Diskussion um Altersarmut: So wie wir heute arbeiten
Was ist das denn für ein Leben? Selbst privilegierte junge Menschen sorgen sich um die Zukunft. Nehmt uns die Angst, gebt uns die Einheitsrente.
Die Frida-Hockauf-Methode war eine in der DDR verwendete Arbeitsmethode zur Steigerung der Arbeitsproduktivität. Benannt war sie nach der Weberin Frida Hockauf, die Anfang der fünfziger Jahre mehrere Webstühle zeitversetzt bedient hatte und eine Planübererfüllung erzielte.
Die DDR-Propaganda stilisierte die wackere Proletarierin zur Stilikone und legte ihr den fortan gerne von den Parteioberen zitierten Slogan „So wie wir heute arbeiten, werden wir morgen leben“ in den Mund, ein Spruch, der in seiner Zukunftsgläubigkeit genau so aus dem Mund von Konrad Adenauer hätte stammen können, dem Begründer des legendären und früher mal prima funktionierenden westdeutschen Rentensystems.
„Die Rente ist sicher“, so sprach einst der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm, zuletzt anlässlich der Rentenreform im Jahr 1997 – der Satz wurde zum Running Gag für die Generation der um 1970 Geborenen, denen man bereits im zarten Jugendalter vorsichtig mitzuteilen versuchte, dass sie es später schlechter haben würden als ihre Eltern: Generation X.
Im Jahr 2017 ist es nun längst zum Allgemeinplatz geworden, dass „wir“ mehr oder weniger frohgemut der Altersarmut entgegenblicken – während längst die „Generation Z“ am Start ist, deren Mitglieder etwa zwischen 1995 und 2010 zur Welt kamen (fast hätte man geschrieben: auf den Markt kamen) und von denen man noch nicht allzu viel weiß, außer dass sie mit dem Touchpad sozialisiert wurden.
Er ist links, deutsch, ein Antifa – und zieht in den Krieg nach Syrien. Er hört die Raketen, schießt, will nicht nach Hause. Das Protokoll eines Kämpfers lesen Sie in der taz.am wochenende vom 1./2. April. Außerdem: Vor der Wahl in Frankreich wirkt Emmanuel Macron wie die letzte Hoffnung Europas. Wie links ist er? Und: Mathilde Franziska Anneke und Karl Marx kannten sich. Sie hat so radikal gedacht, geschrieben und gehandelt wie er. Warum erinnert sich niemand an sie? Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.
Nun hat es sich die Hamburger Wochenzeitung Die Zeit zur Aufgabe gemacht, im Rahmen einer Serie Mitglieder ebenjener Generation vorzustellen. Zum Beispiel einen jungen Mann namens David Sheldrick, 21 Jahre alt und frei jeglicher Jeunesse-dorée-Anwandlungen: „Ich will doch nur ein Haus und zwei Autos“, so beschreibt der junge Mann seinen Traum von Zukunft und beklagt sich, dass er und seine Frau mit ihrem Nettoeinkommen von 5.000 Euro nicht einmal in der Lage seien, ein Auto zu erwerben, geschweige denn ein Haus – und dass er Angst um seine Zukunft habe, insbesondere um die Rente.
Das sind freimütige Z-Bekenntnisse, die für Partystimmung in der Leserkommentarspalte sorgen. Lustvoll schnarren die Rentner und Häuslebauer mit Internetanschluss, andere wundern sich, an welches Automobil er denn um Gottes willen gedacht hatte, und ein User namens „Topverdiener“ fragt zwar fassungslos: „Welcher Typ ist denn mit 21 Jahren verheiratet“, verbleibt aber mit dem Lob: „Ansonsten ein anständiger Bursche“.
