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Disziplinierung der Justiz in PolenSejm verabschiedet Gesetz

Das polnische Parlament hat ein Gesetz zur Einschränkung von Richtern gebilligt. Die Opposition skandierte „Schande“. Jetzt kommt die Vorlage in den Senat.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski (2. Reihe, l.) und Premierminister Mateusz Morawiecki (daneben) bei der Debatte im Parlament Foto: dpa

Warschau dpa | Trotz internationaler Proteste hat Polens Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Möglichkeiten zur Disziplinierung von Richtern erweitert. Bei der Abstimmung am Freitag konnte sich die nationalkonservative Regierungspartei PiS auf ihre absolute Mehrheit stützen. Abgeordnete der Opposition skandierten nach dem Votum „Schande“ und „Verfassung“. Die EU-Kommission hatte in einem Brief die Verantwortlichen in Warschau dazu aufgefordert, das Vorhaben nicht voranzutreiben. Auch das UN-Menschenrechtsbüro äußerte Bedenken.

Das Gesetzesprojekt sieht vor, dass Richter künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer in Frage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen und müssen angeben, in welchen Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen sie aktiv sind.

Seit die PiS im Jahr 2015 an die Macht kam, hat sie das Justizwesen massiv umgebaut. Die EU-Kommission hat wegen strittiger Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben.

Die Diskussion um eine mögliche Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen hat durch das neue Vorhaben wieder Fahrt aufgenommen. Am Mittwoch gab es landesweite Proteste, allein in der Hauptstadt Warschau gingen 7.000 Menschen auf die Straße.

In der Parlamentsdebatte am Freitag übte die Opposition heftige Kritik. Die PiS baue eine „Pyramide der Gesetzlosigkeit“ auf und schaffe Chaos im Gerichtswesen, sagte die Abgeordnete Kamila Gasiuk-Pihowicz von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). „Nach der Einführung dieses Gesetzes kann die Regierung jeden Richter unter irgendeinem Vorwand rauswerfen. Die Richter werden bestraft, wenn sie die Verfassung oder EU-Recht anwenden. Beenden Sie diesen juristischen Wahnsinn!“

Auch die EU-Kommission appellierte an die Regierung in Warschau, die umstrittene Justizreform vorerst zu stoppen. Die Brüsseler Behörde sei wegen des Vorhabens, in dem Kritiker einen weiteren Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz sehen, besorgt, sagte ein Sprecher am Freitag. Kommissionsvize Vera Jourova habe deshalb einen Brief an den polnischen Präsidenten, den Ministerpräsidenten sowie die Sprecher der beiden Parlamentskammern geschickt.

Darin heißt es nach Angaben des Sprechers, dass man die polnischen Behörden nachhaltig dazu ermutige, sich mit den Verfassungsexperten der sogenannten Venedig-Kommission in Verbindung zu setzen. Solange die Gespräche mit allen Beteiligten nicht abgeschlossen seien, sollten die staatlichen Organe das Vorhaben nicht vorantreiben. Die Venedig-Kommission ist Teil des Europarates und berät Staaten in Verfassungsfragen.

UN äußert schwere Bedenken

Das UN-Menschenrechtsbüro äußerte ebenfalls schwere Bedenken gegen das neue Gesetz. Die bereits angeschlagene Unabhängigkeit der Gerichte werde damit womöglich weiter untergraben, sagte der Sprecher des Büros am Freitag in Genf. „Wir rufen die polnische Regierung und das Parlament auf, die Folgen dieser Gesetzesentwürfe auf die Rechtsstaatlichkeit genau abzuwägen“, sagte der Sprecher.

Der liberale Europapolitiker Guy Verhofstadt verglich die Justizreform der PiS mit der Politik des sowjetischen Diktators Josef Stalin. „Was die PiS macht, kommt direkt aus Stalins Lehrbuch… oder aus Putins“, schrieb der belgische Europaabgeordnete am Freitag auf Twitter.

Nach seiner Verabschiedung durch den Sejm, der ersten Kammer des Parlaments, kommt das Gesetz nun in den Senat. In dieser zweiten Kammer hat die Opposition die Mehrheit. Ihre Spitzenpolitiker haben schon angekündigt, dass sie gravierende Änderungsvorschläge machen werden. Allerdings kann die PiS mit ihrer absoluten Mehrheit im Sejm diese später wieder ablehnen.

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9 Kommentare

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  • Wie sieht die Situation in D. aus?



    Die höchsten Richter bei uns werden von den Parteien benannt und auch bestimmt.



    Die Staatsanwälte bei uns sind weisungsgebunden und unterstehen dem Justizministerium.



    Wenn schon über Polen hergezogen wird, sollten wir erstmal vor unserer eigen Türe kehren, da liegt genug Dreck.

  • Ja wie^?^ - “Noch ist Polen nicht verloren?!“

    kurz - Na dann - Schaugnmer mal.



    Dann - Sehnmers scho. Newahr.



    Normal.

    unterm—— wahrlich bitter -



    Wenn frauman bedenkt. Aber das möchtest fast nicht - wa.



    Daß nach Ende des kalten Krieges - Solidarność - läßt - Grüßen.



    Gerade Polen eine der fortschrittlichsten Gerichtsverfassungen am Start hatte.

    kurz2 - Rein tonn katolsch warrn. 👿

    • 0G
      05158 (Profil gelöscht)
      @Lowandorder:

      Wie, wo ordne ich das ein?



      Für mich ne Übersetzung( bitte Dialektfrei)!

      ...Das Gesetzesprojekt sieht vor, dass Richter künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer in Frage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen und müssen angeben, in welchen Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen sie aktiv sind.....

      Danke.

      • @05158 (Profil gelöscht):

        Zum letzten Satz.

        Richter & Partei(nicht)Zugehörigkeit.



        Dürfte kein Knackpunkt sein.



        Ist weltweit unterschiedlich geregelt.



        (Wenn ich‘s recht erinner - z. B. Kanada verboten.)



        &



        Organisationen geht - klar - deutlich weiter.



        (vgl - wenig her - § 218 - Karlsruhe -



        www.spiegel.de/spi...nt/d-13691678.html



        (btw - Böckenförde - eh ein besonderes schräger - Vogel …öh Fall - andermal)

        Trifft aber immer & immer wieder gern - anders als in Polen vorgesehen - den Einzelfall. Darauf werden dann ggfls. Befangenheitsanträge gestützt.



        (Als das in Karlsruhe das erste mal aufkippte.(Name entfallen - Rottmann?)



        & Däh



        Fehlte es an einer Nachrückregelung!



        Repariert!)

        Zum ersten - ist m.E. klar - i. Erg. Daumen runter. Eingriff in die richterliche Unabhängigkeit. Schonn Aber. Die Sentenz ist schlicht diffus - & so der Regelungsgehalt letztlich unbestimmt & vage. …. servíce

        • 0G
          05158 (Profil gelöscht)
          @Lowandorder:

          Danke für den Service!

          Ist für mich, der bisher nur begrenzt mit der Judikative in Berührung kam ein schwer entwirrbarer Dschungel.(Zufall..)



          .."Richterliche Selbstbeschränkung, haben sie mehrmals verkündet, erfordere nichts weiter als den Verzicht, selber "Politik zu treiben".

          Wenn ich das auf Polen übertrage,komme ich auch nicht so richtig weiter...

          Das Banale bleibt natürlich auch hängen...



          Ihre scharlachroten Roben, zu Gründerzeiten vom Kostümbildner des örtlichen Theaters entworfen, ..

          Zeit in die Heia zu gehen...

          • @05158 (Profil gelöscht):

            Falls schon raus aus der Furzmulle bzw “…riecht nach mir…“ - Herr Bötticher -



            Wo hamse das Zitat her?

            unterm—- etwas oberflächlich —



            de.wikipedia.org/w...tbeschr%C3%A4nkung

            kurz - Da Recht gegossene Macht ist.



            Teilweise derbste - ja gern auch beabsichtigte - Lücken hat & - wie anders - in die Zeit hin offen - ist Rechtsprechung immer & unausweichlich - Politik.

            Grob gesagt -



            “ In einem Spannungsverhältnis dazu steht die richterliche Rechtsfortbildung als Ableitung aus der Rechtsweggarantie (Art. 19 Abs. 4 GG), mit der Regelungslücken geschlossen und nicht abschließende Normen weiter entwickelt werden können.“ *



            kurz - Novum des/durch das Grundgesetz: Es gibt keinen rechtfreien Raum •

            * - Beispiel klassisch - Arbeitsrecht -



            Die “5 Tropfen sozialen Öls des BGB“ - klar - reichten nicht. Ergo weitestgehend Richterrecht. Pikanterweise post WK II in der BRD - durch bräunliche Gesellen stark beeinflusst. Präsi Nipperdey läßt grüßen. Aber der Hans Carl - Gelle.



            de.wikipedia.org/w...ans_Carl_Nipperdey



            Auch kritischen Weggefährten dämmerte erst langsam - was da angerichtet war. Streitbare Versuche - zu korrigieren - durchaus inclusive. 🧐

            Im Bereich der Verwaltungsgerichte.



            Grob - Bürger vs Staat - hat die Exekutive gern & weiterhin - versucht - Kontrolle auszuhebeln. Klassisch - Kohl & Co - Rechtswegverkürzung im Umweltrecht & Großverfahren (bis AtomR).



            & prägnant - Gellewelle -



            Gerade ja - Söder in den Knast? -



            VGH München - EuGH.

            kurz - Stand der Dinge

            • 0G
              05158 (Profil gelöscht)
              @Lowandorder:

              Danke.



              Das Zitat ist aus



              www.spiegel.de/spi...nt/d-13691678.html



              Letzter Absatz.

              Ihr dritter Satz von hinten. Wenn man das so vor sich sieht......

              • @05158 (Profil gelöscht):

                Da taucht son Blondie-Testsiegerin für Familienversicherung auf & wrong 404

                Anyway - hoffe etwas klarer!?

            • @Lowandorder:

              Sorry - noch was möd - vom Schirm gerutscht - Fischer im Recht -



              Strafrecht und Politik – ist das dasselbe? Oder etwas ganz anderes? Die Wahrheit liegt unter vielen Schichten verborgen.



              (wie passend auch zum Ausklang -;)



              www.zeit.de/gesell...t-fischer-im-recht



              Grundseminar



              & als launiger Schlagobers - 🥳 sein -



              www.zeit.de/gesell...k-fischer-im-recht



              ”Justiz und Politik



              Die (Straf-)Justiz macht das meiste ziemlich richtig, manches suboptimal und gelegentlich etwas richtig falsch. Aber wer macht die Justiz? Zur Rechtsbeugungsserie.“

              Na Mahlzeit