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Diskussion um NetzDGDruck von beiden Seiten

Das NetzDG soll Opfern von Hate Speech in Online-Netzwerken helfen. Doch was passiert, wenn Kommentare zu Unrecht gelöscht wurden?

Serverraum von Facebook: Nur löschen, wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind? Foto: dpa

Im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung versprochen, die Rechte der Nutzer gegenüber Facebook und anderen Netzwerken zu stärken. Zu Unrecht gelöschte Posts sollen wiederhergestellt werden. Doch die Große Ko­ali­tion blieb bisher untätig und wartet ab. Die Grünen haben jetzt die Einführung eines „Put-Back“-Verfahrens beantragt. Aber brauchen wir das noch? Immerhin prüfen die Gerichte solche Fälle schon jetzt auch ohne gesetzliche Regelung.

Ausgelöst wurde die Diskussion durch das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz, das NetzDG, das der Bundestag im Sommer 2017 beschloss. Der damalige Justizminister Heiko Maas (SPD, heute Außenminister) reagierte darauf, dass Plattformen wie Facebook Hasskommentare trotz Beschwerden viel zu häufig ignorierten – vermutlich weil Krawall gut ist fürs Geschäft.

Soziale Netzwerke sind seither zu konsequentem Beschwerdemanagement verpflichtet. Offenbar rechtswidrige Inhalte sollen binnen 24 Stunden gelöscht werden, sonstige rechtswidrige Inhalte binnen 7 Tagen. Hat ein Netzwerk kein funktionierendes Beschwerdemanagement, drohen Geldbußen bis zu 50 Millionen Euro. Das Gesetz ist seit Oktober 2017 in Kraft.

Doch kaum hatte Maas, unter anderem auf Druck der Grünen, das NetzDG vorgeschlagen, ging die andere Seite der linksliberalen Öffentlichkeit (vom Chaos Computer Club bis zum Deutschen Anwaltverein) auf ihn los. Die Meinungsfreiheit sei in Gefahr. Auch die gesamte Rechte stimmte ein und beschimpfte Maas als Zensurminister und Verfassungsfeind. Zwei Vorwürfe standen im Mittelpunkt. Erstens: Hier wälze der Staat Aufgaben auf Private ab. Zweitens: Das NetzDG werde zu massivem „Overblocking“ führen – die Netzwerke würden also im Zweifel auch viele legale Inhalte sperren, um Bußgelder zu vermeiden.

Kein ausdrücklicher Anspruch

Nun ist es nichts Neues, dass Facebook auch legale Inhalte löscht, insbesondere wenn es um Nacktheit geht. Auch schon vor Einführung des NetzDG gab es immer wieder kleinere Skandale, wenn Kommentare von Prominenten gelöscht wurden und ihr Account gesperrt wurde. Betroffen waren etwa die österreichische Schriftstellerin Stefanie Sargnagel, die rechte Bloggerin Anabel Schunke oder der Satiriker Leo Fischer.

Oft nahm Facebook nach öffentlichen Protesten die Maßnahme zurück. Doch es herrschte ein Gefühl der Machtlosigkeit. Johannes Boie schrieb 2016 in der SZ: „Die Möglichkeiten, sich ernsthaft zu wehren, sind für Nutzer begrenzt, im Grunde kaum vorhanden. Was soll man auch machen? In den USA klagen? Wegen eines gesperrten Beitrages?“

Wenn jemand meint, er sei zu Unrecht geblockt worden, dann muss es einen Widerspruchsweg geben

Jens Zimmermann, SPD

Immerhin sieht das NetzDG nun vor, dass Facebook einen Nutzer davon informieren muss, wenn es dessen Beiträge löscht, und der Eingriff muss auch begründet werden. „Niemand muss hinnehmen, dass seine legitimen Äußerungen aus sozialen Netzwerken entfernt werden“, hieß es in der Begründung zum NetzDG. So könne der Betroffene „die geeigneten rechtlichen Schritte“ einleiten.

Allerdings weigerte sich die Große Koalition, den Gesetzentwurf konkret nachzubessern. Ein ausdrücklicher Anspruch auf Wiederherstellung von unzulässig gelöschten Posts wurde nicht eingeführt. Denn nach einer so wesentlichen Änderung hätte die Regierung das Projekt bei der EU neu anmelden müssen. Die Koalition wollte das NetzDG aber unbedingt noch vor der Bundestagswahl verabschieden.