Ja, einer schlagenden Burschenschaft hatte sich der junge Mann zu allem Überfluss auch noch angeschlossen – aber doch hat er – the kids are alright – einen Punkt, wenn er sagt: „Trotzdem fühle ich mich ohnmächtig. Meine finanzielle Zukunft ist vollkommen unvorhersehbar. Ich bin mir sicher, dass die staatliche Rente nicht an mich ausbezahlt wird. Jedoch bleibt kein Investment in der heutigen Welt bis ins hohe Alter irgendwie sicher. Es gibt keine Sicherheit, kaum Rendite. Ich kann Geld sparen, aber dann frisst die Inflation oder Nullzinspolitik den Wert des Geldes.“
Täglich ein Apfel
Am Beispiel von David Sheldrick, der sich hier selbst ans Kreuz nagelt – stellvertretend für seine Generation, die ihren Enkeln gerade noch vom Verbrennungsmotor wird erzählen können – kann man ermessen, was mit Menschen geschieht, die ihr Leben in Sorge vor der Zukunft verbringen müssen. Oder einfach nicht ausreichend in der Lage sind, solche Gefühle zu unterdrücken. Menschen, die womöglich auch noch glauben, was man ihnen eingetrichtert hat, nämlich dass sie selbst schuld sind an ihrer Misere.
Weil sie nicht genug privat vorgesorgt haben – obwohl dies aufgrund der prekären Verhältnisse eigentlich kaum möglich ist. So empfiehlt eine aktuelle Studie des Sinus-Instituts im Auftrag des deutschen Versicherungswesens den vielen jungen Menschen, die nicht ausreichend Altersvorsorge betreiben, den „Verzicht auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung“ und mehr „Anstrengung“, um im Alter gesünder, sozialer und finanziell sicher zu leben. Empfohlen wird im Übrigen auch der tägliche Verzehr eines Apfels, und zwar möglichst am Nachmittag.
Das mit dem Apfel wäre sicher noch die einfachste Übung, aber doch erscheint der gut gemeinte Ratschlag fast schon zynisch angesichts all der Prekären und Geringverdienenden, die schlicht nicht in der Lage sind, der Gegenwart Ressourcen abzutrotzen, die in der Zukunft für Sicherheiten sorgen könnten.
Zudem verhält es sich mit dem moralisch verbrämten Neoliberalismus – kümmere dich selbst, die Reichen bekommen das doch auch prima hin – ein wenig wie mit dem Gebrauch von Zahnseide: Der Mensch an sich ist nur bedingt zur Prophylaxe fähig und tendiert zum Hans-Guck-in-die-Luft-Verhalten. Wenn die Sonne scheint, kauft er sich eben lieber ein Eis, anstatt Notgroschen im dunklen, feuchten Keller zu vergraben, unter dem Sauerkrautfass.
Mit 70 kein Auto?
Und mal ehrlich: Ist es nicht am Ende erstrebenswerter, in dem Bewusstsein zu leben, dass der Augenblick zählt, anstatt sich schon mit 21 ins Hemd zu machen, weil man sich Sorgen darüber macht, ob man sich mit siebzig Jahren noch ein Auto wird leisten können? Was ist denn das für ein Leben?
Alle reden über das Grundeinkommen, dabei wäre es im Interesse des gesellschaftlichen Wohlbefindens mindestens genauso wichtig, endlich eine vernünftige Altersgrundversorgung für alle zu schaffen. Die meisten zukünftig Armen trösten sich zwar schon jetzt damit, dass der Gesellschaft wohl nichts anderes übrig bleiben wird, als eine Art Einheitsrente zu schaffen – wie diese aber konkret aussehen oder bewerkstelligt werden soll, weiß keiner. Und was, wenn daraus nichts wird?
Die Rente muss sicher sein. Gleich mehrere Generationen, von X bis Z, in Ungewissheit zu stürzen oder ihren Ängsten zu überlassen oder mit einem Apfel zu beruhigen kann auf Dauer nicht die Lösung sein – sogar der schlagende Burschenschaftler David Sheldrick droht schließlich in seinem Text damit, sich in Zukunft ernsthaft politisch zu betätigen, um seine rentenpolitischen Ziele zu erreichen. Will man das?
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen