäuscht“, sagt er und verschwindet in der Nacht.
Unmittelbar danach marschieren Sicherheitskräfte in der Region ein und gehen massiv gegen die Bevölkerung vor. El Chapo wird angeschossen, kann aber flüchten. Zwei Monate später, am 8. Januar 2016, überwältigt ihn ebenfalls in Sinaloa ein Kommando von Marinesoldaten.
Am Folgetag erscheint in der US-Zeitschrift Rolling Stone ein Interview, das Penn mit dem Mafiaboss geführt hat, sowie eine Reportage, die offenbart, dass er gemeinsam mit del Castillo unterwegs war. Zudem lässt die Generalstaatsanwaltschaft wissen, dass Ermittlungen gegen Hollywood-Stars bei der Verhaftung geholfen hätten. Für die Schauspielerin beginnt damit eine Zeit der Verleumdungen, Denunziationen und ständigen Furcht.
„Fuck, fuck, diese zeitliche Übereinstimmung“, twittert sie Penn und wirft ihm vor, die Texte unabgesprochen publiziert zu haben. Doch da ist es längst zu spät. Zwar hatte der Schauspieler wohl auf der Reise die US-Antidrogenbehörde DEA auf den Fersen oder schon lange mit Fahndern kooperiert. Aber im Schussfeld steht fast ausschließlich del Castillo. Als Mexikanerin weiß sie genau, dass der Verdacht, für die Verhaftung eines Drogenbosses verantwortlich zu sein, tödlich enden kann.
Mehr Angst als die Mafiakiller flößen ihr jedoch die mexikanischen Strafverfolger ein. Diese werfen ihr vor, mit Guzmán gemeinsame Sache gemacht zu haben. Sie sprechen von einer engen Beziehung und ermitteln, weil sie über ihre Tequila-Firma Honor del Castillo Geld für das Sinaloa-Kartell gewaschen haben soll.
Zudem geben die Staatsanwälte interne Informationen an die Presse weiter und befeuern so eine mediale Hexenjagd gegen die Schauspielerin. Die einen halluzinieren eine Romanze mit El Chapo, schreiben über Sex und eine Schwangerschaft, andere zitieren Tweets, die es nie gegeben hat. Del Castillo steht am Pranger und bleibt wegen der Strafverfolgung ihrer alten Heimat fern.
Vermischung von Realität und Inszenierung
„Die Regierung hat dafür gesorgt, dass diese Botschaften nach außen dringen“, ist Journalistin Sanjuana Martínez überzeugt. Schließlich habe del Castillo den Präsidenten Enrique Peña Nieto immer wieder kritisiert. Zudem habe sie ihn bloßgestellt, weil sie Guzmán einfach getroffen habe, während die Sicherheitskräfte im Dunkeln getappt seien, ergänzt der Schriftsteller Diego Osoro. Der Autor kommt wie viele Mafia-Experten in dem Film ebenso ausführlich zu Wort wie El Chapos Anwalt. Die feministische Publizistin Lydia Cacho spricht von einer „politischen Verfolgung“, die sich gezielt gegen die Schauspielerin als Frau richte.
Tatsächlich gleicht das Spektakel um del Castillo einer Telenovela, die hemmungslos den Machismus in der mexikanischen Gesellschaft zur Schau stellt. Die Vermischung von Realität und Inszenierung zeigt auch die Doku deutlich. Einer aber kommt dort kaum zu Wort: Sean Penn. Er habe sich trotz Anfragen nicht interviewen lassen wollen, heißt es bei Netflix.
Laut einem Brief an den Filmanbieter, den die New York Times veröffentlichte, fürchtet er um seine Sicherheit, und seinen Anwalt lässt er erklären: „Es ist sehr zu verurteilen, dass Frau del Castillo und ihr Team versuchen, diese falsche, dumme und leichtsinnige Geschichte zu kreieren, um Aufmerksamkeit und Publicity zu erzielen.“
Der Vorwurf ist nicht komplett von der Hand zu weisen. Man mag ihr verzeihen, dass sie ihre zeitweise engere Beziehung zu Penn – „nur geschäftlich und Sex“ – im Film außen vor lässt. Aber auch del Castillo ist, wie sie selbst sagt, immer auf der Suche nach großen Storys. „Und diese Story ist faszinierend“, sagt sie.
Dabei war sie nach den Angriffen zwei Jahre lang unfähig zu arbeiten. Erst in diesem Frühjahr wurde ihr nächster Spielfilm „Ingobernable“ (Unregierbar) vorgestellt. Er handelt von einem korrupten Präsidenten, verschwundenen Studenten und geheimen Militärgefängnissen. Der Premiere in Mexiko-Stadt musste sie sich per Skype aus Hollywood zuschalten. Die Strafverfolgung wurde erst kurz darauf eingestellt. Mangels Beweisen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Haftbefehl gegen Benjamin Netanjahu
Er wird nicht mehr kommen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin