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Doch kein netter Betriebsausflug

Die Basis schäumt, die Polizei gibt sich entschlossen: Der grüne Traum vom braven Protest entlang der Bahngleise wird sich nicht erfüllen

aus Lüneburg THOMAS GERLACH

Von oben pisst es ganz fein, von unten verbreitet einer Frohsinn. Auf dem Campus der Uni Lüneburg sammeln sich die Demonstranten, hüllen sich in Folie. Fast wie ein Sommerfrischler steht Detlev Kaldinski dazwischen: Bürstenschnitt, Faltenhose und Lederjacke, ein knuffiger Kumpel für den Stammtisch, einer, mit dem man nach der Castor-Demo unbedingt noch flippern gehen möchte.

Der Mann dazwischen

Doch Detlev Kaldinski wird sich nur in sein Auto setzen und nach Hause fahren – Dienstschluss für den Polizeibeamten aus Lüneburg. Der hat in den nächsten Tagen ganz gewiss Sonne im Herzen und keine Handschellen am Bund. Detlev Kaldinski ist gemeinsam mit seiner Kollegin Gunda Deepe ein Team: er Pressesprecher, sie Konfliktmanagerin. Beide gemeinsam sind Diskussionsforum und Werbeträger in einem: „Proteste ja, Gewalt nein!“, steht in der Heckscheibe ihres Autos. Diese Botschaft flattert aus ihren Mündern unter das Demonstrantenvolk. Und vor allem in die Kameras: „Ich war doch oft dabei, damals auch in Brokdorf. Da ging’s doch nur so – Autotür auf und Gewalt.“ Schon wurde geprügelt. Jetzt habe man an die Kollegen CD-ROMs verteilt mit Programmen zum Konfliktmanagement. Dass der Drei-Sterne-Polizist überhaupt jemals geprügelt haben könnte, kann sich jetzt bestimmt kein Fernsehzuschauer mehr vorstellen.

Es ist kurz nach elf, der Zug zieht los. Lautsprecherwagen vorneweg, danach das Fußvolk: aus Hannover, Kassel, Freiburg, Weimar, Chemnitz und sonstwoher, Falken und PDS und Jusos, Schüler, Studenten, Männer, Frauen, mit Trommeln, auf Stelzen, Fässer in der Hand, Ortsschilder aus dem Wendland, auf einem Rad balancierend oder im Trecker der „Bäuerlichen Notgemeinschaft“ ganz am Ende. Und alle ziemlich jung. Wer mehr als dreißig Jahre zählt, sieht alt aus hier. Wie viele sind das wohl, vielleicht zweitausend? „Ach, ich bin da großzügig!“ Peanuts für Detlev Kaldinski. Er läuft vorneweg, ist für anderes da. „Wichtig ist, dass keine Gewalttätigkeiten passieren.“ Es ist wie auf einem Betriebsausflug. „Dazu gehört auch das Blockieren.“ Doch keine Fahrt ins Blaue. „Das müssen wir verhindern. Sonst machen wir uns strafbar. Deswegen sind unsere Leute so vorsichtig! Die hängen doch auch an ihrer grünen Jacke.“

Überall Gefahrenabwehr

Lüneburg ist nicht das Wendland: 60 Kilometer bis Gorleben, Castor-Proteste gehören hier nicht zum Alltag, das Oberverwaltungsgericht schräg über der Straße schon. Das hat gestern die Camps verboten, Begründung: Gefahrenabwehr. Jörg und Ricarda sind auch wegen einer Gefahrenabwehr hier und mit Tochter und Großeltern gekommen. Drei Generationen Atomprotest: In Salzgitter gegen den Schacht Konrad, im Wendland gegen den Castor. Ein ganzer Bus ist hier. Opa pafft Zigarre und Jörg Selbstgedrehte. „Irgendwo muss das Zeug ja hin“, sagt Jörg. „Aber: unter welchen Bedingungen? Die Industrie hat doch den Konsensvertrag noch nicht mal unterschrieben.“

Jörg sieht nicht so aus, als ob er heute oder morgen Schienen blockieren würde, ist sich wohl selbst noch nicht sicher, wie weit er gehen wird. „Man muss darauf antworten, was man vorgesetzt bekommt.“ Hier in Lüneburg sind es Detlev Kaldinski, Gunda Deepe und viele andere Beamte. Die sperren mit Streifenwagen Straßen, leiten den Verkehr um und managen öffentlichkeitswirksam Konflikte, wo keine sind. Noch nicht. 20 Kilometer Richtung Gorleben sieht das schon anders aus: Gleich hinter der Kreisgrenze nach Lüchow-Dannenberg wird anderes vorgesetzt, stehen Dienstkarossen mit anderem Hubraum: Panzerwagen, Wasserwerfer, Mannschaftsbusse. Hundertschaften aus Bochum, Leipzig, Bremen fahren seit Tagen in Konvois über die Kreisstraßen von A nach B nach C und zurück nach A, hin und her. Ein planloser Plan, eine prophylaktische Transfusion von Staatsdienern, grünes Blut in den Adern des Wendlandes, ein paar Wochen lang.

