Disziplinierung der Justiz in Polen: Sejm verabschiedet Gesetz
Das polnische Parlament hat ein Gesetz zur Einschränkung von Richtern gebilligt. Die Opposition skandierte „Schande“. Jetzt kommt die Vorlage in den Senat.
Das Gesetzesprojekt sieht vor, dass Richter künftig mit Geldstrafen, Herabstufung oder sogar Entlassung rechnen müssen, wenn sie die Legalität oder die Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer Kammer in Frage stellen. Auch dürfen sie sich nicht politisch betätigen und müssen angeben, in welchen Berufsorganisationen und Bürgerinitiativen sie aktiv sind.
Seit die PiS im Jahr 2015 an die Macht kam, hat sie das Justizwesen massiv umgebaut. Die EU-Kommission hat wegen strittiger Reformen bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen die Regierung in Warschau eröffnet und Klagen beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) erhoben.
Die Diskussion um eine mögliche Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit in Polen hat durch das neue Vorhaben wieder Fahrt aufgenommen. Am Mittwoch gab es landesweite Proteste, allein in der Hauptstadt Warschau gingen 7.000 Menschen auf die Straße.
In der Parlamentsdebatte am Freitag übte die Opposition heftige Kritik. Die PiS baue eine „Pyramide der Gesetzlosigkeit“ auf und schaffe Chaos im Gerichtswesen, sagte die Abgeordnete Kamila Gasiuk-Pihowicz von der liberalkonservativen Bürgerplattform (PO). „Nach der Einführung dieses Gesetzes kann die Regierung jeden Richter unter irgendeinem Vorwand rauswerfen. Die Richter werden bestraft, wenn sie die Verfassung oder EU-Recht anwenden. Beenden Sie diesen juristischen Wahnsinn!“
Auch die EU-Kommission appellierte an die Regierung in Warschau, die umstrittene Justizreform vorerst zu stoppen. Die Brüsseler Behörde sei wegen des Vorhabens, in dem Kritiker einen weiteren Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz sehen, besorgt, sagte ein Sprecher am Freitag. Kommissionsvize Vera Jourova habe deshalb einen Brief an den polnischen Präsidenten, den Ministerpräsidenten sowie die Sprecher der beiden Parlamentskammern geschickt.
Darin heißt es nach Angaben des Sprechers, dass man die polnischen Behörden nachhaltig dazu ermutige, sich mit den Verfassungsexperten der sogenannten Venedig-Kommission in Verbindung zu setzen. Solange die Gespräche mit allen Beteiligten nicht abgeschlossen seien, sollten die staatlichen Organe das Vorhaben nicht vorantreiben. Die Venedig-Kommission ist Teil des Europarates und berät Staaten in Verfassungsfragen.
UN äußert schwere Bedenken
Das UN-Menschenrechtsbüro äußerte ebenfalls schwere Bedenken gegen das neue Gesetz. Die bereits angeschlagene Unabhängigkeit der Gerichte werde damit womöglich weiter untergraben, sagte der Sprecher des Büros am Freitag in Genf. „Wir rufen die polnische Regierung und das Parlament auf, die Folgen dieser Gesetzesentwürfe auf die Rechtsstaatlichkeit genau abzuwägen“, sagte der Sprecher.
Der liberale Europapolitiker Guy Verhofstadt verglich die Justizreform der PiS mit der Politik des sowjetischen Diktators Josef Stalin. „Was die PiS macht, kommt direkt aus Stalins Lehrbuch… oder aus Putins“, schrieb der belgische Europaabgeordnete am Freitag auf Twitter.
Nach seiner Verabschiedung durch den Sejm, der ersten Kammer des Parlaments, kommt das Gesetz nun in den Senat. In dieser zweiten Kammer hat die Opposition die Mehrheit. Ihre Spitzenpolitiker haben schon angekündigt, dass sie gravierende Änderungsvorschläge machen werden. Allerdings kann die PiS mit ihrer absoluten Mehrheit im Sejm diese später wieder ablehnen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
BGH-Urteil gegen Querdenken-Richter
Richter hat sein Amt für Maskenverbot missbraucht
Umweltfolgen des Kriegs in Gaza
Eine Toilettenspülung Wasser pro Tag und Person
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Biden genehmigt Lieferung von Antipersonenminen
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Absagen vor Kunstsymposium
Logiken der Vermeidung