Doktortitel gegen Gefälligkeiten: Schummelprof vor Gericht
Ein Juraprofessor muss sich wegen Bestechlichkeit verantworten: Er ließ sich für die Betreuung von Doktorarbeiten bezahlen und vergab gute Noten gegen Sex.
HILDESHEIM taz Er promovierte in Florenz, wirkte in Michigan und Brüssel, schrieb Gesetzbücher für Bosnien und Tadschikistan. Der C IV-Professor aus dem Hamburger Villenviertel hat als Richter am Oberlandesgericht gearbeitet, er spricht fünf Sprachen, spielt Klarinette und Cello. 53 Jahre ist er alt, bestes Professorenalter. Seit September, als der Experte für Zivilrecht und anwaltliche Berufspraxis angeblich nach Panama fliehen wollte, sitzt Thomas Eduard A. in Untersuchungshaft. Dennoch ist sein blauer Zweireiher knitterfrei, der schüttere Scheitel stets tadellos nach rechts gezirkelt. A. lässt sich nicht hängen.
Er sitzt im Hildesheimer Landgericht und starrt seltsam abwesend in das Neonlicht von Saal 134, als ob sich dort die nächste große Station seiner Juristenkarriere abzeichnen könnte. Es war ja stets alles steil nach oben gelaufen. "Bis Mitte 2005", sagt der Professor, "dann kamen die Hausdurchsuchungen, dann änderte sich alles."
Er hat seine Reputation verzockt, seine Universität und den ganzen Berufsstand durch den großen Betrug und die Liebschaften mit Studentinnen verunglimpft. In dem Prozess vor der vierten Wirtschaftsstrafkammer wird A. stets mit "Herr Professor Doktor" angesprochen, dabei ist der vornehme Mann aus der Akademikerwelt längst ausgeschieden. A. hat Hausverbot an der juristischen Fakultät der Universität Hannover. Das gut angezogene Stück Seife ist zum Albtraum für Institut und Professorenkollegen geworden.
Bedenken "habe ich sehr schnell zur Seite geschoben und mir darüber keine Gedanken gemacht", drechselt der Professor über "die aus heutiger Sicht wohl unselige Zusammenarbeit" mit einer Promotionsberatungsfirma. Mit der Annahme von 184.000 Euro für die Betreuung von 69 Promotionswilligen habe er sich "offensichtlich schuldig" gemacht, liest A. sein Geständnis ab. Teilnahmslos, als handele es sich um eine Vorlesung für Erstsemester.
Eine Erlaubnis von der Universität, jeweils 2.000 Euro pro Doktorand sowie für jede erfolgreiche Promotion einzustreichen, "habe ich dann eigentlich nicht für notwendig erachtet", sagt A. "Meinen Sie denn", fragt der Vorsitzende Richter Peter Peschka spitz, "da hätten Sie eine Erlaubnis für bekommen?" Wohl kaum, wird der Professor kleinlaut. Damit die Sache nicht auffiel, hatte er seit 1996, als alles begann, die Rechnungen auf den Namen seiner Frau ausgestellt.
Es geht um Bestechlichkeit. 65 der promotionswilligen Anwälte, Notare und Richter aus dem ganzen Bundesgebiet hatten nicht die für die Einleitung des Verfahrens nötige Prädikatsnote "voll befriedigend" im Examen, notiert die Staatsanwaltschaft in der 185 Seiten dicken Anklageschrift. Dass A. Noten aufgehübscht hat, um überhaupt Doktorvater werden und also kassieren zu können, bestreitet er dennoch vehement. "Es ist nicht so, dass wir die Professoren angestiftet haben, eine Mickey-Mouse-Arbeit durch die Fakultät zu bugsieren", erklärt auch der wegen Bestechung mitangeklagte Promotionsvermittler Martin D.
Ob der Professor Zulassungshürden beiseite geräumt hat, spielt in dem seit nunmehr zwei Monaten dauernden Verfahren auch kaum noch eine Rolle. Schwerer wiegt der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, der verbeamtete A. mit seinen zuletzt 5.000 Euro netto monatlich habe sich für einen Job zusätzlich bezahlen lassen, der eigentlich Teil seiner Arbeit war: Doktorvater sein. Da A. gestanden hat, kann er mit drei Jahren Freiheitsstrafe ohne Bewährung rechnen. Das Urteil soll heute gesprochen werden.
1999 hatte sich der Professor mit dem Kauf eines Hauses verhoben. Neun Haftbefehle wurden gegen ihn erlassen, weil er Heizöl, Handwerker oder die Reparatur seines Porsches nicht zahlen konnte. Der Sportwagen soll ihm vom Parkplatz weggepfändet worden sein. Bei der Promotionsagentur bettelte er um Eilüberweisungen auf das Konto seines Vaters. "Ich brauchte einfach relativ schnell diese Zahlungen", sagt der Professor, als wäre das für jemanden in seiner Position die normalste Sache der Welt. "Das ist wirklich nicht angenehm", stichelt Richter Peschka bei der Vernehmung. Die noch peinlicheren Aspekte im Betragen des Hochschullehrers spricht er dabei gar nicht erst an.