„Overblocking“ ist nicht neu

Parallel zum Beschluss des NetzDG kündigte 2017 der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner, an, in der kommenden Wahlperiode würden soziale Netzwerke verpflichtet, unzulässig gelöschte Inhalte wiederherzustellen. Er nannte dies einen „Restore-Anspruch“. Tatsächlich heißt es nun auch im Koalitionsvertrag der Großen Koalition. „Wir wollen die vertraglichen Rechte der Nutzer stärken, z. B. gegen unberechtigte Löschungen und Sperrungen.“

Dann ist aber nichts passiert. Die Bundesregierung wartet erst einmal ab. Die Grünen haben deshalb einen Antrag auf „Weiterentwicklung“ des NetzDG eingebracht, der in der Nacht auf Freitag im Bundestag beraten wurde. Wichtiger Punkt dabei: Es soll ein solches Putback-Verfahren geben. Für die GroKo bestätigte der SPD-Abgeordnete Jens Zimmermann den Handlungsbedarf. „Wenn jemand meint, er sei zu Unrecht geblockt worden, dann muss es einen Widerspruchsweg geben.“ Aber wann will die Koalition handeln? Die Evaluierung des NetzDG soll erst Ende 2020 beginnen.

Es gibt Gründe für die Zurückhaltung der Koalition. So hat das NetzDG längst nicht so dramatische Folgen gezeitigt wie befürchtet. Wie schon vor Inkrafttreten des NetzDG gibt es einzelne Fälle, in denen wohl zu Unrecht gesperrt wurde. Betroffen war etwa der Twitter-Account des Magazins Titanic, nachdem es satirisch gefakte Posts der AfD-Politikerin „Bea­trix von Storch“ verbreitete. Die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und auch der Islam werden in den Netzwerken aber weiter äußerst polemisch kritisiert.

Es gibt also keine ersichtliche Welle des Overblockings. Und wenn es zu Sperrungen kommt, dann berufen sich die Netzwerke meist auf ihre Gemeinschaftsstandards und eben nicht auf das NetzDG.

Außerdem muss ein Re­store- oder Put-back-Anspruch vom Gesetzgeber vielleicht gar nicht eingeführt werden, denn wie die Praxis der Gerichte im letzten Jahr bewiesen hat, gibt es ihn schon.

Der konservative Anwalt Joa­chim Steinhöfel war der Erste, der im März 2018 eine einstweilige Verfügung gegen Facebook erwirkte. Es ging um einen Post, indem es hieß: „Die Deutschen verblöden immer mehr. Kein Wunder, werden sie doch von linken Systemmedien mit Fake-News über ‚Facharbeiter‘, sinkende Arbeitslosenzahlen oder Trump täglich zugemüllt.“

Polemik vs. Meinung

Die meisten Sperrungen, die seither vor Gericht landen, betreffen rechte Hetzparolen. Eine Ausnahme war ein Urteil des Amtsgerichts Tübingen, das eine 60-jährige linke Aktivistin erwirkte Sie war von Facebook 30 Tage gesperrt worden, weil sie über Rechtsextreme schrieb: „Vollpfosten sind Vollpfosten.“ Dies sei zwar polemisch, im Kontext aber noch von der Meinungsfreiheit gedeckt, so die Rich­terin.

Inzwischen ist klar: Wer gegen eine unzulässige Löschung oder Sperrung vorgehen will, kann sich an die staatlichen Zivilgerichte wenden. Diese gehen davon aus, dass Facebook einen Vertrag mit dem Account-Inhaber geschlossen hat, in dem es sich zur Veröffentlichung von Kommunikation auf der Plattform verpflichtete. In diesem Vertragsverhältnisse gelten Grundrechte wie die Meinungsfreiheit zwar nicht direkt, aber „mittelbar“.

Der Gesetzgeber sollte klarstellen, dass Nutzer, deren Posts gelöscht wurden, Anspruch auf Beschwerde haben

Im Einzelnen ist noch manches umstritten: Kann Facebook nur löschen, wenn die Grenzen der Meinungsfreiheit überschritten sind, wie das Oberlandesgericht (OlG) München urteilt? Oder genügt eine Verletzung der Community-Standards, wenn das Netzwerk dabei die Verhältnismäßigkeit beachtet, wie das OLG Dresden meint? Eine einheitliche Linie wird erst der Bundesgerichtshof schaffen; noch liegt dort aber kein entsprechender Fall vor.

Druck auf Facebook

Die Gerichte sind jedenfalls bereit, Fälle von Overblocking auch ohne Auftrag des Gesetzgebers zu prüfen. Deutlich ist aber auch: Wer erst zu Gericht gehen muss, trägt das Kostenrisiko, falls der Prozess verloren geht. Je nach Konstellation können das einige Tausend Euro sein. Und schnelle Lösungen sind vor Gericht oft nicht zu erwarten. Im Tübinger Fall entschied das Gericht erst zwanzig Monate nach der 30-tägigen Sperrung des Face­book-Accounts.

Der Gesetzgeber sollte daher klarstellen, dass auch die Nutzer, deren Posts gelöscht werden, Anspruch auf ein effizientes Beschwerdemanagement haben. In eindeutigen Fällen müsste der zu Unrecht gelöschte Post binnen 24 Stunden wiederhergestellt werden. Wenn ein Netzwerk diese Pflicht regelmäßig verletzt, sollten ihm auch hierfür Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro angedroht werden. Wenn der Druck auf Facebook von beiden Seiten kommt, ist das NetzDG ein stimmiges ­Gesetz.

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