In Lüneburg hat der Sternmarsch den Clarmartpark erreicht. „Im gesamten Landkreis werden die Kirchen offen sein!“, tönt es von der Bühne. Erleichterung. Viele sind mit Sack und Pack gekommen. Wenn das Gericht die Camps verbietet, machen eben die Pastoren die Kirchen auf. Ein Lob der Pastorenschaft. Und an die Schüler, die schon Turnhallen besetzt haben für die Demonstranten. Das war’s dann aber auch mit den Streicheleinheiten. Mehr gibt’s heute nicht. Für keinen.

Die Grünen? Kaum vorhanden

Unter deutschen Friedenseichen und einem Reiterstandbild aus Kupferblech scheppern Trommeln, Fahnen wehen: PDS, DKP, MLPD, die Falken. Robin-Wood-Aktivisten trommeln vom Hänger, eine Frau hält ihrem Hund die Ohren. Die Grünen? Als ob sie nicht da wären. Sie halten sich zurück. Die Grünen sind älter geworden, der Widerstand bleibt jung. Schüler, Studenten – bunte Haare, Rastalocken, Button an der Brust. Die sehen nicht so aus, als ob sie in eine grüne Partei eintreten würden. Kohl, Kanther, Merkel, Trittin – heute wird nicht mehr unterschieden, Politiker eben. Da trifft es sich, dass ein weißer Turnschuh in einer Monstranz präsentiert wird. Darüber schwebt Trittins Konterfei als Ikone. Die Spaßvögel in den grünen Kutten kommen aus Göttingen. Das ist Jürgen Trittins politische Heimat. Oder sie war es. Schicksal. „Die Politiker halten uns scheinbar für politisch unterbelichtet, weil wir angeblich unseren Müll zurückholen müssen! Sie werfen uns fehlende moralische Verantwortung vor!“, schallt es von der Bühne. „Und jetzt soll alles anders werden?!“ Die Chefin der Bürgerinitiative legt nach: „Das ist Müll von privaten Unternehmen! Für diese Gangster sollen wir die Straße räumen?! Niemals!!!“

Die Lautsprecher scheinen zu bersten, die Stimmung kocht. „Unser Konsens heißt Widerstand!“ Der Zorn auf die Grünen kennt heute keine Grenze. Nun ja, fast nicht: Ein „autonomer Unruhestifter“ schimpft vom Bühnenwagen auf die verdammten Grünen, den vollgestopften Spätzlefresser Rezzo Schlauch und die grünen Kosovokriegsidioten. Will er die Stimmung testen? Unruhe. Als er mit glänzender Sonnenbrille dann gegen die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg ausholt und gegen die Leute von „X1000mal quer“, platzt einigen der Kragen. „Spalter!“ ruft es von hinten. Trillerpfeifen. „Aufhören!“ – „Weiter!“ Auch Applaus. Dennoch: Die Grenze des Zorns scheint für heute erreicht. Eine Widerrede gibt es nicht.

Eines ist klar: Der grüne Traum vom braven Protest entlang der Bahngleise wird sich nicht erfüllen. Detlev Kaldinski und seine Kollegen vom Konfliktmanagement werden vielleicht noch eine kleine Weile frohgemut sein, vielleicht zwei Tage, vielleicht nur Stunden. Dann werden sie von anderen, ernsteren Kollegen beiseite geschoben. Am Rande stehen Sanitäter, Polizei und deren Konfliktmanager in ihren nagelneuen roten Goretex-Jacken und haben nichts zu tun. „Ein Wort zu den Konfliktmanagern! Die lungern bestimmt auch hier herum und sind unwahrscheinlich gesprächsbereit“, ruft es von der Bühne. Jochen Stay, Sprecher von X1000mal quer ist hinaufgeklettert. „Neben 30.000 bewaffneten Beamten sind das 12 unbewaffnete. Es sind nur 12, nicht 130. Die anderen sind die Mitarbeiter der Öffentlichkeitsarbeit der Polizei!“ Und da man es wohl bald mit den Bewaffneten zu tun haben wird, noch ein Hinweis: „Nach der Demo könnt ihr hier Blanko-Vollmachten für unsere Rechtsanwälte ausfüllen!“ Der Platz leert sich. 17.000 Demonstranten meldet X1000mal quer.

Endlich ist auch von weitem ein grün-gelbes Sonnenblumenzeichen von „Bündnis 90/ Die Grünen“ zu sehen. Es kommt näher heran: „Wer hat uns verraten?“ steht darüber. Das ist zwar kein Vers und klingt auch nicht schön, doch viele haben sich längst einen Reim darauf gemacht.

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