"Sehr getroffen", sagt A., hätten ihn die Falschmeldungen in der Presse, er habe mit Titeln gehandelt. Wie sehr es ihn getroffen hat, dass die Boulevardzeitungen ihn "Professor Sex" nennen, sagt er nicht. Denn A. vergab auch gute Noten gegen Körperliches. Dass er dem weiblichen Geschlecht zugeneigt war, kann auf dem Campus kein Geheimnis gewesen sein. Für Zutraulichkeiten soll A. Studentinnen Jobs als Hilfskraft, Scheine fürs Seminar oder Spritztouren zu Kongressen mit gemeinsamem Hotelzimmer versprochen haben. Manche Studentinnen verhöhnten den arrivierten Herrn mit dem Bäuchlein nach seinem zweiten Vornamen als "Eduard, die Waschtrommel". Andere gingen auf die Avancen von A., dem Professor der Begierde, ein. Vor knapp vier Jahren flog alles auf, als sich zwei Studentinnen weigerten, von ihm geprüft zu werden.
Mit einem Aktenkoffer schirmt der Anwalt eine frühere Assistentin des Professors vor den Kameras ab. Die Ermittler hatten ihre Strafrechts-Hausarbeit auf dem Privat-Laptop des Professors gefunden. Nun ist Simone S., 31, vor Gericht in einer grotesken Maskerade aus weiß-goldener Sonnenbrille und langhaariger Perücke erschienen. Sie räumt nicht nur unter Schluchzen ein, seit 2002 eine Affäre mit A. gehabt zu haben, sondern auch, ihn immer noch zu lieben. Sie weiß, dass er seit 25 Jahren verheiratet ist und eine Tochter hat. Doch selbst, nachdem sie erfahren hatte, dass der Professor mit einer weiteren Studentin nach Sylt gereist war, durfte er weiter bei ihr übernachten.
Weil A. ihr "sexuell hörig" gewesen sei, habe er die Note für eine Übung zum Bürgerlichen Recht frisiert und sie als Mitarbeiterin beschäftigt, erklärt Staatsanwalt Jürgen Lendeckel. Sie und eine weitere Exstudentin wurden bereits zu je 1.800 Euro Geldbuße verurteilt.
Eine weitere Pikanterie ist, dass die Staatsanwaltschaft vor drei Wochen die Räume der Promotionsvermittler in Bergisch Gladbach filzen ließ. Die Ermittler argwöhnen, dass es neben A. bis zu tausend weitere korrupte Hochschullehrer in Deutschland gibt. "Wir waren wohl mal Marktführer", sagt der mitangeklagte Martin D. Die Razzien und das desaströse Medienecho haben seiner Agentur zugesetzt: Die Hälfte seiner einst 20 Mitarbeiter musste der 52-Jährige entlassen. Einen "Deal" mit Richter und Staatsanwalt - Geständnis gegen ein Bußgeld von 252.000 Euro und zwei Jahre Freiheitsstrafe auf Bewährung - ließ er wegen der laufenden Ermittlungen platzen.
"Im Optimalfall", wirbt sein Institut im Internet, "können Sie Ihren Arbeitsaufwand für die Promotion um bis zu 50 Prozent reduzieren." Angeblich legal. Rund 20.000 Euro pro Promotion sollen Doktoranden für Kontaktvermittlungen zum Doktorvater, Literaturrecherchen und auch "fürs Händchenhalten" gezahlt haben, beteuert D. vor Gericht, allein 350 Mal seit dem Jahr 2000. Und: "Unsere Klientel ist nicht die Elite der Minderleister."
Höherer Status, höheres Salär: 13.000 Euro zusätzlich bringt ein Titel frischgebackenen Doktoren pro Jahr im Schnitt. 26.000 Promovierende absolvieren die Ochsentour jedes Jahr in Deutschland. Für den Doktorhut benötigen sie, je nach Fach, etwa vier Jahre Plackerei. Vor allem Berufstätige schreckt das ab. Manchen hilft es, dass sich rund um das akademische Milieu eine Speckschicht aus Promotionsberatern, Ghostwritern und Titelhändlern gebildet hat. Experten schätzen, dass ein bis zwei Prozent der Promotionen in einer rechtlichen Grauzone zustande kommen.
"Lassen Sie Ihre nachweislichen Fachkenntnisse von einer ausländischen Fernuniversität neu bewerten", locken selbsternannte "Graduierungshelfer" in Anzeigen. Unter vier Augen versprechen sie ein Rundum-sorglos-Paket für bis zu 40.000 Euro pro Promotion, Ghostwriter verlangen noch mehr. Solange Professor, Doktorand und Promotionsberater dichthalten, ist das Risiko für Pfuscher überschaubar. Bis zum Fall Thomas A. galt der Ehepartner als einziges Leck: Vor allem bei Rosenkriegen, wenn enttäuschte Ehepartner auspacken, fliegen faule Titel auf.
Firmen wie die "Doktorfabrik" aus Bergisch Gladbach sind den Universitäten deshalb schon lange ein Dorn im Auge. Sie vermittelten das Gefühl, dass da "nicht überall Doktor drin ist, wo Doktor drauf steht", ärgert sich der Vorsitzende des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen. "Ich verstehe nicht, wieso überhaupt jemand Promotionsvermittler braucht", sagt Henning Radtke. "Zeitfresser ist doch nicht die Anbahnung des Kontakts zum Doktorvater, sondern das Schreiben", meint der Professor für Strafrecht an der Uni Hannover.
Seine Hochschule hat Konsequenzen gezogen: Doktoranden müssen nun an Eides statt versichern, dass ihnen niemand bei der Dissertation unzulässig unter die Arme gegriffen hat. Kaum überraschend, dass Doktoren, deren Dissertation Prof. Dr. A. betreut hat, mittlerweile dagegen prozessieren.
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